EINS

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Endlich war es soweit. Der Tag, auf den ich so lange gewartet habe. Mein erster Tag an der Uni. Von nun an würde alles anders werden, ein neues Leben beginnt. Es war die Zeit für einen Neustart. Meinem Neustart.

Das riesige Foyer der Universität, dessen Decke aus einer Glaskuppel bestand, beeindruckte mich. Alle Gebäude der Universität waren ultramodern und hatten dennoch ihren Charme. Ich wurde tatsächlich an der Marson Universität angenommen! Diese zählt nicht nur zu den besten Unis des Landes, sondern liegt dazu noch in Kalifornien und ist somit fast 5000km von meiner Heimatstadt entfernt. Desto weiter weg, desto besser. Meine Schulzeit verbrachte ich in einem heruntergekommenen Gebäude aus den 1960ern in einer tristen Kleinstadt in New Jersey. Gott, war ich froh, endlich aus diesem elendigen Kaff weg zu sein. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen, zu viele abgefuckte Personen, zu viel Regen. 

Nun lebe ich in San Albay, einer Großstadt mit auffallend hoher Millionärsdichte. Als ich hier mit 14 Jahren Urlaub machte, habe ich mich sofort in diese fantastische Stadt verliebt - nicht nur, weil hier ganzjährig die Sonne scheint und die Stadt vom Meer und traumhaften Stränden umgeben ist, sondern auch, weil die Menschen hier viel offener und freundlicher waren als in meiner grauen Heimatstadt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich - als meine Eltern das gefühlt zehnte Museum besuchten - in der süßen, fast schon mediterranen Innenstadt, gedankenverloren ein Eis kaufte und die Frau, welche hinter mir stand, plötzlich sagte: »Ist es nicht einfach toll hier?«. Ich nickte ihr zu. Daraufhin sagte sie mir etwas, was ich wohl nie vergessen werde: »Wenn du etwas aus dir und deinem Leben machen möchtest, ganz gleich was, komm hier her«. Kurz darauf gab sie mir ein Armband aus schwarzen Onyxkugeln, welche einen hellgrauen, ovalen Edelstein umschließen. Auf diesem sind die Worte "lost & found" eingraviert. Ein wenig verwirrt war ich schon von dem Geschenk einer fremden Frau, doch sie sagte abschließend zu mir, dass ich dieses behalten soll und das Armband mein Glücksbringer sein würde. Tatsächlich trug ich es fast jeden Tag. Doch irgendwann landete es in einer Box in einem meiner Schränke. Welch ein schöner und ironischer Zufall, dass ich es genau dann wieder fand, als ich so verloren war.

Während ich dabei war mich in meinen Gedanken zu verlieren, klingelte mein Smartphone. Es war mein Dad. »Morgen Süße, ich weiß, dass du nicht viel Zeit hast, aber ich wollte dir nur einen wundervollen ersten Tag an der Universität wünschen. Ich bin so unglaublich stolz auf dich, mein Mädchen.« Seine sonst so tiefe, beruhigende Stimme klang mit einem Mal ganz brüchig. Auch, wenn er es versuchte zu unterdrücken hörte ein leises Schluchzen. Doch ich wusste, dass dies vielmehr Tränen der Freude waren. »Dankeschön Dad, ich werde dich heute Abend anrufen, okay? Hab dich lieb!«. »Alles klar!«, antwortete er. Kurz spürte ich ein leichtes Stechen im Herzen. Die letzten Jahre konnte ich es kaum erwarten, endlich wegzuziehen. Doch meinen Vater zurückzulassen, war alles andere als leicht für mich.

Noch einmal atmete ich tief ein und bewunderte dieses wunderschöne Gebäude. Die Sonnenstrahlen, welche durch die Glaskuppel fielen, erfüllten das Foyer mit warmen Licht.

Etliche Studenten gingen an mir vorbei. Während ich an meiner Schule so ziemlich jedes Gesicht mindestens dreimal gesehen hatte, wusste ich, dass man hier wohl immer wieder neue Gesichter sehen würde - immerhin studieren hier fast 30.000 Menschen. Verrückt, in meiner Heimatstadt leben nicht mal 20.000 Personen. Doch ich freute mich über die Anonymität.

Der Blick auf meine Armbanduhr verriert mir, dass es 8.45 Uhr war. Ich hatte noch knapp 30 Minuten Zeit, dann würde die große Eröffnungsrede stattfinden. Noch immer erschien es mir surreal. Vor einem Jahr war mein gesamtes Leben dabei zu zerbrechen. Der Boden unter meinen Füßen brach weg, und irgendwann war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. 

Doch nun fühle ich mich endlich wieder lebendig. Ich spüre die Lust zu leben, die Sehnsucht nach Abenteuern, das Verlangen danach, neue Erfahrungen zu sammeln. Mein Herz pochte wie verrückt, doch es sind ausschließlich positive Gefühle. Ist es nicht wahnsinnig, wie sehr sich unser Leben ändern kann? Bei diesem Gedanken musste ich grinsen. In diesem Moment schien alles perfekt. Selbst meine sonst eher widerspenstigen Haare lagen zu meiner Überraschung genau da, wo sie liegen sollten und meine weiße High-Waist Jeans sowie die schulterfreie, blau-weiß gestreifte Bluse unterstrichen meine sommerlich gebräunte Haut. Ich genoß den Moment der Zufriedenheit und atmete noch einmal tief durch. Plötzlich spürte ich etwas Heißes auf meinem Bein. Kaffee. »Sorry! Fuck man, das tut mir Leid! Ich mach's sofort weg«, erklang eine zitternde Stimme. Für etwa fünf Sekunden sage ich nichts. Vor mir stand ein mittelgroßer, schlaksiger Typ. »Ehm.. ist okay«, entgegnete ich. Währenddessen schrie ein Mädchen »Joel! Kannst du einmal in deinem Leben aufpassen?«. »Aubrey, fahr dich runter«, antwortete er gereizt. »Oh Honey, die Hose!«, sagte sie schockiert zu mir. Warum kam ich auch auf die glorreiche Idee, eine weiße Hose zu tragen?

»Na gut, dann versuch ich mal das rauszubekommen. Man sieht sich sicherlich.« Meine Stimme klang genervter als sie sollte, was mir ein wenig leid tat, doch ich bezweifele, dass dieser Fleck je wieder rausgehen wird.

»Warte, ich komm mit «, unterbrach mich das Mädchen, »zum Glück habe ich für fast jedes Problem eine Lösung! Ich bin übrigens Aubrey und der tollpatschige Idiot ist Joel, mein bester Freund.« 

»Ich bin Ava. Mach dir bitte keinen Kopf, Joel«, auch wenn mich der nicht gerade kleine Kaffeefleck störte, hatte ich keine Lust auf unnötigen Stress, zu mal solche Dinge eben passieren. Aubrey sagte zu Joel, dass er doch schon mal einen Platz suchen und zwei Sitze freihalten sollte. Als wir im Toilettenraum waren, zog sie eine kleine Flasche mit einem rosanem Gel aus ihrer großen Yves Saint Laurent Tasche hinaus. Auch wenn ich keine Ahnung von Designerhandtaschen hatte, sah diese defintiv nicht nach einem billigen Fake aus. »Was ist das?«, fragte ich sie irritiert. »Das, meine Liebe, ist das Zaubermittel. Bitte verurteile mich nicht, aber meine Klamotten bedeuten mir wirklich sehr viel und für den Fall, dass man sich bekleckert - oder ein dummer Idiot seinen Kaffee verschüttet «, sie lächelte sanft, »hab ich dieses kleine Fläschchen immer dabei. Sobald die der Fleck getrocknet ist, wirst du nichts mehr davon sehen.« Erst jetzt fiel mir auf, wie gestylt Aubrey war. Sie trug einen Longbob in dem wohl schönsten Rotton, den ich bisher gesehen habe und ein petrolfarbendes Kleid, welches ihre kurvige Figur perfekt betonte. Auch ihr Make-Up sah makellos aus. Mittlerweile war auf der Hose kaum mehr als ein Wasserfleck zu sehen. Da der Fleck oberhalb meines Knies war, konnte man einfach denken, dass ich mich mir ein wenig Wasser übergekippt habe; und das passierte mir öfter mal. Wie herauskam, war sie ebenfalls neu an der Uni. »Was studierst du eigentlich, Aubrey?« »Ich studiere Global Brand und Fashion Management mit Schwerpunkt Luxury Brands Marketing. Und du?«, ihre Augen leuchteten als sie von ihrem Studium sprach. Tatsächlich überraschte mich die Antwort nicht, denn auch wenn ich sie erst seit 20 Minuten kannte, schien Fashion ihre Leidenschaft zu sein. »Wow, das klingt echt toll. Ich studiere  Philosophy, Politics and Economics. Mal sehen, was uns noch erwartet.« »Oh Gott, bei Politik schalte ich immer komplett ab. Du kannst dich aber mit Joel zusammentun, er studiert International Business und ist ebenfalls an Politik interessiert. Wobei ich bezweifle, dass er das Studium durchziehen wird«, dabei lachte sie. Als wir in dem großen Saal ankamen, winkte Joel zu uns. Binnen weniger Minuten hat sich der große Raum mit hunderten neuen Studenten gefüllt. Nach einer gefühlten Ewigkeit beendete der Dekan seine Rede über unsere großartige Zukunft, die uns mit einem Abschluss an der Marson University erwarten würde. »Wie lange gehen eure Kurse heute? Was haltet ihr davon, wenn ich euch nachher auf einen Burger einlade? Ich schulde dir eh noch was, Ava«, schlug Joel vor. Da beide wirklich sympathisch wirkten, sagte ich zu. Nachdem wir Nummern austauschten, suchte ich den Hörsaal meiner erster Vorlesung.

Hallo ihr Lieben!😊 

Willkommen in meiner ersten Geschichte und in dem verrückten Leben von Ava!

Ganz viel Liebe,

eure Sarah <3

Lost & found - The Way we goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt