Sage Snowdrop | Kapitel 29

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Wie ich die Reaktion aufbrachte, noch nach meinen Messer zu greifen, wusste ich im Nachhinein nicht mehr. Irgendwie schaffte ich den Schrei, der mir in der Kehle heraufkam, zu unterdrücken und mich auf den Aufschlag vorzubereiten. Trotzdem war er härter als ich gerechnet hatte, wodurch ich eine wertvolle Sekunde verschenkte. Eine Sekunde, die meinen Kontrahenten das Leben rettete.
Gerade als ich ausholte, um ihn in die Seite zu stechen, hörte ich eine vertraute Stimme: "Sage?"
Ich öffnete meine zusammengekniffenen Augen und sah in Bamboos schreckgeweiteten. Im ersten Moment sprang er regelrecht von mir herunter, als wenn ich giftig wäre, nur um danach, gleich an meine Seite zu kommen. Er hob mich mehr auf, als dass ich aus eigener Kraft aufstand und musterte mich ängstlich von oben bis unten. 
"Sag mir bitte, dass ich dich nicht verletzt habe.", fragte er fast verzweifelt. Ich starrte kurz auf das Messer, welches ich immer noch in meiner Hand hielt und schaute dann wieder ihn an. Bamboo sah immer noch panisch auf mich herab, deswegen schüttelte ich schnell den Kopf. 
"Gott sei dank", japste er nur und drückte mich so schnell an sich, dass ich meine Waffe schnell los ließ, damit sie zu Boden fiel und nicht meinen Freund aufspießte. Er drückte mich nur kurz, bevor er mich auf Armlänge wieder von sich wegschob.
"Wo kommst du her verdammt?" Seine Stimme zitterte leicht und sein Blick machte mir Angst. Ich konnte irgendwie immer noch nicht sprechen und zeigte deswegen zurück zu den Bergen. Wenn es überhaupt möglich war, riss er seine Augen sogar noch weiter auf. "Du kommst aus den Bergen?", fragte er mit fast quietschiger Stimme, was an ihm irgendwie niedlich war.
"Ja", fand ich endlich meine Stimme wieder, "warum sollte ich nicht?"
"Darum", erklärte er mich und drehte mich um, damit auch ich in Richtung Berge schaute.
Geschockt atmete ich ein, als ich sah was er meinte. Weiter hinten in dem Gebirge, bestand der Himmel nur aus grauen und schwarzen Rauch. Rot glühendes Lava floss aus dem höchsten Berg weiter hinten. Wo wir standen waren wir sicher, aber jeder der dort gewesen war...
"Ich...ich war in einem Höllensystem.", stotterte ich. Bamboo drückte mit seiner großen Pranke sanft meine Schulter, bevor er mich wieder umdrehte und wieder drückte.
"Gott sei Dank. Als ich Valerians Bild am Himmel gesehen hatte...", murmelte er in meine Haare, sprach aber nicht weiter.
"Wie lange war ich weg? Wie viele Tage ist Valerians Tod her?" Irgendwie war ich ängstlich die Wahrheit zu erfahren, aber ich musste wissen was passiert war.
"Mit Valerian, war noch der Junge aus Distrikt Eins gestorben.", räusperte sich Bamboo, "Seit dem, sind drei Tage vergangen. Am Tag danach, starb der Junge aus Distrikt Sieben. Er war....", kurz atmete er ein und schloss die Augen, als wäre er in Erinnerungen gefangen. "Er hatte ein Messer auf Canola geworfen. Ich war nicht schnell genug, aber ich hab ihn erledigt. Canola starb gestern von der Verletzung." Bamboo wand sich von mir ab und ich wusste nicht wirklich was ich sagen sollte.
Canola war tot?
Das kleine, süße Mädchen, was so tapfer dafür gesorgt hatte, dass ihre Schwester sich nicht für sie meldete, war weg? 
Ich würde sie nicht wieder sehen?
"Tut mir Leid.", flüsterte ich leise und Bamboo lachte leicht auf. "Was denn? Das ich es nicht geschafft habe auch nur einen von euch zu beschützen." Er drehte sich wieder um und Tränen glitzerten in seinen Augen. "Ihr habt euch auf mich verlassen."
"Bamboo...", fing ich an doch er unterbrach mich. "Schon gut Sage. Ich komm klar."
In dem Moment ertönte eine Kanone und das Geräusch durchzuckte meinen ganzen Körper.
Vor Schreck sprang ich regelrecht in Bamboos Arme, die sich auch sofort schützend um mich legten.
"Anscheinend kommt jemand anderes aber nicht klar.", murmelte er. Dann schaute er auf mich herab und grinste. "Sehen wir es positiv, einer weniger um den wir uns sorgen machen müssen."
Es klang logisch, deswegen nickte ich und zwang mir ein Lächeln auf.
Bamboo durchschaute mich aber. "Tut mir Leid. Ich hab vergessen, dass dein Bruder ja auch noch -"
"Schon gut.", war ich es nun, die ihn unterbrach. Ich wollte nicht darüber nachdenken. Wir waren nur noch zu Sechst in der Arena. Kale oder ich. Einer von uns würde früher oder später sterben. Ich war mir nicht einmal klar, ob ich froh darüber war, dass er noch lebte. So war die Chance größer, dass wir uns am Ende gegenüber standen.
"Wie spät ist es?", wechselte ich das Thema.
"Es wird bald dunkel." Bamboo ging ohne nachzufragen auf den Themenwechsel ein. Er wollte nicht über bestimmte Themen reden, also hatte ich das Recht genauso. "Wir brauchen Wasser, schließlich wissen wir nicht, was sie als nächstes planen. Weiter hinten habe ich einen See gefunden. Gut versteckt. Da können wir unsere Vorräte auffüllen, bevor wir uns irgendwo verstecken."
"Klingt nach einem Plan", stellte ich fest. Schnell hob ich noch mein Messer wieder auf, bevor ich Bamboo im Gänsemarsch folgte. Wie nur wenige Tage zuvor mit Valerian, arbeiteten wir uns so durch den mittlerweile doch sehr dichten Dschungel. Es kam einen fast so vor, als würde man dem Wald regelrecht beim wachsen zusehen können.
Nach nur wenigen Minuten waren wir, an dem kleinen See angekommen. Er war nicht groß aber gut hinter hüfthohen Büschen versteckt, genau wie die Höhle ein paar Nächte zuvor. Gerade als ich nur den letzten Busch treten wollte, zog mich Bamboo ruckartig zurück, dass ich regelrecht in seinen Armen landete. Als ich herumfuhr um ihn wütend zu fragen was das sollte, hielt er seinen rechten Zeigefinger vor die Lippen. 
Kurz wartete er, ob ich auch wirklich verstanden hatte, bevor er daraufhin mit dem gleichen Finger auf etwas vor mir zeigte. Mein Blick folgte seiner Hand und ich sah, den Jungen aus Distrikt Neun aus dem Gestrüpp, etwas weiter rechts stolpern. Schwer atmend schaute er sich um, bevor er ein für mich eindeutig zu groß aussehendes Schwert auf den Boden legte und schnell mit den Händen etwas Wasser trank.
Hätte Bamboo mich nicht aufgehalten, wäre ich wahrscheinlich genau in den anderen Jungen gerannt. Wahrscheinlich wäre ich jetzt schon tot. Viel größer und breiter als ich, wäre er mit seiner Waffe eindeutig im Vorteil gewesen.
Ich schaute zu Bamboo und versuchte mich mit einen Blick bei ihm zu entschuldigen, doch er grinste mich nur an und schüttelte sanft den Grund.
Kein Grund sich zu entschuldigen. 
Schnell lächelte ich zurück.
Wir warteten im Gebüsch bevor der Junge wieder verschwand, bevor, dieses mal erst Bamboo und dann ich, zu den See traten.
Während ich mich müde streckte, ging mein Verbündeter auf die Knie um die Flaschen auf zu fühlen.
Mein Blick schweifte umher. Irgendetwas war seltsam. Es war eine Art Gefühl. Ein Druck in meinem Magen, den ich nicht los wurde. 
Dann sah ich den Grund.
Ich schaute zu Bamboo, der gerade damit fertig war, zwei Flaschen mit klaren Wasser zu füllen und nun selber noch eine Handvoll nehmen wollte.
"Nicht!", schrie ich ihn an. Mit zwei schnellen Schritten war ich bei ihm und schlug ihn auf die Hände. Nun schaute er mich wütend an. 
"Was soll das?", blaffte er mich an und ich erschrak regelrecht vor der Wucht seiner Stimme, sodass ich auf meinen Hintern fiel. Ich brauchte ein paar Sekunden, bevor ich mich wieder gesammelt hatte und ihn erklärte: "Das Wasser ist giftig."
Seine rechte Augenbraue wanderte wie von selber nach oben, aber er sagte nichts. Brauchte er auch nicht. Sein Gesicht sagte schon genug aus, dass er der Meinung war, dass ich vielleicht schon ein paar Schläge zu viel während dieser Spiele abbekommen hatte. Genervt verdrehte ich die Augen, bevor ich fragte: "Schau dich um Bamboo. Was siehst du hier?"
Mein Gefährte folgte meiner Anweisung, zuckte nach einer Weile aber nur mit seinen Schultern. 
"Blumen?", riet er und ich seufzte. 
"Hat überhaupt einer von euch, was anderes gemacht, als mit den Waffen im Training zu spielen." Sein Blick sagte wieder mehr als tausend Worte, deswegen erklärte ich ihm: "Die schönen, bunten Blumen hier herum, sind nur Ablenkung. Siehst du das Kraut, was unter ihnen wächst?" Er schaute noch einmal genauer hin und nickte dann. "Das sind Waldneseln. Sie vergiften alles im Umkreis von ihnen. Sie sind hier um den ganzen See."
Bamboo schaute mich entsetzt an. Gerade als er etwas sagen wollte ertönte nicht weit entfernt die Kanone.
Das musste der Junge aus Distrikt Neun gewesen sein. Nur noch Fünf.
Angeekelt schaute mein Verbündeter auf die zwei Flaschen, die er kurz vorher noch befüllt hatte, und trat sie mit dem Fuß in den See, wo sie schnell versanken.
Schweigend saßen wir kurz neben einander bevor ich fragte: "Und jetzt? Irgendwann brauchen wir wieder Wasser." Der Unterirdische See war keine Alternative mehr. Der Weg dorthin war versperrt.
Bamboo und ich starrten uns an. Wir wussten, dass wir das gleiche dachten, aber anscheinend lief es ihm genau so eiskalt dabei über den Rücken wie mir.
"Dann haben wir nur eine Alternative", begann er leise, "Wir müssen zum See zurück."
Ich nickte.
Zum See... die Gegend, die mir schon in dem Moment, in dem wir auf den Plattformen nach oben gebracht wurden, merkwürdig vorgekommen wurden war. 
Der sich angefühlt hatte, als würde dort nur der Tod lauern.

Sage Snowdrop | Die ersten Hungerspiele Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt