Urlaubsshopping

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„Also WARUM darf ich jetzt noch mal mitkommen?“, fragte Lea zum hundertsten Mal. „Wegen Sissis Augen.“ Sie hatte es wohl immer noch nicht verstanden. Lea war gerade gekommen, wir saßen im Wohnzimmer und warteten auf Mena. „Wir sind noch nie zusammen in Urlaub gefahren“, fuhr Lea fort. „Meine Mutter. Du kennst sie.“ Ich verdrehte die Augen. „ Aber Mena ist nächstes Jahr mit der Schule fertig. Und dann darf ich bestimmt auch mit dir wegfahren.“, erklärte ich. Lea schaute skeptisch. Dann bemerkte sie: „Da gäbe es nur ein kleines Problem: Mena hat keinen Freund.“ Das war nun wirklich ein Problem. Ohne Freund würde Mena nicht alleine weg fahren wollen. „Dann sorgen wir eben dafür.“ So schwer dürfte das ja bei Mena nicht werden. Wurde es auch nicht. Aber das kommt später. Apropos Mena, sie kam gerade rein. Meine Schwester trug ein hellgrünes Top und Jeans Shorts. In die Haare hatte sie eine gelbe Hawaiblume gesteckt. Natürlich keine echte, so eine, die extra für die Haare ist. Ich hatte zwar keine Ahnung, warum sie dafür drei Stunden gebraucht hatte, aber es sah wirklich gut aus. Wie eigentlich immer. Hätte ich Mena nicht wenigstens ein bisschen ähnlich sehen können?

So was müsste doch eigentlich genetisch veranlagt sein. „Können wir los?“, fragte Mena.  „Wir warten nur auf dich“, erklärte Lea und schulterte ihre Tasche, die sie über den Stuhl gehängt hatte, und stand auf. „Ich hol nur noch eben Sissi“, verkündete ich und machte mich auf den Weg zu Sissis Zimmer. Da war sie natürlich nicht. Im Gegensatz zu anderen Kindern hielt sich Sissi oft woanders auf als in ihrem Zimmer. Ihre bevorzugten Orte waren mein Zimmer, unser Wohnzimmer und unsere Küche. Bei Mena war sie nie, weil Menas Zimmer immer abgeschlossen war. Ich hatte mal überlegt, es bei meinem Zimmer genauso zu machen, aber dann hatte einmal das Schloss geklemmt und ich war stundenlang in meinem Zimmer eingesperrt. Seitdem schloss ich nur noch das Bad ab.

Ich machte mich also auf die Suche nach Sissi. Im Wohnzimmer konnte sie nicht sein, also schaute ich zuerst in meinem Zimmer nach. Da sah ich sie natürlich auch nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen. Wieso konnte Sissi sich nicht wie ein normales Kleinkind benehmen?

Aber na gut, dann lief ich eben noch in die Küche. Komisch. Da war sie auch nicht. Zur Sicherheit rief ich trotzdem noch in den Raum: „Sissi, wir gehen shoppen. Es wäre viel schöner wenn du mitkommst!“ Keine Reaktion. Ok, sie war ganz sicher nicht hier. Als ich noch woanders suchen gehenwollte, kam mir Mum entgegen. „Mum, hast du Sissi gesehen?“, fragte ich. Es war eine rhetorische Frage. „Nein, hab ich nicht.“ Eine rhetorische Frage erfordert eine rhetorische Antwort.

Und ich machte mich wieder auf die Suche. Aber Sissi war weder im Schlafzimmer von meinen Eltern noch im Bad oder auf dem Dachboden. Langsam hatte ich wirklich keine Lust mehr.

Als letztes lief ich in den Keller. Dort fand ich Sissi, die auf Zehenspitzen auf einem Stuhl auf dem Trockner stand (fragt mich nicht, wie sie da hoch gekommen ist) und in aller Seelenruhe versuchte, eins von den darüber hängenden Kabeln zu sich runter zu ziehen.  „Was machst du denn da?“, schrie ich schockiert.  Ich meine, so was ist doch total gefährlich. Sowohl der Stuhl als auch der Trockner hätten kaputtgehen können. Ich hob Sissi vom Stuhl und setzte sie neben mir ab. Sissi schaute mich mit großen, irritierten Augen an und sagte: „Ich wollte Wurm spielen.“ „Sissi, das sind Kabel, keine Würmer“, erklärte ich, während ich versuchte, den Stuhl vom Trockner zu heben, ohne mich, Sissi den Stuhl oder den Trockner zu beschädigen. Wie hatte Sissi den Stuhl da hoch bekommen? Sie war sogar noch kleiner als der Trockner und normalerweise musste man ihr immer schon helfen, wenn sie „Fang den Frosch“ nach unten tragen wollte.

„Du weißt doch was Kabel sind, oder?“, fragte ich. Sissi nickte. Ok, von vorne ging es nicht. Ich musste den Stuhl von der Seite runterholen. Das ging viel besser. Innerhalb einer Sekunde stand die zweckentfremdete Sitzgelegenheit auf unserem Kellerboden. Da ich es nicht für meine Aufgabe hielt, den Stuhl nach oben zu tragen, ließ ich ihn einfach im Keller stehen. So konnte meine Mutter sich wenigstens immer hinsetzen, wenn sie unsere Wäsche wusch.

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