Eine andere Welt

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Um Punkt halb vier war ich top gestylt. Ja gut, ich gebe ja zu, das mit dem turnen hatte ich auf 5 Minuten verkürzt. Es konnte ja auch sein, das Krisch auf einmal über Nacht die ganzen hübschen Mädchen in seinem Dorf bemerkt (es GAB hübsche Mädchen, da war ich mir sicher) und dann mit mir Schlussmachen will, weil er sich lieber eine hübsche Brasilianerin nehmen will. Eher unwahrscheinlich, aber ich wollte es nicht drauf ankommen lassen. Jetzt sah ich gut aus und selbst WENN Krisch mit mir Schluss machen wollte, würde er seine Meinung bestimmt noch mal ändern. 

Es klopfte an der Tür. Krisch! Ich riss an der Türklinke. Dadurch ging die Tür leider nicht auf, es löste sich lediglich eine Schraube aus der Verankerung der Türklinke. Leider hatte ich mich so schnell bewegt, dass ein paar Haare an meinem Make-up klebten. Ich strich sie mir aus dem Gesicht.

Mein Freund (man, das zu schreiben, ist fast so cool wie das Wort „Italiener“), lächelte mich an. „Hey, warum so stürmisch?“  Bevor ich ihm eine Antwort gab, küsste ich ihn erst mal. Begrüßung musste sein! „Ich will halt noch was von deiner Welt sehen!“ „So?“ Ich trug weder High Heels noch Kleid, stattdessen Turnschuhe, Jeans, ein Tank-Top und meinen Hut. Ich fand, dass damit sehr dschungeltauglich aussah. Deswegen schmollte ich auch, als Krisch das sagte. „Schatz, wenn du so durch den Dschungel läufst, dann kommst du total zerkratzt und verbrannt wieder.“ Ich fand es ziemlich cool, das Krisch mich immer „Schatz“ oder „Süße“ nannte. Das machte ansonsten nur meine Mutter. Die hatte allerdings noch ein paar andere peinliche Spitznamen, zum Beispiel „Meine kleine Waschmaschine“. Fragt einfach gar nicht.

Trotz den netten Namen wollte ich mich nicht umziehen. Es war doch viel zu warm, um noch eine Jacke oder so was über zu ziehen. Meine Meinung änderte sich schlagartig, als Krisch plötzlich sein T-Shirt aus und mir überzog. Mein Gott, dass roch ja total gut. Es fühlte sich auch toll an, es kratzte überhaupt nicht. Es war zwar ungefähr sechs Nummern zu groß und hing an mir runter wie ein Sack, aber das störte mich überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich freute mich. Ich wurde noch glücklicher, als Krisch diesen einen, sehr süßen (und sehr sexy) Satz sagte: „Das war auch der einzige Grund, warum ich es heute angezogen habe.“

*

Zwei Stunden später liefen wir durch den Dschungel. Aber nicht über den Weg, nein, das wäre ja viel zu langweilig gewesen. Nein, wir mussten natürlich querfeldein laufen, zwischen den riesigen Dschungelbäumen her durchs Gestrüpp, wo uns alle zwei Minuten ein Affe ansprang und wir zwischendurch immer halb im dreckigen Schlamm versanken.

Es war so was von cool!

Die Natur um mich herum war so anders als in Deutschland. Die Bäume waren größer und alles war,… wilder. Am allermeisten der Typ, der vor mir lief.  Krisch und ich hatten beide noch keinen einzigen Kratzer abgekriegt. Bei mir lag es daran, dass Krisch alles, was mir irgendwie in den Weg kam bei Seite räumte. Warum seine Haut noch vollkommen unversehrt war, wusste ich auch nicht. Ich an seiner Stelle hätte schon ausgesehen wie ein geschlachtetes Schwein, so oft hätte ich meine Haut aufgekratzt. Aber wahrscheinlich war es einfach die Gewohnheit. Ich lief auf meinem Schulweg ja auch nicht vor das nächste Auto. Wenn man das so betrachtet war es in Deutschland sogar gefäh…in dem Moment, in dem ich diesen äußerst überzeugenden Gedanken zu Ende denken wollte, sprang mir etwas auf die Schulter. Da saß ein kleines, hellbraunes Äffchen. Ok, ich nehme alles zurück. Liebe Kinder, fahrt niemals nach Brasilien. Da ist es viel zu gefährlich. Bleibt lieber in eurem schönen, gesitteten, sicheren Deutschland. Verstanden? Gut, dann soll bitte jemand endlich dieses Äffchen von meiner Schulter nehmen!

Ich sah Krisch bittend an. Aber der erkannte anscheinend den Gefährdungsgrad dieser Situation nicht, er lächelte sogar. Wie konnte er nur lächeln, wenn ich kurz davor war in Ohnmacht zu fallen? „Du hast Glück“, sagte er auch noch „Es mag dich. Eigentlich sind sie sehr scheu.“ „WAS SOLL DENN DARAN BITTE GLÜCK SEIN?!“, schrie ich. Krisch wusste, dass ich Angst vor Affen hatte! Ok, erzählt hatte ich ihm es jetzt nicht, aber er hätte es doch merken müssen! Er sah ein bisschen erschrocken aus. Also der Affe. Krisch auch, aber er hatte eine bisschen andere Art, es zu zeigen. Er kicherte. Später erfuhr ich, dass er das nur getan hatte, weil er erschrocken war (wie gesagt, eine komische Art, es zu zeigen), aber in dem Moment dachte ich natürlich, er wäre von mir belustigt. „HÖR SOFORT AUF ZU LACHEN UND NIMM DIESEN BESCHEUERTEN AFFEN VON MEINER SCHULTER!“, schrie ich. Endlich tat Krisch wie ihm geheißen. Na bitte. Da  hatte auch er endlich mal verstanden, wer in unserer Beziehung die Richtung vorgab. Krisch griff von hinten nach dem Äffchen und versuchte, es von mir weg zu ziehen. Aber das Äffchen hatte sich so fest in den Stoff von meinem (Entschuldigung, Krischs, natürlich) T-Shirt festgekrallt, dass selbst jemand, der mit solchen Tieren Erfahrung hatte, es nicht davon los bekam. Ich fing an zu zittern und dummerweise auch zu weinen. Ich hatte noch nie, nie, so viel geweint wie in diesem Urlaub. Und vor allem fast immer, wenn Krisch dabei war. Was war denn, wenn er sich gerade deswegen in mich verliebt hatte? Wenn er auf Heulsusen stand? Würde er sich dann wieder von mir trennen, nur weil ich eigentlich nicht überdurchschnittlich oft weinte? Bei diesem Gedanken musste ich direkt noch mehr heulen. Krisch kam her und umarmte mich (sofern das mit einem Äffchen auf der Schulter eben ging). „Es tut dir nichts, okay? Es mag dich.“ Wusste ich ja. Aber ich mochte es nicht. Trotzdem, Krisch Stimme beruhigt mich. Ich schaute zu ihm auf. Er zog mich näher an sich. Gerade, als unsere Lippen sich berührten sprang das Äffchen von meiner Schulter. Ich konnte es verstehen. Ich hatte bei Sexualkunde auch immer die Augen zu gemacht.

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