Das Urlaubsziel

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Als wir zu Hause ankamen, wollte ich meine Schultasche schwungvoll in die Ecke werfen und da die ganzen Ferien über liegen lassen. Leider nahm ich ein bisschen zu viel Schwung und zielte nicht richtig, meine Tasche flog in hohem Bogen die Kellertreppe runter. Ich zuckte mit den Achseln. Da konnte sie auch liegen bleiben. Zum Glück kam meine Mutter erst jetzt rein. „Hallo! Wo wart ihr so lange?", begrüßte sie uns. „Ähm...", fing ich an und schaute betreten zu Boden. Das hatte ja heute Morgen auch schon was gebracht, „Ja, Melanie?", hakte meine Mutter nach. Mist! „Also...wir hatten in der ersten Stunde Deutsch", erklärte ich ihr und hoffte, dass sie sich damit zufrieden geben würde. Aber Eltern sind manchmal scheisse. „Was soll das den heißen?", schrie meine Mutter mich an. „Das die mich nachsitzen lassen hat!" schrie ich zurück." "Du brauchst mich deswegen aber nicht so

anzuschreien", sagte Mum. „Du hast doch selber geschrien", schrie ich. Na gut, vielleicht nicht unbedingt geschrien, eigentlich hatte ihre Stimme nur ein bisschen angehoben, aber trotzdem.

Eltern sollen ihre Kinder nicht anschreien. Das ist Erziehungswissenschaftlich (keine Ahnung, ob es das Wort gibt) undenkbar. Mum schüttelte den Kopf und wandte sich an Mena: „Und du?" „Ich hab ne Wette verloren", antwortete diese, ohne mit der Wimper zucken.

Das war die älteste und schlechteste aller Ausreden, aber ausgerechnet darauf viel meine Mutter herein?

Und ich hatte mir Mühe gegeben und es mit der Wahrheit versucht! Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Aber ich war gerade in so einem Zustand, vielleicht kennt ihr ihn: Wenn er einmal von einem Besitz ergriffen hat, kann man an nichts anderes mehr denken. Man hat ein flaues Gefühl im Magen und alles andere ist nur noch nebensächlich. Es ist, als würde dein kompletter Körper nur aus diesem einen Gefühl bestehen. Es ist schrecklich. „Mea?", hörte ich meine Mutter aus der Küche rufen „Kommst du jetzt? Ich dachte du hast Hunger!"

Ich sage doch, es ist ein scheiß Gefühl.

Als ich in die Küche kam, war mein Dad schon da, mit Sissi auf dem Schoß. Komisch, eigentlich kam er erst immer um acht oder halb neun da. Hoffentlich wurde ihm nicht gekündigt. Dann würde ich nämlich ganz bestimmt nicht diese teuren, neuen Schuhe bekommen (die würde ich wahrscheinlich auch so nicht bekommen, aber es blieb mir wenigstens dieses kleine Fünkchen Hoffnung).

Und Mena konnte sich ihre Extensions auch abschminken.

Wie lange Haare wollte die eigentlich noch haben?

Dad sah auch ziemlich frustriert aus. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass Sissi partout das Kartoffelpüree nicht essen wollte, obwohl es sonst ihr Lieblingsessen war. Dad versuchte es jetzt mit dem berühmten „Flugzeug Trick".

Er musste schon viel probiert haben, sonst würde er so etwas niemals machen. Er sagte immer, Mena und ich hätten es auch so geschafft. Aber alles bemühen nützte nichts, immer wenn Dad sagte „Und dann landet das Flugzeug...", kniff Sissi die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Als er reinkommen sah, drehte er sich um und sah mich hilflos an. Wie sollte ich ihm denn da jetzt weiter helfen? Er war doch der Familienvater.

Sissi bemerkte mich jetzt auch, sprang von Dad's Schoß und lief mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

Das tat sie nicht etwa, weil sie mich besonders gern mochte, nein, so begrüßte sie jeden. Nur bei Mena hatte sie es nach einer Zeit aufgegeben, weil Mena sie immer nur weg geschoben hatte.

Als Gegenleistung zu ihrer netten Begrüßung erwartete sie jetzt natürlich von mir, dass ich sie auf den Arm nahm. Und weil ich ja so eine tolle große Schwester war tat ich ihr den Gefallen.

Ich wollte meine Schwester eigentlich nur einmal herumwirbeln und wieder absetzten, aber sie hatte sich in weiser Voraussicht schon sich an meinen Hals geklammert. „Wieso bist du schon da?", fragte ich Dad, während ich versuchte, Sissi irgendwie aus meinem Blickfeld zu bekommen. „Überstunden abfeiern", antwortete Dad grinsend „Aber feiern ist mit Sissi ein bisschen schwer." (Toller Witz, wirklich, toller Witz) „Ich hab keine Ahnung, warum sie das nicht essen will." „Warum isst du das denn nicht?", wandte ich mich vorwurfsvoll an Sissi, obwohl ich mir sicher war, dass sie diese Frage schon fünf Mal gehört haben musste „Ich esse kein Bambi!", sagte Sissi voller Überzeugung. Das war mir schon klar. Ich würde auch kein Bambi essen. Aber was da auf ihrem Teller lag war nun mal kein Rehkitz mit großen, braunen Augen, sondern ein kleiner Haufen zerstampfter gelber Kartoffel Weil mein Dad immer noch so hilflos aussah, musste wohl oder übel ich versuchen, es zu verstehen.

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