Wie finde ich ihn?

59 2 0
                                    

Ich würde mal sagen, das war nicht so leicht. Am nächsten Tag fand ich nämlich noch nicht mal eine Minute, um in den Dschungel zu gehen, was sich nun wirklich nicht lohnte. Allerdings war die andere Seite der Insel wirklich ziemlich schön. Habe ich das Adjektiv „schön“ schon mal verwendet? Sagen wir, die andere Seite der Insel sprach mich an. 

Die Häuser waren klein und bunt und die Leute wirkten nett. Nur den Jungen sah ich nicht. Warum konnte er nicht wie jeder normale Mensch in einem Haus leben? Was war so toll daran, im Dschungel zu leben? Ich verstand es einfach nicht. Wieso müssen alle Leute der kleinen Mea das Leben schwer machen?

Plötzlich kam eine alte Frau auf mich zu. Sie hatte so etwas an sich, dass mich stehen bleiben ließ. Viel Gewicht, sehr viel. Sie versperrte mir den ganzen Weg.

Langsam holte sie mit ihren zittrigen Händen ein Armband aus der Tasche und band es um meinen Arm. Dann drückte sie meine Hand fest, lächelte mich mit einem zahnlosen Lächeln an und sagte: „mögen deine Wünsche in Erfüllung gehen“ Ich wusste nicht, ob das genau ihre Worte waren, sie hatte schließlich Portugiesisch gesprochen, aber so etwas Ähnliches wird sie schon gesagt haben.

„Danke“, mehr konnte ich nicht auf Portugiesisch, dann verschwand die alte Frau auch schon wieder zwischen den Menschen. Natürlich verschwand sie nicht im wörtlichen Sinn, sie war ja schließlich unübersehbar, aber sie machte mir den Weg frei. Ich strich über das Armband an meiner Hand. Ich hatte zwar schon viel über falsche Zauberer und so was gehört, aber ich beschloss, die Frau trotzdem zu mögen, denn das Armband war ziemlich schön.

Nachdenklich machte es mich trotzdem. Denn ich fand es schon ein bisschen merkwürdig, dass selbst vollkommen fremde Leute sofort sahen, dass etwas mit mir nicht stimmte. Vielleicht machte diese Frau das bei jedem Menschen, der auch nur annährend nach Tourist aussah, aber wenn man da diese Möglichkeit betrachtete, dass sie es wirklich ernst meinte, und dass konnte sein, denn sie hatte ja schließlich kein Geld verlangt, musste ich mir schon ein bisschen Sorgen machen. Eigentlich sah ich doch vollkommen normal aus, hatte keine Verletzung, noch nicht mal eine einzige Schramme, ich hatte keine verheulten Augen, meine Schminke war nicht verschmiert, ich war noch nicht einmal geschminkt. Außerdem sah ich nicht unbedingt so aus, als wenn mir die ganze Welt vollkommen egal wäre, ich war gestylt und hatte frische Anziehsachen an. Also, wie ist diese Frau darauf gekommen, dass ich etwas brauchte, womit meine Wünsche erfüllt werden könnten?

Ich strich noch einmal nachdenklich über das Armband. Es war wirklich schön. Und schaden würde es auf jeden Fall nicht. „Lea guck mal, ist das nicht schön?“ ich bekam keine Antwort und sah auf. Mist, jetzt hatte ich irgendwie meine Familie verloren. Na gut, kein Panik, das Örtchen hier war nicht wirklich groß, und wahrscheinlich gibt es auch irgendeinen Menschen der Englisch spricht. Das dachte ich, und dann rannte ich loß. Ich rannte und rannte und rannte, vorbei an Ständen und Häusern, immer auf der Suche nach meiner Familie. Ich rannte immer weiter, bis plötzlich irgendjemand in mich rein rannte. „Sissi“, rief ich überglücklich und konnte nun auch den Rest meiner Familie etwas weite hinten erkennen. Beziehungsweise, nur Menas blonden Dutt, der sich deutlich von den schwarzen Haaren der Einwohner abhob, aber das reichte. Ich nahm Sissi auf den Arm, die komischerweise wieder leichter geworden war, und beeilte mich, zu dem Rest von meiner Familie zu kommen.

Als wir das Ende des Städtchens erreicht hatten, kamen meine Eltern auf die Idee, noch auf einen Hügel zu wandern. Sie versuchten, uns für die Wanderung zu begeistern, indem sie sagten, es handle sich um eine Klippe, aber bei einer Höhe von zehn Metern war diese Beschreibung nun wirklich leicht übertrieben. Um sie für die Besucher noch abschreckender zu machen, führten die Planer des Weges diesen nicht direkt auf die Klippe sondern noch einmal halb um die Insel herum, und danach auch nicht gerade auf die Klippe sondern im Zickzack-Kurs. Das schrie doch alles danach, dass man von dieser Klippe fernbleiben musste. Aber meine Eltern ließen meine Argumente mal wieder nicht gelten.

Vollkommen planlosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt