Der Rest des Trainings verlief ohne Probleme. Ich übte mich noch etwas mit den Bogen ein und stellte fest, dass es nicht nur ein Glückstreffer war, sondern ich anscheinend wirklich ein Naturtalent im Bogen schießen war.
Was mir nichts bringen würde, wenn es keinen Bogen gibt. Deswegen ging ich irgendwann weiter und schaute auch an anderen Stationen vorbei. Ich übte Knoten und Fallen stellen, bis zum Mittagessen.
Der Pausenton war noch nicht einmal richtig verstummt, da stand auch schon Valerian neben mir und lächelte mich, immer noch glücklich, an.
"Macht Spaß, oder?", fragte sie überschwänglich. Schon interessant was andere so als Spaß empfanden. Wenn ich den anderen zuschaute, besonders Vetch wie er Waffen schwang, wurde mir dabei nur schlecht. Ihn gegenüberstehen in der Arena, würde nur bedeuten zu sterben, dem war ich mir sicher.
Ich schüttelte nur den Kopf und ging los. Mir war egal ob das Mädchen mir folgte. Sie tat es und plapperte die ganze Zeit, was sie alles am morgen gemacht hatte, während sie essen auf ihr Tablett häufte. Mein Appetit war nicht wirklich da. Ich nahm mir nur wenig und schaute mich dann im Essensaal um. Es waren genug Tische da, das jeder Distrikt hätte einzeln sitzen können, gleichzeitig waren sie lang genug um mindestens Zehn Tributen gleichzeitig Platz zu bieten.
Ich war mir nicht sicher wo ich mich hinsetzten sollte. In der rechten, hinteren Ecke hatte es sich Vetch mit den Tributen aus Distrikt Eins, Vier und dem Mädchen aus seinem Distrikt gemütlich gemacht. Mein Bruder setzte sich gerade neben ihn. Sie lachten und hatten Spaß.
Warum fühlte ich mich gerade wieder wie in der Schule? Als ich eher ein Außenseiter war, während mein Bruder der beliebte?
"He, alles klar?" Ich schreckte zusammen, als Valerians Stimme neben mir auftauchte.
"Ja, sicher.", versuchte ich ihr weiß zu machen. Anscheinend versagte ich total, den sie zog nur eine Augenbraue hoch, bevor sie schweigend an mir vorbeiging und nun von mir erwartete, dass ich ihr folge. Was ich dann auch tat. Als wenn ich eine große Wahl gehabt hätte. Allein sitzen war anscheinend nicht so eine gute Idee.
Wir gingen an ein paar Tischen vorbei, als ich jemanden, aus den Augenwinkeln winken sah.
Das Mädchen aus Acht. Tansy.
"Komm.", gab ich Valerian zu verstehen und bog zu Tansy ab. Konnte nicht schaden zu dritt zu sitzen.
Sie lächelte uns schüchtern an und setzte sich dann wieder.
Valerian schaute nur kurz verwirrt, schien dann aber zu verstehen und hüpfte glücklich zu Tansy, um sie stürmisch zu umarmen. Das andere Mädchen schaute so verwirrt, dass ich ein leises Lachen nicht unterdrücken konnte.
Anscheinend hatte das Mädchen aus Distrikt Fünf eine ähnliche Wirkung auf Tansy, wie auf mich. Zumindest dauerte es keine Zehn Sekunden, bis sie die Köpfe zusammengesteckt hatten und anfingen mit einander zu kichern.
Ich setzte mich ihnen gegenüber und war froh, das Valerian jemanden gefunden hatte, mit dem sie reden konnte. So ließ sie mir höchstens einmal Zeit zum durchatmen.
Genüsslich wollte ich gerade in mein Sandwich beißen, als ich hörte wie schlürfende Schritte neben unseren Tisch zum stehen kamen. Immer noch mein essen in der Hand, bereit zum rein beißen, drehte ich mein Kopf in die Richtung und sah Tansy Mittribut.
Jonny.
Schüchtern und fast ängstlich schaute er uns alle drei an. Gott, ich hatte Angst, dass er gleich einfach umkippen würde.
"Was willst du?", fragte Tansy genervt und verdrehte die Augen.
Kurz schien es, als würde er was erwidern wollen. Doch dann schloss er wieder seinen Mund und schaute sich unentschlossen um. Da andere Tribute schon schauten, seufzte ich leise und klopfte auf die Bank, auf der ich saß.
"Jetzt setzt dich schon hin Junge.", murmelte ich und biss endlich in mein Essen. Herrlich, auch wenn mich die leicht entsetzten Blicke von Valerian und Tansy nervten. Aber sie sagten nichts. Wiedersprachen mir nicht. Gut zu wissen.
Als Jonny es endlich geschafft hatte, seine zitternden Beine über die Bank zu hieven war ich froh das mein Mentor mich so nicht sah. Ich konnte regelrecht hören wie er rief: "Bist du wahnsinnig geworden? Du bist nicht hier um Freunde zu finden, sondern Verbündete? Ich wusste nicht, das du Selbstmord begehen wolltest! Warum gebe ich mir den überhaupt Mühe?"
Wow, das war so realistisch, dass ich das Gefühl hatte, selbst die anderen könnten ihn hören. Zumindest schauten sie alle drei auf einmal ziemlich verängstigt und saßen wie erstarrt da.
"Hörst du mir überhaupt zu wenn ich mit dir rede?", vernahm ich wieder Acers Stimme und erst da wurde mir bewusst, dass ich mir seine Stimme gar nicht nur vorgestellt hatte.
Er stand hinter Valerian und Tansy. Mir gegenüber.
Hier. Im Speisesaal. Mit meinen "Verbündeten". Einer 12-jährigen die herum hüpfte wie ein Flummie, einer zierlichen 13-jährigen und einen 15-jährigen Jungen der wahrscheinlich vor seinem eigenen Schatten erschrak.
Heute war einfach nicht mein Tag...
"...ich komme hier hoch und muss das sehen? Warum machst du es mir so schwer? Kannst du nicht höchstens versuchen ein wenig wie dein Bruder zu sein?", versuchte ich wieder Acers Schimpftirade auf mich zu folgen. "Wie willst du auch nur ansatzweise eine Chance haben mit solchen Schwächlingen um dich -"
Acer wurde von einem lauten Geräusch unterbrochen, als ein Tablett regelrecht auf meiner freien Seite nieder rauschte. Zwei große, dunkle Pranken hielten es.
Ich drehte mich vorsichtig um und schaute zu der großen Gestalt, des Distrikt Elf Jungen auf, der gerade das Tablett seiner Mittributin nahm und neben das seine Stellte. Dann hob er sie, ohne große Anstrengung und ohne jemanden zu beachten, über die Bank.
"Sage", begrüßte er mich einsilbig mit dunkler, tiefer Stimme und setzte sich zwischen mich und das Mädchen. Er nahm den Löffel für seine Suppe in die Hand und schaute dann zu Acer. "Ich wollte sie nicht unterbrechen. Fahren sie nur fort", ermunterte er ernst meinen Mentor. "Ich glaube sie wollten gerade etwas über uns Schwächlinge sagen."
"Ich...", stammelte Acer leise, mich verwirrt anstarrend. "Ich denke ich schaue dann nochmal nach 06-02-17. Wir wollen ja nicht, dass er Schwierigkeiten hat."
"Nein, das wollen wir nicht.", gab ich gelassen zurück, auch wenn ich mir nur gerade so ein Lachen unterdrücken konnte. Das Valerian und Tansy schon am kichern war, half mir aber nicht gerade ernst zu bleiben.
Als Acer sich umdrehte und noch keine drei Schritte weg waren, hielten die beiden es anscheinend nicht mehr aus und prusteten los. Auch das kleine Mädchen aus Distrikt Elf lachte leise, wenn auch viel verhaltener.
"Danke...", begann ich, wusste aber nicht was ich weiter sagen sollte. Nicht mal seinen Namen hatte ich mir gemerkt.
"Bamboo", gab er mir mit dunkler Stimme zurück. Valerian und Tansy starrten ihn nur an, kurz vor einem nächsten Lachanfall. Ich versuchte wiederum ein neutrales Gesicht zu behalten, es schien mir aber nicht zu gelingen. Gott sei Dank lächelte der Riese leicht: "Meine Mutter hatte mir immer gesagt, das ich schon als Baby riesig war. Deswegen wollte sie mir einen niedlichen Namen geben, damit die Leute keine Angst vor mir haben. Wenn es euch lieber ist könnt ihr mich eben auch einfach 11-02-18, wie alle anderen, nennen."
"Nein", erklärte ich und schaute zu ihm auf. Er war wirklich riesig und angst einflößend. Aus der Nähe sah man die ausgeprägten Muskeln unter seiner Haut nur um so deutlicher. Wahrscheinlich konnte er jemanden wie mich einfach zerquetschen. Aber in seinen dunklen Augen war nicht außer Güte zu sehen. Deswegen lächelte ich leicht. "Bamboo ist okay. Ich mag den Namen."
Er lächelte auch kurz, bevor er sanft eine Hand um das Mädchen aus seinem Distrikt legte. "Das ist Canola.", stellte er vor und sie schaute schüchtern auf. Ich wusste, dass Valerian und sie gleich alt waren aber trotzdem waren sie komplett unterschiedlich.
"Hi Canola. Schön dich kennen zu lernen.", erklärte Valerian und streckte ihr die Hand entgegen. "Bei der Ernte, wie du vor gestürmt bist. Wow, das war tapfer. Ich hätte das nie so hinbekommen. Ich war nur froh, dass ich nicht gestolpert bin."
Das kleine Mädchen lachte auf und nahm Valerians Hand an. Innerlich dankte ich dem Distrikt Fünf Mädchen. Sie hatte der Kleinen gezeigt, dass sie dazugehört. Nur mit einem Satz. Besser als ich es jemals machen könnte.
Während sich Canola leise am Gespräch der beiden anderen Mädchen beteiligte, flüsterte Bamboo: "Dein Mentor ist ein ziemlicher Idiot."
"Wem sagst du das. Aber sind sie das nicht alle?", erklärte ich. Als Antwort bekam ich nur ein zustimmendes Grunzen.
Wir beide aßen schweigend, während die Mädchen weiter plauderten.
Beim Training danach blieb ich wieder allein, aber ich beobachtete dieses mal mehr meine Gegner. Bamboo blieb die ganze Zeit bei Canola, während ich dafür gesorgt zu haben schien, dass Tansy und Valerian die besten Freundinnen geworden waren. Sie zu sehen versetzte mir einen kleinen Stich. Ich war nicht eifersüchtig auf sie oder so.
Nein...
Mein Blick schweifte zu meinen Bruder, der sich von Vetch gerade ein paar Tricks bei bringen ließ.
Nein, ich war nicht eifersüchtig. Jeder hier war allein und einsam. Warum sollten sie nicht Freundschaft schließen dürfen. Nur komisch, dass ich meinen Zwillingsbruder hier hatte und mich einsamer fühlte, als jemals zu vor in meinem Leben.
Eine Weile blies ich Trübsal darüber, bis mir endlich klar wurde, dass dies nichts bringen würde.
Kale schien sich entschieden zu haben. Für Vetch, gegen mich. Er wollte gewinnen, das verstand ich sogar. Jeder hier wollte heim.
Deswegen aß ich auch nur schnell etwas, nach dem Training. Danach duschte ich kurz und kramte das Buch heraus, was unser Lehrer uns mitgegeben hatte.
Vielleicht war ich nicht so stark wie Vetch. Aber ich war schlauer und schneller als er.
Wir würden sehen, was zum Sieg führen würde.
DU LIEST GERADE
Sage Snowdrop | Die ersten Hungerspiele
FanfictionMein Name ist Sage Snowdrop. Lange, bevor die Rebellion began wurde ich aus Distrikt 13, nach Distrikt 6 gebracht. Nachdem die Rebellion gescheitert ist werden mein Zwillingsbruder und ich, als die ersten Tribute für unseren Distrikt ausgewählt....