Sage Snowdrop | Kapitel 34

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Hier saß ich nun und starrte vor mich hin ohne etwas zu sehen.
Hatte ich die richtige Entscheidung getroffen?
Ich wusste es nicht.
Seufzend schloss ich meine Augen und ging noch einmal alles durch, seit dem Moment an dem Ribes mir ins Ohr geflüstert hatte...

Ich schluckte einmal und ging langsam auf die Bühne, immer noch hin und hergerissen was ich tun sollte. 
Der Moderator streckte seine Hand in meine Richtung aus und lachte über den tosenden Applaus. 
Oh Gott, ich würde das nicht überleben.
Aber ich hatte mich in dem Moment, indem ich die Hand des Papageien berührte, entschieden, was ich tun würde.
Ich konnte nicht ohne Peeta leben und ich wollte ihn nicht verlieren. Nur die wenigen Minuten, in denen ich gedacht hatte, das er tot wäre, hatten mich beinahe umgebracht.
Als ich das Lachen des Moderators mit einen strahlenden Lächeln erwiderte, bat ich Clayton innerlich um Verzeihung. 
Auch wenn mir bei meiner eigenen Darstellung regelrecht schlecht wurde, gab ich mich als zufriedene Gewinnerin. Dankbar dem Kapitol, dass es nun meinen Distrikt unterstützen würde.
Wir warfen uns gegenseitig Kommentare zu und erwiderten sie. Das Publikum war von seiner Siegerin begeistert und entspannte sich zunehmenst. Das war keine Rebellin die dort vor ihnen saß, sondern nur ein junges Mädchen, welches die ersten Spiele überlebt hatte.
Nach gefühlten Stunden, verabschiedete mich der Papagei endlich und entließ mich wieder hinter die Bühne, wo Ribes schon auf mich wartete.
In dem Moment, wo die Leute mich nicht mehr sehen konnten, wurde ich sofort von vier Friedenswächtern umzingelt. Mein Lächeln verschwand. Ribes war dafür um so breiter.
"Gute Entscheidung Kind.", erklärte er, bevor er sich an meine Wächter wandte. "Bringt sie zu den Ärzten, sie wissen was zu tun ist."
"Was ist mit Peeta?", meldete ich mich zu Wort und zog Ribes Aufmerksamkeit damit wieder auf mich.
"Oh keine Sorge. Wenn wir mit dir fertig sind, wirst du ihn wieder sehen. Keine Sorge, du wirst dich danach nicht wieder erkennen."
Das war ja genau das was ich befürchtete, aber ich hatte nun mal die Wahl getroffen und musste nun mit ihr leben.
Ich wehrte mich nicht, als die Friedenswächter mich abführten und durch dunkle Gänge führten, bis ich bald nicht mehr wusste wo ich war. Menschen in Kitteln übernahmen nach einer Weile meine Eskorte bis ich in einen weißen, sterilen Raum gebracht wurde.
Ob sie mich jetzt umbrachten oder nicht, ich konnte nichts gegen so viele auf einmal tun. Deswegen wehrte ich mich auch nicht gegen die Spritze, die mir einer der Kittelträger in den Arm rammte, und war regelrecht froh als alles um mich herum langsam verschwamm. Ich merkte noch wie starke Hände mich hochhoben, bevor alles um mich herum schwarz wurde...

Ich wachte mit einen unangenehmen Geschmack im Mund und Kopfschmerzen auf. Was immer sie mir gegeben hatten, es war stark gewesen. Immerhin hatten sie mich nicht umgebracht.
Vorsichtig schaute ich mich im liegen um.
Die Wände um mich herum waren immer noch weiß und steril, doch ich lag nun in einen Bett. Sonst stand nur ein Stuhl in dem kleinen Zimmer in den ich lag und rechts von mir ein Kleiner Schrank. 
Ich beschloss erst einmal etwas zum anziehen zu finden und versuchte aufzustehen. Ein Schwindelanfall zwang mich jedoch, mich wieder hinzusetzen. Kurz schloss ich die Augen und hielt mir die Hände vor das Gesicht, um das gleißende Licht der Lampe auszublenden. Als die Kopfschmerzen etwas besser wurden, nahm ich die Hände weg und öffnete vorsichtig meine Augen. Meine blonden Haare boten mir noch genug Schutz vor den grellen Lichtstrahlen...
Blond?
Ruckartig riss ich meinen Kopf nach oben und fasste mir in mein Haar um es nach vorne zu ziehen. Mein Haar war nun um einiges Kürzer und blond. Wellig fiel es mir um die Schultern. Ribes hatte gesagt, dass sie dafür sorgen würden, dass mich niemand mehr erkennt, aber wie viel hatten sie wirklich an mir geändert.
Ich schaute mich noch einmal um und entdeckte in der rechten Ecke einen Spiegel. 
Noch einmal versuchte ich aufzustehen. Dieses mal mit Erfolg. Ich änderte jedoch meine Privilegien und beschloss erst zu sehen, wie ich aussah, bevor ich nach Kleidung suchen würde. 
Vorsichtig ging ich näher an den Spiegel heran, darauf bedacht, mein Spiegelbild noch nicht zu sehen. Erst als ich nah genug stand, traute ich mich aufzusehen.
Und erschrak.
Ein fremdes Gesicht schaute mich erschrocken zurück an. In den blau grauen Augen des Mädchens bildeten sich Tränen, wie ich es auch in meinen verspürten, aber das war nicht mehr ich.
Die Tür wurde aufgerissen und ich wirbelte erschrocken herum. Eine Frau kam herein oder zumindest vermutete ich, dass sie eine Frau war, auch wenn ihr Gesicht eher einer Katze ähnelte. 
War das dort ein Schwanz?
Schnell schaute ich von den flauschigen wedelnden Ding weg, als sie mich irgendetwas fragte.
"Was?", krächzte ich, wieder einmal mit trockener Kehle. Das wurde langsam zum Dauerzustand.
"Ich habe gefragt wie es dir geht? Irgendwelche Schmerzen?"
"Nur der Kopf", gab ich verwirrt zurück. Sie nickte und ging langsam, im hin und her Schwung des Schwanzes, auf den Schrank zu. Im gehen erklärte sie: "Das ist normal durch die Narkose. Das geht bald weg."
"Mmh.", antwortete ich etwas zu spät, da ich immer noch von ihrem Schwanz abgelenkt war. Wie ging so was? Dafür gaben die Leute hier ihr Geld aus, während wir in den Distrikten verhungerten?
Sie verschwand zur Hälfte im Schrank, bevor sie mit einer einfachen Jeanshose, einen grauen ärmellosen Shirt und einer blauen Mütze herauskam. Ordentlich legte sie die Sachen aufs Bett. Dann wandte sie sich wieder zu mir und lächelte, was in dem Katzengesicht irgendwie niedlich aussah: "Zieh dich schnell an bitte und komm dann raus. Der Präsident wartet schon auf dich."
Bei der Erwähnung Ribes fühlte es sich an, als würde Eiswasser durch meine Adern fließen. Ich zwang mir ein Lächeln auf, damit sie endlich verschwand. Schnell schlüpfte ich in die mir bereit gestellten Sachen. Tief durchatmend schaute ich noch einmal in den Spiegel. 
Ich war hübsch. 
Keine Makel bis auf die Narbe an meinen Handgelenk, wo der Chip in meinen Arm war und meine Identität in Zahlen eingraviert war. Stirn runzelnd fragte ich mich, warum sie ausgerechnet dieses Merkmal belassen hatten, wenn sie doch alles andere an mir so sorgfältig zerstört hatten. 
Schnell zog ich die bequemen Stiefel an, die neben den Bett standen und wandte mich zu Tür.
Irgendwann musste ich sowieso nach draußen, also war es besser, wenn ich einfach hinter mich brachte. 
Mit durchgedrückten Schultern ging ich zu Tür und öffnete sie. Als ich aus dem Zimmer trat, drehten sich alle Köpfe zu mir um. Auf die schnelle zählte ich sechs Friedenswächter, ein Mann mit Brille, den Präsidenten und die Katzenfrau. 
Ich war aber gefragt.
Langsam schluckte ich gegen den Klos in meinen Hals an und trat in den Raum. Zwar waren auch hier die Wände weiß aber immerhin, stand hier ein Sofa, mit dazugehörigen Tisch und Sesseln. Ein Fernseher war an der Wand angebracht in der gerade ein Bericht gezeigt wurde. Das Gerät war auf stumm gestaltet und so sah ich nur Bilder eines verunglückten Zuges. Ich erinnerte mich wieder an die Worte von Ribes.
"Bin ich schon tot?", fragte ich sarkastisch. Zu meiner Genugtuung klang meine Stimme fest.
"Ja, gerade eben wird es in allen Distrikten verkündet. Tragisch.", gab Ribes in gleicher Tonlage zurück. "Ich hoffe, du hast die Operationen gut überstanden?"
Ich nickte nur, da ich Angst hatte, dass wenn ich meinen Mund öffnete, etwas nicht gerade freundliches herauskommen würde. 
Gott sei Dank ging in diesem Moment eine weitere Tür auf, wodurch ich nicht mehr sagen musste. Ein Friedenswächter trat ein, gefolgt von einen anderen.
Zwischen ihnen war Peeta.
"Peeta", rutschte es mir heraus, bevor ich mich zurücknehmen konnte, aber es war mir egal. Er schaute auf und schaute erst verwirrt. Das er mich nicht erkannte tat weh, doch dann änderte sich etwas in seinen Blick und er fragte sanft: "Sage?"
Mit tränennassen Augen lief ich auf ihn zu und warf mich in seine Arme. Er drückte mich fest und murmelte immer wieder meinen Namen. Ohne mich um die Anwesenden zu kümmern weinte ich Freudentränen. Ich hatte gedacht, ihn nie wieder zusehen. Nach all dem auf und ab, war es einfach zu viel gelassen zu bleibe und was sollte es mich kümmern. Sie wussten es doch sowieso alle. Schließlich hatte ich ganz Panem für diesen Mann im Stich gelassen.
Peeta murmelte weiter beruhigende Worte auf mich ein während er mit seiner linken Hand meinen Nacken streichelte.
Mit seiner linken Hand?
Ich schaute erschrocken zu ihm auf aber er lächelte mich nur liebevoll an. Ich arbeitete mich seinen linken Oberarm herunter, bis ich bei seinen Fingern angekommen war. Da waren keine Narben mehr. Keine versteiften Gelenke. Wieder schaute ich zu meinen Verlobten auf, doch es war Ribes der mir dieses Wunder erklärte: "Ich dachte mir, dass du für deine Mitarbeit eine kleine Belohnung verdient hattest. Wir haben also den Arm deines Freundes repariert. Sonst würde eure Geschichte keinen Sinn machen." 
Immer noch von Peeta gehalten, drehte ich mich in seinen Armen um und schaute zum Präsidenten.
"Während du operiert wurdest, wurde beschlossen, dass durch den Krieg in manchen Distrikten zu viele Menschen gestorben waren. Manche Familien hatten komplett überlebt, andere nicht. Also werden wir alle ein wenig umgruppieren. Du und Peeta, seit ein junges Ehepaar aus Distrikt Acht, die nach Distrikt Zwölf gehen werden, um dort neu anzufangen." Einer der Friedenswächter reichte mir und Peeta jeweils einen Ausweis, während Ribes uns alles erklärte. Ich fuhr über das Bild, dass dem fremden Mädchen im Spiegel bis aufs Haar glich. Neben den Bild war ihre ID-Nummer, ihr Distrikt und ihr Name eingetragen.
Camille Mellark.
Ich schaute zu Peeta, der mir grinsend seinen entgegenhielt.
Peeta Mellark.
Verheiratet.
Nur ohne Hochzeit.
"Was ist mit der Nummer.", fiel mir auf einmal ein und ich hielt mein Handgelenk nach oben. 
Ribes Blich wurde ernst.
"Sie es als eine Art...Erinnerung. Damit du nie vergisst, was wir dir geschenkt haben." Sein Blick wurde wieder neutral, als er weitersprach: "Ihr werdet genug Geld haben, um euch über Wasser zu halten. Schließlich wollen wir ja nicht, dass unsere erste Gewinnerin verhungert."
"Was ist mit meinem Distrikt? Distrikt Sechs?"
"Sie bekommen natürlich die versprochenen Rohstoffe. Sie können ja nichts dafür, dass ihre Siegerin in einen tragischen Unfall gestorben ist."
Innerlich seufzte ich dankbar auf, aber ich versuchte mein Gesicht neutral zu halten. Eins musste ich noch wissen: "Was ist mit Clayton."
Wieder veränderte sich der Blick des Präsidenten kaum merklich, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte und ruhig sagte: "Um seinen Sohn wird sich gut gekümmert werden."
Ich schluckte. Das war Antwort genug...

Als ich jetzt wieder daran dachte, traten mir Tränen in die Augen. Clayton war in der Hoffnung gestorben, dass ich die Rebellion wieder aufleben lassen würde, aber ich hatte es nicht. 
Mein Blick wanderte zu dem Fenster des Zuges, indem ich saß. Im Fenster spiegelte sich mein neues Aussehen, an welches ich mich nur langsam gewöhnte. Ich wusste nicht wie lange wir jetzt schon unterwegs waren, aber bald würden wir in unserem neuen Distrikt sein.
Nervös strich ich mir über das Lederband, welches ich nun um mein Handgelenk trug, um die Zahlen zu verbergen.
Peeta bemerkte meine Unruhe und nahm meine Hand in seine. Mit einen Seufzen lehnte ich mich an seine Schulter und schloss die Augen. Schuldgefühle plagten mich.
"Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast", flüsterte er mir leise in die Haare, als würde er mein schlechtes Gewissen spüren. Ich hob meinen Kopf und schaute ihn an.
Sanft berührten sich unsere Lippen und ich schloss genüsslich wieder die Augen. Früher hatte ich nie gewusst, wie viel mir diese Momente bedeuteten aber jetzt wusste ich sie zu schätzen. Genoss sie.
Wir waren die einzigen aus "Distrikt Acht", damit niemand verwirrt wäre, wo wir auf einmal herkamen. Als der Zug anhielt, versuchten alle schnellstmöglich auszusteigen aber wir beschlossen zu warten.
So gingen wir als letzte.
Einmal aus den Zug ausgestiegen und den kalten Winden von Distrikt Zwölf ausgesetzt, fing ich an zu zittern.
Das war also mein neues zuhause.
Mein neues Ich.
Mein neues Leben.
Wieder einmal.
Ich griff nach Peetas Hand und hielt sie so fest ich konnte. Als er zurückgriff und mich festhielt, flüsterte ich leise, so dass nur er es hören konnte: "Bleib bei mir."
Er zog mich an sich und gab genauso leise zurück: "Immer."

Sage Snowdrop | Die ersten Hungerspiele Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt