Brasilien, wir kommen!

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„Habt ihr auch wirklich alles eingepackt?“ „Mena, bist du dir sicher, dass du drei Koffer mitnehmen willst?“ „Melanie, kannst du Sissi mal beim Kofferpacken helfen?“ So ging das seit Tagen. Manchmal behandelte Mum uns wie Kleinkinder. Bei Sissi war das ja noch einigermaßen verständlich, aber manchmal schien sie Mena und mich mit der Kleinen zu verwechseln. Meiner Meinung nach sollten Geschwister sowieso nicht so einen großen Altersunterschied voneinander haben. Aber mich fragt ja keiner. Dabei war ich bei Sissis Zeugung schon längst aufgeklärt.

Am Abreisetag war es am schlimmsten. Alle drei Sekunden fragte Mum uns etwas, was wir ihr schon tausend Mal beantwortet hatten, während sie hektisch herum lief. „Melanie, hast du wirklich alles eingepackt?“ „Mum, wie oft willst du das eigentlich noch Fragen?“

„Tut mir leid, Melanie. Aber wir  fahren nun mal zum ersten Mal für drei Wochen in den Urlaub.“ „Ist schon ok, Mum“, sagte ich. „Wirklich?“ „Klar“ „Gut, dass du das verstehst. Du bist wirklich schon sehr erwachsen“, fand Mum. „Aber du hast wirklich alles?“ Ihr versteht sicher, warum ich auf mein Zimmer flüchtete. Dort setzte ich mich auf mein Bett und schaltete meinen Laptop an

(ich würde ihn so vermissen). Mein Internet war mal wieder total langsam, aber ich hatte Facebook zum Glück schon als Startseite eingestellt. Ich hatte keine Benachrichtigungen, keine Freundschaftsanfragen und keine Nachrichten. Das deprimierte mich schon ein bisschen, aber dann rief ich mir wieder ins Gewissen, dass in den zwei Minuten, in denen ich weder mit meinem Handy noch mit meinem Computer auf Facebook gewesen war, nicht so viel passieren konnte. Nachdem ich mir meine eine neue Meldung angesehen hatte (Jonathan gefiel Clearasil) und nichts Neues mehr passierte, entschied ich, Lea anzuschreiben.

Sie kam zwar in einer halben Stunde, aber für ein „Hi“ würde die Zeit ja wohl noch reichen. 

*

Wir schafften es tatsächlich, eine Stunde bevor unser Flug ging am Flughafen zu sein. Laut Mum grenzte das an ein Wunder. Aber Lea, Mena, Dad, Sissi und ich, -kurz gesagt: alle anderen-fanden es absehbar.

Obwohl wir Zeit hatten, guckte Mum andauernd auf ihre Uhr. „Also wir müssen jetzt zuerst unser Gepäck abgeben. Wo ist der Gepäckschalter?“, verkündete Mum. O mein Gott, Mum! Das konnte ja nichts werden. Der Gepäckschalter war direkt vor uns. „Dreh dich mal um.“ Mum drehte sich um und grinste entschuldigend.  Die Frauen am Gepäckschalter schauten uns an, als wären wir Aliens.

Als wir am schließlich dort angekommen waren, machte Mum es nicht besser, in dem sie fragte: „Habt ihr auch wirklich alles eingepackt?“ „Ja, Mum“, antworteten Mena und ich im Chor. Ok, wir waren zwar weder grün noch hatten wir Antennen auf dem Kopf, aber als Aliens würden wir locker durchgehen.

„Auch genug warmes? Es könnte auch mal kalt werden.“ „Wenn ich mich einmischen darf“, sagte die Frau am Schalter leise. „Auf der Ilha do Amor liegt die Durchschnittstemperatur bei 28 Grad Celsius und die Durchschnitts Tagestemperatur bei 31 Grad Celsius.“

Ich war mir ziemlich sicher, dass Mum das wusste. Aber bei 28 Grad keine Jacke anziehen? Das ging nicht!

Wir gaben das Gepäck ab, mussten aber wegen Menas drei Koffern ziemlich viel dazu bezahlen. Zum Glück regten sich Mum und Dad nicht darüber auf. Wenn wir bei dem Urlaub alles bezahlen müssten, hätte vor allem Dad sich ziemlich aufgeregt.

Aber wir hatten ihn ja gewonnen. Der Flug war inklusive. Pauschalreise, sozusagen. Nachdem wir kontrolliert worden waren, machten wir es uns auf dem Platz gemütlich, wo auch die anderen Fluggäste warteten. Wir hatten noch eine Viertelstunde Zeit. Dann verkündete eine Frauenstimme durch die Lautsprecherboxen: „Alle Passagiere des Fluges Berlin-Macapá bitte das Flugzeug besteigen.“ Das war unser Flug. Ich schulterte meine Tasche, die ich als Handgepäck mitnehmen durfte. Wir liefen durch den Gang, über den man zum Flugzeug kommt und suchten unsere Plätze. Lea und ich saßen nebeneinander, vor uns saßen Dad und Sissi. Unsere Eltern wollten, dass jemand von den Erwachsenen neben Sissi sitzt. Also trottete Mena neben Mum. Gerade hatte sie sich hingesetzt, da tönte es schon aus den Lautsprechern: „Bitte schnallen sie sich in ihren Sitzen an. Wir starten.“ Mir wurde schlecht. Ich war erst einmal in meinem Leben geflogen, als ich sieben war. Damals hätte ich fast das ganze Flugzeug vollgekotzt. Aber diesmal hatte ich mich vorbereitet. Ich kaute ein Reisekaugummi und zwang mich, nur geradeaus zu gucken. Das klappte sogar,… überhaupt nicht. Schon nach einer Minute schaute ich mich panisch nach irgendeinem Mülleimer oder einer Spucktüte um. Es war schrecklich. Dann, ganz plötzlich, war alles wieder normal. „Mea, wir sind oben, du kannst dich abschnallen.“

Lea. Erst jetzt merkte ich, dass ich die Lehnen meines Sitzes krampfhaft festgehalten hatte. Ich lockerte meine Hände, schnallte mich ab und lachte über mich selbst. Wieso machte ich mich überhaupt so verrückt? Es war doch nur ein Flug. Ein zwölf Stunden langer Flug. Wo der Pilot zwischendurch einfach einschlafen könnte. Oder das Flugzeug zu wenig Benzin haben könnte und wir Notlanden müssen.

Seht ihr, nichts Schlimmes. Ich würde einfach cool bleiben. Ich war ja auch schon einmal geflogen.

Von Berlin-Schönefeld nach Berlin-Tegel.

Und, waren wir da abgestürzt?                                          *

Der Flug war so was von langweilig. Am Anfang war es ja ganz schön, aus dem Fenster zu gucken und was anderes als Berlin von oben zu sehen, aber schnell sahen alle Städte irgendwie gleich aus.

Lea kam irgendwann auf die Idee, die „Ilha do amor“ zu googeln. Ich kannte die Seite zwar schon, aber vielleicht fand man doch noch was Interessantes.

Leider hatte sich in der Zwischenzeit keiner erbarmt und die Seite mal überarbeitet. Es war immer noch alles auf Portugiesisch. Es sah so ähnlich aus wie Spanisch und weil wir das beide konnten, versuchten wir uns den Text zusammen zu reimen. Es ging nicht. Bei ersten Satz bekamen wir nur „Dieses Hotel“ und „liegt“ raus, beim zweiten Satz nur „Oder Meer“ und „Exzellent.“  So kamen wir nicht wirklich weiter. Plötzlich hatte Lea eine Idee: „Lass doch einfach einen Fragen der in Sao Paolo wohnt.“ „Glaubst du die können Deutsch?“, fragte ich. „Ne, aber bestimmt Englisch“, erklärte Lea. Wir suchten das Ganze Flugzeug ab, doch die Stewardessen forderten uns nett, aber bestimmt, auf wieder an unsere Plätze zurückzukehren. Wir überlegten und überlegten und dann gaben wir auf und kopierten die Seite in Google Übersetzer. Plötzlich rief Lea: „Mea, Ilha do amor, das heißt „Insel der Liebe!“ „Geht’s auch eine Spur leiser?“, fragte ich. „Weist du denn nicht was das bedeutet?“, quietschte Lea. Nein, wusste ich nicht. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich es unbedingt wissen wollte. Aber bevor ich das sagen konnte, verkündete meine beste Freundin schon: „Du wirst auf der Insel deine große Liebe finden!“ War sie jetzt total übergeschnappt? „Wie stellst du dir ihn denn vor. Also meiner Meinung nach sollte er Humor haben…“ Ja, war sie. Die nächste Zeit des Fluges verbrachte Lea damit, meinen Traumprinz zu erfinden.

*

Irgendwann ertrug ich es nicht mehr. Ich war müde und genervt. Sissi sang in Endlosschleife „come on barbie, let’s go party“ und Mena wollte erst mein Handy, dann meine Kopfhörer und dann mein Buch haben. Dann fand sie mein Buch aber doch langweilig und blätterte weiter in ihrer Modezeitschrift. Alles wurde untermalt von den Erklärungen meines Vaters: „Guckt mal, da unten ist das Meer.“ „Da ist die Sonne.“ „Da sind die Wolken.“

Ich suchte gerade auch etwas Wolkenähnliches. Ich durchwühlte lange meinen Koffer und…ah, da waren ja meine Oropax. Ich stopfte sie mir in die Ohren und

versuchte, irgendwie einzuschlafen.

Vollkommen planlosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt