Angriff

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Minuten verharrt er bei Hope, schaut sich das mittlerweile saubere Fell an. Streicht über es. Redet sanft mit ihm.
Rahel hält die Luft an. Macht keinen Mucks. Ihre Muskeln schmerzen und sie will weg. Ihr Instinkt sagt ihr aufzuspringen und abzuhaune. Dann häbe sie eine Chance weg zu kommen. Ihr Verstand sagt ihr aber genau das Gegenteil. Denn was würde aus Esmeralda und Hope werden?

Minuten der Spannung vergehen. Se quiero bien visita a ti. (Ich wollte sie gern sehen.) Nuschelt er in das Fell des Tieres. Ein Niese macht sich in Rahel's Nase breit und sie merkt, wie sie ihre Hand nimmt und ihre Nase hält um das Geräusch zu dämpfen. Doch zu spät. Sie niest. Der Mann hat sie gehört und dreht sich zu ihr um: ¿Hola? Seine tiefe Stimme dröhnt duch den Raum und Rahel macht keinen Mucks. Er geht weg, wenn ich nichts mehr mach!  Überzeugt von ihrem Plan sich nicht mehr zu bewegen bleibt sie still in ihrem Versteck. ¿Hola? ¿Quién es ahí? Es raschelt, als er durch das Stroh geht. Er kniet sich hin. Direkt vor Rahel und sie kann seine Hände sehen. Groß, aber nicht brutal. Kräftig, aber nicht alt.

Hablas con mi, por favor. Langsam streckt der Fremde eine Hand aus und tastet durchs Stroh. Angespannt, spürt Rahel, wie sich seine Hand ihren Körper entlang tastet und auf ihrer Brust liegen bleibt, kurz verharrt und weiter wandert. Perdón. Seine Hand ist sanft und tastet sie ab. Scheint, wie als würde er sie nicht sehen. Leise wartet Rahel ab, was passiert. Er hat ihre Schulter gefunden. ¿Hablas alemán?
Es raschelt als Rahel ihren Kopf zu einem Nicken bewegt: S...sí. Hablo ale... alemán. Stammelt sie.
Bien! Me también! Er lässt sich zurück fallen und macht es sich im Stroh bequem: Me llamo Marcellino. ¿Y tú? Rahel hat Angst. Sie starrt ihn aus ihren grünen Augen an. Lächelnd streckt er ihr die Hand entgegen. Hey, ich tue dir nichts. Sagt er sanft und wartet darauf, dass sie seine Hand nimmt. Doch sie bewegt sich nicht. Keinen Milimeter.
Sie liegt unter dem Stroh und versucht herauszufinden, was sie tun soll. Die Hand argwönisch anstarrend denkt sie nach: Ich hab kaum eine Chance gegen ihn. Er ist groß gebaut. Zumindenst größer als ich und um einiges Älter. Allerdings ist es nicht der Mann. Aber.. Vielleich ist das auch nur ein Ablenkungsmanöver um mich wieder zu ihm zu bringen. Marcellino? Erinnert mich an einen Film aus meiner Kindheit. Ein kleiner Junge, der bei Mönchen aufwächst. Nachdenklich entspannt sich ihr Blick langsam und sie mustert ihn genau: Her ist groß gebaut. Ziemlich typisch Spanisch, mit einer leicht deutschen Note im Aussehen. Er kann Deutsch. Das ist schonmal von Vorteil. Er hat längeres braunes Haar, das ihm leicht bis zu den Schultern reicht. Die Augen schauen sie klar und ruhig an. Sie sind dunkelblau, fast grau. Klar und offenherzig. Seine Haut ist hell, aber nicht annähernd so hell, wie ihre. Aber auch nicht typisch spanisch. Irgendwas an ihm zieht sie an. Sie beginnt neugierig zu werden. Das ist nicht gut! Rahel. Nein. Du kannst ihm nicht vertrauen! Er ist bestimmt nur da, um dich wieder mitzunehmen! Vergiss es!
Seine Augen mustern sie leicht. Er beginnt langsam das Stroh von ihr runter zu fegen und ihren zitternden Körper frei zu legen. Ich werde dir nichts tun. Ich will dir helfen. Vertrau mir.
Okay, wenn er mir noch einen Zentimeter näher kommt, hab ich gar keine Chance mehr. Ich muss hier weg! Jetzt!

Entschloss springt sie auf, schuckt ihn mit aller Kraft gegen die Stallwand und rennt aus der Box. Vom Inneren hört sie nur, wie der Körper des Mannes auf dem Boden aufschlägt und er stöhnt. Sie hat es geschafft. Als sie aus der Box rauskommt, findet stolpert sie.
Esmeralda liegt dort. Er hat sie ganz schön hart getroffen. Aus einer kleinen Wunde am Kopf sickert langsamm, still und heimlich Blut. Ich kann dich nicht hier lassen! Allein. Bei ihm!
Seufzend kniet sie sich neben den bewustlosen Körper ihrer Freundin und beginnt sie langsam zu rütteln. Esmeralda? Hey, genug geschlafen! Marcellino bewegt sich. Er hat sich aufgesetzt. Bitte, lass mich dir helfen! Ich werde dir nichts tun. Verzweifelt versucht er ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch diese gilt alleine Esmeralda. Sie ist es, um die sich Rahel's Gedanken im Moment drehen. Ich muss dich schützen. Und mich auch.
Eine Boxen weiter ist eine leere Box. Kein Pferd steht drin. Rahel nimmt Hope am Strick und führt sie in diese Box. Macht sie zu. Ich bin gleich wieder da. Aber ich muss dafür sorgen, dass dieser Mann nicht weg kann. Und vor allem uns nichts antun kann. Schnell geht sie zu der jetzt fast leeren Box und verriegelt auch diese, so dass der Mann nicht raus kommt.
Dann wendet sie sich wieder Esmeralda zu, die langsam wach wird. Hey, wie geht es dir? Komm. Langsam ohne eine Antwort abzuwarten, hilft Rahel Esmeralda auf und führt sie ins Haus.

Unter Esmeraldas Anweisungen verarztet sie ihre Wunde am Kopf und bettet sie dann  auf dem Sofa. Versorgt sie mit Trinken.
Ich... Ich bin gleich... wieder da. Der... Mann ist... im Stall ein...eingesperrt... stammelt sie und geht langsam nach draußen.
Allen Mut zusammenfassend geht sie rein: Wer bist du? Verzweifelt versucht sie ihre Stimme stark klingen zu lassen und ihre Angst zu verbergen. Das  habe ich doch schon gesagt. Seine Stimme klingt gedämpft. Er liegt wohl im Stroh. Ich bin Marcellino. Wer bist du? Es raschelt. Vermutlich versucht er sich aufzustemmen und auf die Boxentür zuzugehen. R...Rahel... Ich.... bin... Verwirrt, was gerade passiert, öffnet sie ihm die Tür.
Er sieht sie ruhig an. Rahel. Ein wunderschäner Name.
Er sieht sie klar an. Mustert sie von oben bis unten. Glaub mir. ich tue dir nichts.
Das hat er auch gesagt! Schreit Rahel ihn an. Wer? Verwirrung macht sich in seinen Augen breit. Wer hat das gesagt?
ER! Er! Dein Großvater oder so! Und jetzt! Willst du mich zu ihm zurück bringen?! Nur zu! Viel Spaß dabei! Ich werde aber nicht mitkommen... Marcellion macht einen Schritt auf sie zu und unterbricht sie: Wohin mitkommen? Von was redest du? Mein Großvater?
Unbeirrt schreit Rahel weiter. Tränen machen sich in ihren klaren grünen Augen breit und sie schluchzt: Geh! Lass mich allein. Hat er mich nicht schon genug gestraft?!
Rahel, genug gestraft? Womit? Mein Großvater ist tot. Und der andere lebt in Deutschland...
LÜGNER! Schreit sie. Und rennt auf ihn zu. Mit der Faust schlägt sie so fest sie kann auf seine Brust ein. Doch er wehrt sie mühelos sanft ab. Hey, ganz ruhig. Ich habe nichts getan und meine Familie auch nicht. Hablas con mi, po favor. Er hält sie sanft an den Handgelenken fest. Er hält mich! Jetzt nimmt er mich mit. Oder er tut es gleich hier selbst! Mich zestören. Ich bin mir sicher! Jetzt passiert es!! Sie spürt seinen Atem. Spürt seinen Griff. Spürt, wie er sie ansieht. Seine Augen. Klar. Wunderschön. Wie kann so etwas schönes, so bruta und herzlos sein?!
Verzweiflung macht sich in ihr breit und sie spührt, wie die Panik sie von innen heraus zerfrisst. Ihr Herz rast. Ihre Augen starren den Mann panisch an und sie schnappt nach Luft. Ihre Lunge fühlt sich an, wie als würde sie bersten. Der Druck, den ihr Herz verursacht, als sie gegen ihre Rippen schlägt. Wie als würde es bald rausspringen.
Sie mich an. Ruhig lässt der Fremde names Marcellino eine Hand los und wischt ihre Tränen ab. Ich bin nicht hier um dir weh zu tun. Ich bin hier, um dir zu helfen. Zu schauen, wie es dir geht. Er nimmt ihr Gesicht in seine Hand, so dass sie ihn anschauen muss. Ich erinnere mich an diese klaren, grünen Augen. Die mich in der Nacht voller Schmerz angesehen haben. Ich wusste nicht, was dir passiert ist. Aber ich wusste, dass ich dir helfen muss... Ich möchte diese Augen gern einmal lachen sehen. Einmal ihren natürlichen Glanz erleben...
Rahel sieht ihm in die Augen. Verliert sich und hört ihm zu. Er spricht sanft. Ruhig. Voller Klarheit. Wie als hätte er das schon tausend mal gesagt. Sein Körper strahlt Ruhe aus. Eine Ruhe, die Rahel noch nie erlebt hatte. Langsam entspannt sie sich. Lässt die Fäuste auf den Boden sinken und lehnt sich an der Wand an. Sie sieht zu, wie er sich zu ihr setzt.

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