Was dann...

Kapitel 22

Weinen.

Man sagt,dass sei eine der besten Arten,seine Schmerzen,Qualen und seine Trauer zu verringern.Sie harmlos aussehen zu lassen.Sie sogar für einen kleinen Moment vergessen zu können.

Doch wahrscheinlich war noch niemand in der Lage,in der ich mich befinde...

...Ein psychisch kranker Bruder,der die eigenen Eltern eigenhändig umgebracht hat.Seine kleinere Schwester einsperrt,isoliert,misshandelt...

Nein,wahrscheinlich war noch niemand in meiner Lage.Und ich wünsche es auch niemanden,doch wer weiß,wie ich mich fühle,der weiß auch,dass weinen nichts mehr bringt.Weinen zeigt in diesen Momenten Schwäche.Schwäche die berechtigt ist,doch nicht hilft.Im Gegenteil.Es lässt den anderen wissen,wo du verwundbar bist,damit er dich in der nächstbesten Situation,wie eine Marionette umhertanzen lassen kann.Die Seile nicht abgibt und herumreißt.

Das muss aufhören.Doch wie?

Wie,wenn dein eigener Bruder dich besser kennen zu scheint,als du selbst?Wie,wenn niemand anderes da ist,der dir helfen kann?Wie?!

Ich weiß es nicht.Und aus diesem Grund weine ich.Weine,um mein Innerstes beruhigen zu können.Weine,um meine Schmerzen nach außen kehren zu können.Weine einfach.

Der Wind ist still.Kein Tier scheint sich zu regen.Noch nicht mal die Wolken ziehen in eine Richtung.Mein Bruder schlägt weiter auf mich herab.Lässt mich nicht in Frieden.Hatte er eigentlich Gefühle,wenn er nicht er selbst war?

Das Wasser tost ohrenbetäubend neben uns nieder in die Tiefe,bis es dann laut auf der Wasseroberfläche des Sees aufkommt.Der Felsen unter mir ist hart und kalt,doch ich kann nicht von ihm weg.Er ist das einzige,was mir noch Halt gibt.Mich nicht fallen lässt.

"Hööööhhhhhrrr aauuuffff.",presse ich kraftlos hervor.Flüsternd-Mehr Kraft bleibt nicht."Ich soll aufhören?!Nein,Schwesterchen!Du sollst das ertragen,was unser Vater mir die Jahre angetan hat!Das sollst du an einem Tag spüren.",ich kann die Worte nur schwer verstehen unter den ganzen Schlägen,doch sobald er endet,brennen sie sich in mein Gedächtnis ein.An einem Tag.Konnte es noch schlimmer werden?

Ich schließe mich in meinem Inneren ein.Auch meine Augen kneife ich zu,so scheinen die Schmerzen nicht ganz so tief zu sitzen.Immer weiter und weiter prasseln die Schläge und Tritte auf mich ein,doch ich kann mich nicht wehren.Es scheint hoffnungslos.

Urplötzlich hören sie auf.Seine Schritte entfernen sich.Konnte es schon vorbei sein?Langsam öffnen sich meine Augen.Schmerzverzehrt drehe ich mich um.Ein heiserer Schrei dringt aus meinem,vor Schmerzen,halb zugekniffenen Mund.Nur mühselig schaff ich es,mich auf die andere Seite zu drehen.Sofort atme ich hektisch ein und aus.Spärlich erkenne ich seine Umrisse.

Ich beobachte meinen Bruder wie er,zwei Schritte weiter,sein Messer bewundert.Wie ein kleines Kind,dass etwas geschenkt bekomme  hat,hält er es in den Händen.Seine Augen strahlen etwas seltsames aus.Etwas irres.Starr liege ich auf dem kalten Felsen und sehe ihm mit ängstlichen Augen zu.Schweiß tropft von meiner Stirn auf den Boden.Was...

Dann dreht er sich augenblicklich wieder in meine Richtung und kommt näher.Panisch versuche ich mich weg zu bewegen,doch meine Schmerzen halten mich auf.Adrenalin schießt durch meinen ganzen Körper und lässt für einen Moment meine Schmerzen vergessen.

Dieser Moment.

Ich springe,so schnell ich es schaffe, auf.Wacklig stehe ich mit beiden Beinen auf dem,vom Regen,rutschigen Felsen umd sehe meinem Bruder angsterfüllt entgegen.Wird es nun wirklich so weit kommen?