Ferienanfang mit Hindernissen

195 5 0
                                    

"Und ich werd dich immer lieben Herz, es ist so froh!“ Ne, das sah ich nicht ein. Ich stand jetzt nicht auf. Ne. Ganz bestimmt nicht. Wollte ich nicht. Komm damit klar, unbekannte Schlagersängerin!

Sie schien damit nicht klarzukommen. Selbst als ich auf meinen Radiowecker schlug, verstummte die Stimme nur kurz. Meine Oma hatte mir diesen Wecker vor drei Jahren geschenkt und er empfing leider nur einen Sender. Deswegen wurde ich jetzt jeden Tag mit „Mein Herz so froh“ geweckt, wahlweise auch „zehn nackte Friseusen“. Meine Mutter schien zu merken, dass ich nicht aufstand, weil die unbekannte Schlagersängerin inzwischen schon bei Strophe 3 angelangt war. Sie rief (also meine Mutter, nicht die Schlagersängerin): „Melanie, aufwachen! Du musst in die Schule.“ Ja ihr habt richtig gehört. Melanie. Das ist wirklich mein Name.

Seit ich in die Schule gekommen war, ließ ich mich jedenfalls von allen nur noch Mea nennen. Ich öffnete die Augen einen Spalt weit, murmelte:“ Gleich“, und drehte mich auf die andere Seite. Ich würde gleich aufstehen. Gleich war ein sehr dehnbares Wort.

Nach ungefähr einer halben Stunde konnte ich dann doch nicht mehr einschlafen, weil der Wecker alle vier Minuten klingelte, äh, sang.

Deswegen raffte ich mich schließlich zusammen und stand auf. Als allererstes brauchte ich jetzt eine lange und ausgiebige Dusche. Das hatte ich mir verdient. Ich hatte schließlich schon ein ganzes Jahr Schule durchgehalten. Nein, ich wurde nicht gemobbt und nein, ich hatte keine Depressionen. Und in jedem Fach sechsen schrieb ich auch nicht. Aber mal ganz im Ernst, wir reden von Schule!

Irgendwann wurde das Wasser unangenehm kalt und außerdem hatte ich das dumpfe Gefühl, ziemlich spät dran zu seien. Deswegen musste ich das Wasser leider wieder ausstellen. Ich schlüpfte in meine Anziehsachen: Kurze Hose, einfarbiges Top, wie immer im Hochsommer. Ich war nicht wirklich modebewusst. Dann griff ich nach meiner Uhr, die, auch wie immer, im Badezimmerschrank lag. Ich streifte mir sie über und schaute natürlich auch drauf. Verdammt! Schon zwanzig nach sieben! Um halb acht kam mein Bus. Es war sowohl theoretisch als auch praktisch unmöglich, dass noch zu schaffen. Trotzdem, ich versuchte es. Ich putzte mir in Windeseile die Zähne, föhnte meine langen, glatten, hellbraunen Haare mehr schlecht als recht (eigentlich gar nicht recht) und ging noch ein paar Mal mit der Bürste durch. Ok, das war gelogen. Ich ging noch ein paar Mal mit meinen Fingern durch.

Auf dem Weg nach draußen kam ich leider an einem Spiegel vorbei und dass, was ich da sah, brachte mich dazu, noch schneller zu rennen.

Wie im Vorbeigehen schlüpfte ich in meine Sandalen, drehte mich noch einmal um und rief „Tschüss“, in die Küche. Da kam meine kleine Schwester Sissi angerannt. Sie heißt eigentlich Sandra, ist vier Jahre alt und total süß. Na ja, sie ist MEISTENS total süß. Aber sie hat diese unangenehme Eigenschaft, immer zur falschen Zeit am falschen Ort aufzukreuzen. „Tschüss sagen!“, rief sie. Ich stöhnte, nahm die Kleine auf den Arm und sagte: „Tschüss Sissi! Ich komm bald wieder.“ Dann drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange und setzte sie wieder ab. „Tschüss Melli“ rief Sissi mir noch hinterher, während ich schon zur Bushaltestelle rannte.

Wie schon erwartet war kein Mensch dort. Bus verpasst! Ich schaute auf meine Uhr. 20 vor acht. Wenn man bedenkt, dass ich vor zwanzig Minuten noch halb nackt im Badezimmer stand, war das ganz schön schnell, fand ich. Was aber nichts an der Situation änderte, dass mein Bus dummerweise immer pünktlich kam. Und auch, was viel wichtiger war, immer pünktlich abfuhr.

Also musste ich wieder zurück. Irgendwie würde ich Mum schon rumkriegen, mich zu fahren. Irgendwie. Gott, steh mir bei.

*

„Mum, kannst du mich fahren?“. Meine Mutter schaute mich skeptisch an (hätte ich mir denken können) und fragte: „Warum fährst du nicht mit dem Bus?“ Das war eine schlaue Frage. Darauf sollte eine schlaue Antwort folgen. „Naja, weil heute der letzte Tag vor den Ferien ist habe ich gedacht, dass, du weißt schon, man es mal eine bisschen ruhiger angehen lassen könnte.“ Tja, vermasselt.

Vollkommen planlosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt