Sage Snowdrop | Kapitel 13

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Valerian ließ mich nicht einmal ganz die Treppe herunterkommen, als sie auch schon zu mir sprang und eine Erdbeere in den Mund schob. Überrascht biss ich ab und konnte ein seufzen nicht unterdrücken.

"Ich sag doch, dass sie gut sind.", freute sie sich und zog an meinen Arm. "Komm, beim Tisch ist noch mehr."

Da ich nicht widersprechen wollte, folgte ich ihr brav und setzte mich an den Tisch. Ich hatte wirklich Hunger und so wartete ich nicht lange, bis ich mit essen anfing.

Eine Weile saßen wir schweigend neben einander. Ich betrachtete das junge Mädchen neben mir, welches die ganze Zeit glücklich lächelte.

"Warum bist du so gut gelaunt?", fragte ich nach einer Weile leise. Sie schaute mich kurz verwirrt an.

"Warum auch nicht? Was bringt es mir Trübsal zu blasen!", erklärte sie aber ich war damit nicht zufrieden.

"Hast du denn keine Angst?"

"Vor den Spielen?", begann sie und griff nach einer weiteren Erdbeere. Es schien als würde sie nicht wirklich ruhig halten können. "Klar hab ich Angst, ich mein; Schau mich an. Ich b in eine der jüngsten hier. Keiner wird denken, dass ich gewinnen kann und sie haben doch Recht. Also warum Trübsal blasen. Zuhause ist niemand mehr der auf mich warten könnte. Ich geh einfach nur zum Rest meiner Familie. Nur das ich eben nicht einfach verhungern oder erfrieren werden wie mein Bruder vor ein paar Monaten, sondern noch ein paar schöne Tage habe, mit genug essen. Ich hoffe einfach nur, das es schnell geht."

Ich konnte sie nicht anschauen; starrte auf meinen Teller. Irgendwo in meinen Inneren beneidete ich sie, dass sie so denken konnte und ich war gleichzeitig erstaunt, dass sie es so leicht nahm. Andererseits war ich wütend auf das Kapitol. Vor ihren Leuten taten sie so großzügig aber was war schon so toll daran Kinder in den Tod zu schicken, während der Rest von ihnen zuhause verhungerte.

Valerian deutete mein Schweigen falsch. "Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht irgendwie in Verlegenheit bringen. Muss hart sein, wenn zuhause noch jemand auf einen wartet. Familie. Dazu ist dein Bruder mit dir hier. Egal was passiert, es wird sich alles ändern für euch."

Verkrampft schenkte ich ihr ein Lächeln, antwortete aber nicht darauf. Ich wollte dieses Mädchen nicht besser kennen lernen, mir Sorgen um sie machen aber sie erinnerte mich sofort an Dalla, wie sie zitternd und weinend an mir gehangen hatte.

Deswegen war ich mehr als froh, als ich hörte, wie weitere Türen auf und zu gingen und Stimmen von anderen Tributen ertönten. Ich versuchte sie nicht zu beachten und aß weiter, auch wenn ich eigentlich komplett voll war.

Wenig später hörte ich schwere Schritte auf der Treppe und vernahm Vetch Stimme: "Das war eine Show gestern. Scheint als würden sie uns für halbe Götter halten." Eine andere tiefe Stimme, stimmte in sein sarkastisches Lachen ein und ich drehte mich um. Es dauerte ein paar Sekunden bis das Bild in meinen Kopf wirklich ankommen wollte, aber es war real.

Vetch kam dort Seite an Seite mit meinen Bruder herunter. Fast gleich groß hätten sie sich nicht mehr unterscheiden können. Während Kale eher athletisch gebaut war, war Vetch stämmig; braungebrannt, wo mein Bruder blass war. Vetchs Haare waren dunkelblond und kurz geschoren. Das einzige was sie daraufhin noch zusammen hatten, waren die dunklen Augen. Ein ungleiches Paar, dass sich gefunden hatte.

Mein Bruder war nicht dumm. Er hatte sich mit dem Stärksten verbündet, schließlich wollte er überleben. Gewinnen.

Warum fühlte ich mich auf einmal verraten?

"He, Mädchen mit dem Feuerhaar?", rief Vetch und weder ich noch Valerian reagierten. Sie schaute mich jedoch an und genau in diesem Moment erklärte der Junge aus Zwei. "Ich mein dich Distrikt Sechs. So haben sie dich zumindest gestern genannt. Du hast ganz schön was verpasst. Sags deiner Schwester."

Kale tauchte auf einmal neben mir auf und grinste. "Er hat Recht. Sie schienen dich zu mögen."

Ich schnaubte nur einmal und aß schweigend weiter. Kurz zog mein Bruder die Augenbrauen zusammen, dann schien er zu verstehen. Zumindest zog er sich zurück.

Nach und nach versammelten sich alle Tribute im Wohnbereich. Wir trugen alle die gleichen grauen Sachen, nur mit unterschiedlichen Nummern. Eben keine Individuen mehr.

Langsam begann ich mich damit abzufinden.

Genau zwei Stunden, nachdem ich aus meinen Alptraum hochgeschreckt bin, kam unsere Trainerin und führte uns in eine riesige Trainingshalle.

Während alle sich staunend umsahen, blickte ich nur zu der Tribüne, wo circa zwanzig Männer saßen und auf uns nieder schauten.

"Dies sind die Spielmacher.", stellte unsere Trainerin die Männer vor. "Sie werden euch in den nächsten Tagen beurteilen. An euren vorletzten Tag hier, wird jeder von euch ein paar Minuten mit ihnen alleine haben, um sie eventuell noch einmal von euch zu überzeugen. Danach werden sie eure Punktzahl bekannt geben, die Anzeigen, wie sehr sie eure Fähigkeiten für nützlich halten und wie hoch eure Überlebenschancen sind. Wir bieten euch Waffentraining, Nahkampftraining und Überlebenstraining. Entscheidet selber wie viel Zeit, ihr wo verbringen wollt." Damit wand sie sich von uns ab und ging in eine Ecke wo weitere, wie sie gekleidete Leute saßen und mit einander sprachen.

Wieder standen alle unschlüssig da, aber ich wollte heute nicht eine in der Masse sein.

Also trat ich vor und ging zu eine in der Nähe befindlichen Station.

Bogen schießen.

Ich hatte es noch nie gemacht, aber warum sollte man es nicht einmal versuchen.

Als ich bei dem Trainer ankam, kam auch hinter mir Bewegung in den Rest der Gruppe aber das war mir egal. Hier konnte ich nun Dinge lernen, die wichtig fürs Überleben sein konnten und vielleicht über Leben oder Tod entschieden.

Der Trainer wies mich kurz ein und gab mir dann einen Bogen.

Ich legte an und schoss. Es war sogar gar nicht schlecht. Zwar vorbei an der Zielscheibe, aber nur knapp. Wieder korrigierte der Trainer kurz meine Haltung. Ich versuchte alles um mich herum auszublenden. Die Stimmen der Anderen, die Blicke der Spielmacher, sogar den Trainer neben mir, der jeden meiner Bewegungen beobachtete. Ruhig atmend, öffnete ich die Augen und stellte mir anstatt der Zielscheibe, den Kopf von unserem Präsidenten vor. Der Mann der uns alle Leiden ließ, obwohl er es beenden könnte.

Dann schoss ich.

Und traf ins Schwarze.

Der Trainer neben mir, atmete erschrocken ein und zog somit die Aufmerksamkeit auf uns. Ich spürte wie alle Blicke auf mir ruhten. Langsam drehte ich mich um und starrte genau in die dunklen Augen von Vetch. Auch alle anderen schauten. Selbst die Spielmacher, die sich gegenseitig etwas zuflüsterten. Mein Blick wanderte über Valerian, die wie immer ein breites Lächeln auf ihren Lippen hatte, weiter zu meinen Bruder. Er wirkte wütend. Sein Kiefer war auf einander gepresst und seine Hände waren zu Fäusten geballt.

Es schmerzte ein wenig, aber wenn er lieber mit anderen spielen wollte, musste ich meinen eigenen Weg finden.

"Da scheinen wir wohl ein Naturtalent zu haben.", erklärte der Trainer laut und lächelte mich schief an.

Auch wenn ich mein Gesicht nicht verzog, grinste ich innerlich. Ich hatte doch gesagt, dass ich nicht kampflos untergehen würde.

Sage Snowdrop | Die ersten Hungerspiele Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt