Der Dschungel

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Als ich den Dschungel betrat passierte nichts. Nichts! Überhaupt nichts! Kein Applaus, kein „das war die richtige Entscheidung“, kein Tier das auf mich zukam, nicht mal ein Vogelzwitschern. Hallo? Ich änderte gerade mein ganzes Leben und niemand bemerkte es. Niemand! Nicht meine Eltern, nicht meine Geschwister, nicht die Italiener, nicht Paolo, nicht die Leute zu Hause in Berlin, noch nicht einmal Lea, obwohl sie neben mir stand. Für sie war es einfach nur ein Ausflug in den Dschungel. Für mich auch, aber für mich war es eben ein Ausflug in den Dschungel, der mein Leben veränderte. Wenn ich den Jungen fand.

Was unwahrscheinlich war. Sehr unwahrscheinlich. Der Dschungel war groß. Na gut, vielleicht würde dieser eine Schritt in den Dschungel mein Leben doch nicht von Grund auf verändern. Aber andererseits, wenn „Komm jetzt“, murrte Lea genervt. Sie war schon ungefähr fünfzig Meter tiefer im Wald als ich. Ich beeilte mich, zu ihr zu kommen, was allerdings keine einfache Angelegenheit war, da der Dschungel praktisch nur aus Unterholz bestand. „Also wo genau sollen wir anfangen?“ Lea sah sich kritisch um. Hhhm, irgendwie war der Dschungel noch  größer als ich gedacht hatte. Genauer gesagt, riesig. Es gab nirgendwo ein Ende und vor allem: Es gab keinen Weg. Man musste querfeldein gehen. Aber wo lang? Ich überlegte lange, und irgendwann kam ich zu der Entscheidung, dass es wohl am besten wäre, vorwärts zu gehen. Nur die Richtung war ein Problem. Rechts, links, geradeaus oder schräg? Aber eins war sicher, egal für was wir uns entscheiden würde, wir würden nicht wieder zurück finden.

Wartet mal, war da nicht was? Ca. fünfzig Meter weiter rechts? Konnte es wirklich sein? Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Ja, wirklich, da war ein Weg.

Ich atmete erleichtert aus und winkte Lea mir zu folgen. Um zum Weg zu kommen, mussten wir erst mal wieder aus dem Dschungel raus. Und am Strand konnte man den „Eingang“ vom Dschungel eigentlich kaum übersehen. Der Weg war breit und darüber hing ein Schild auf dem stand: „Enjoy the Jungel“. Dann würden wir mal den Jungel enjoyen.

*

Dieses Phänomen konnte man nun wirklich nicht mit Dänemark vergleichen. Womit ich nicht sagen will, dass die Wälder in Dänemark nicht schön waren. Nur ein mit ein paar mehr Tannen und ein paar Weniger Mammutbäume. Generell, Bäume. Es gab hier Bäume, die ich vorher noch nie gesehen hatte, in allen Größen und mit den verschiedensten Blättern. Bäume, Bäume, Bäume. Überall Bäume.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich jemals so für Bäume interessieren könnte. Interessieren war vielleicht das falsche Wort, denn ich fand sie immer noch stink langweilig. Aber sie waren schön. Überhaupt der ganze Dschungel war schön. Nur fing es dummerweise nach zehn Minuten an zu Regnen. „Man, es regnet!“, fluchte ich, als ob Lea das noch nicht selbst bemerkt hatte. „Deswegen heißt es ja auch REGENwald“, sagte Lea. Machte Lea der Regen denn überhaupt nichts aus? „Stell dich nicht so an. Das ist noch nicht mal Regen, das ist Nebel.“ Es war doch egal, ob es Regen oder Nebel war!

Jedenfalls war es nass.  

*

Nach einer weiteren Viertelstunde lag meine Bluse nass und schwer auf meinen Schultern, aber viel schlimmer war: Der Weg hörte auf.

Irgendwann gab es nur noch einen kleinen Pfad und ein Schild wies darauf hin, dass man ab hier nur noch mit Führung weiter durfte. Na toll. So fanden wir den Jungen sicher nie. Aber eigentlich hatte ich doch eine Führung. Lea war die ganze Zeit vor mir gegangen, also führte sie mich doch.

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