Die Augen

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Am nächsten Tag wachte ich, wie für mich eigentlich üblich, schon um halb acht auf. Ich schlich mich leise in Bad, um Lea nicht zu wecken. Ich zog meine Sporthose und das rote Top vom Tag davor an. Es war zwar schon ein bisschen dreckig, aber zum Turnen reichte es noch.

Der Strand war dieses Mal zwar komplett leer (verständlich, um die Uhrzeit), aber ich lief trotzdem bis zu der Stelle, an der ich letztes Mal auch trainiert hatte. Das Karma war da gut.

Leider konnte ich mich schnell nicht mehr konzentrieren. Vielleicht doch nicht so gut, das Karma. Aber irgendwie, nein, das hatte einen anderen Grund. Ich fühlte mich beobachtet. Wer konnte das denn sein? Wer war denn so geisteskrank und war um diese Uhrzeit schon hier draußen? Außer mir, meine ich jetzt.

Ich blickte mich zu allen Seiten um, und im Dschungel, hinter einem Baum, sah ich ihn. Ich sah nur seine Augen und etwas kakaofarbene Haut. Doch diese Augen fingen mich und ließen mich nicht mehr los. Ich wusste nicht, wie lange wir uns ansahen. Waren es Minuten? Oder nur Sekunden? Ich verlor jegliches Zeitgefühl, ich starrte einfach diese Augen an. Es waren die schönsten Augen die ich je gesehen habe. Die Iris leuchtete außen in einen helleren braun, dann wurde sie dunkler und am Ende konnte man sie nicht mehr von der Pupille unterscheiden. Ich wollte diese Augen ewig angucken, mein ganzes Leben lang. Doch irgendwann verschwanden sie. Ich wollte schreien, dass er bleiben soll. Doch ich blieb einfach stehen und starrte ihm hinterher. Irgendwann realisierte ich, dass da nichts mehr war, keine mich fesselnden Augen, nur noch Dschungel. Ich schloss die Augen und drehte mich weg, sah das Meer und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wischte sie unsanft weg und schimpfte mit mir selbst, es konnte doch nicht sein, dass ich wegen einem paar schönen Augen weinte. Aber es waren eben die schönsten Augen die ich je gesehen habe und, und … MANN! JETZ REICHTS MEA! Ich stampfte mit dem Fuß auf und fluchte, so laut ich konnte, das Schlimmste was ich kannte. Ich fluchte bis mir nichts mehr einfiel und ich wieder klar denken konnte. Dann fasste ich einen Entschluss. Ich würde diese Augen wieder finden. Und nicht nur die Augen, auch den Mensch dazu. Selbst wenn ich den ganzen Dschungel absuchen würde, ich würde ihn finden.

*

Ich weiß, die ganze letzte Seite klang genauso wie in jedem kitschigen Liebesroman. Ich hasse kitschige Liebesromane! Das war alles immer so unrealistisch. Genauso unrealistisch wie diese Augen… ok, ich musste aufhören. Sofort! Wir waren hier ja nicht bei Romeo und Julia. So, ich musste jetzt Schritt für Schritt vorgehen. Zuerst mal musste ich mit Lea reden. Na klar, ich würde ihr nicht ALLES erzählen, zum Beispiel nicht, dass ich geheult hatte. Das war ja auch irrelevant.

Ich lief zu unserem Zimmer, stieß die Tür auf und rüttelte an Leas Schulter. Lea machte nicht mal die Augen auf, sie murmelte nur: „lass mich schlafen“ und drehte sich weg. Okay, dann eben auf die harte Tour. Ich riss das Rollo hoch und gleißendes Sonnenlicht durchflutete unser Zimmer. „Man!“, rief Lea „Mach das Licht aus! Willst du mich umbringen?“ „Tut mir leid, das ist leider die Sonne.“ „Dann mach die Sonne aus!“ Ich ließ die Sonne an.

„Ich hab einen Jungen gesehen.“ „Ja toll. Jetzt mach das Licht aus.“ „Ich habe einen Jungen im Dschungel gesehen.“ Endlich bequemte sich Lea mal dazu, die Augen auf zu machen. „Hast du geweint??“, fragte sie sofort. Soviel zu „das sage ich ihr nicht“. „Sieht man das so deutlich?“ „Ja.“ Mist! „Ja hab ich, aber das ist egal. Ich habe einen Jungen gesehen.“ „Das sagtest du bereits.“ Ein bisschen mehr Begeisterung hätte ich von ihr schon erwartet. „Soll ich es dir erzählen?“ „Wenn du willst.“ Ok, es war früher Morgen. Es war normal, das Lea sich nicht für einen Jungen begeistern konnte, den sie noch nie gesehen hatte. Aber erzählen wollte ich trotzdem „Ich war turnen. In der Nähe vom Dschungel. Und da hab ich diesen Jungen gesehen. Beziehungsweise, nur seine Augen. Du hättest seine Augen sehen müssen“, erklärte ich. „Ja ja, weiter?“ „Es geht nicht weiter. Das war alles.“ „Du hast dich in die AUGEN von einem Jungen verliebt?“ „Ich bin nicht verliebt“, entgegnete ich eingeschnappt. „Und weswegen hast du dann geweint, als er weg war? Hast du am Strand Zwiebeln geschnitten, oder was? Komm, wir suchen deinen Traumprinzen.“  „Traumprinzen“, wenn ich das schon hörte. „Jetzt?“ war sie nicht gerade noch ungeheuer müde? „Ja, jetzt. Aber zieh dir was anderes an, sonst hast du am Ende mehr Kratzer als Haut.“ „Danke für die Warnung.“ Als ob ich vorgehabt hatte, das an zu lassen, pff. Das Top war doch dreckig.

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