ACHTZEHN

30 1 0
                                    

Ava P.o.V.

Freitag

Die Woche verging wie im Fluge. In den letzten Tagen habe ich ausnahmsweise nichts mit meinen neuen Freunden unternommen, da wir alle ziemlich fertig von der vergangenen Woche, in der wir jeden Tag feiern waren, waren. Außerdem musste ich feststellen, dass die Uni wesentlich anstrengender ist, als ich es mir vorgestellt habe. Um davon abzuschalten, veranstalteten Sofia, Phil und Simon eine kleine Hausparty. 

Ganz egal, wie viel Concealer ich auch auftrug, die dunklen Schatten um meine Augen wollten nicht verschwinden. Der Blick in den Spiegel sorgte dafür, dass meine Laune endgültig im Keller war. Meine Haare waren eine Katastrophe, mein Gesicht sah müde und krank aus. Man sah mir an, dass ich in den letzten Nächten kaum ein Auge zubekam. Dabei könnte alles so gut sein. Die zweite Woche an der Uni war zwar stressig doch lief insgesamt ganz gut, ich habe schon so viele sympathische und interessante Menschen kennengelernt und San Albay ist eine Traumstadt, die ich nun meine Heimat nennen darf. Dennoch gelang es mir nicht, auch nur einen Tag einfach nur glücklich zu sein.

Immer und immer wieder sehe ich die Gesichter meines Bruders und meiner Mutter vor mir. Jeden Tag. Der Gedanke, dass ich sie nie wieder sehen werde, ist kaum zu ertragen. Dabei müsste ich es doch langsam begriffen haben, dass sie für immer weg sind.

Auch die Sorge um meinen Vater beschäftigt mich fast täglich. Wird mein Vater jemals wieder ein normales Leben führen können? Wohl kaum. War es die richtige Entscheidung wegzugehen oder einfach nur egoistisch, meinen Vater in New Jersey zurück zu lassen? Ja, es war egoistisch, ermahnte mich mein Unterbewusstsein. Er hat fast alles verloren und ich zieh auch noch an das andere Ende des Landes - und bin somit fast 5000km von ihm entfernt. In seinen Nachrichten schrieb er zwar, dass alles okay und es das Beste für mich sei, doch ich wusste, dass es verdammt hart für ihn war. Ich hasste mich dafür, dass ich ihm nicht mehr helfen und geben kann.

Doch ich wusste auch, dass ich weggehen musste, um mich selbst wieder zu finden.

Ich erinnerte mich daran, wie verloren ich phasenweise war. Ohne Plan, ohne Ziel und ohne Emotionen bin ich eine zeitlang wie ein Zombie herumgerannt. Fast alles war mir egal, schließlich hatte ich die wichtigsten Menschen meines Lebens verloren und wurde kurz vorher, ohne es auch nur zu erahnen, verlassen. Das hat mir den Boden unter meinen Füßen weggerissen. Es ging mir beschissen, doch irgendwann hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich kaum noch etwas gespürt habe.

Keinen Schmerz. Keine Gefühle. Keine Müdigkeit. Keinen Hunger. Keine Freude oder Trauer.

Es war eine Leere, die mich ausfüllte.

Der Gedanke an diese Zeit stimmte mich noch trauriger. Doch es ist Vergangenheit rief ich mir ins Gedächtnis. Ich kann stolz auf mich sein, da ich nach und nach zu mir zurückfinde und das Leben immer mehr zu leben und zu lieben lerne.

Als ich auf die alte Kommode in meinem Zimmer sah, entdeckte ich mein Armband. Ich schmunzelte bei dem Gedanken daran, dass es genau dieses Armband war, welches mich dazu bewegte, mich in San Albay zu bewerben. Es war ein ähnlich verregneter Samstag wie heute. Monatelang habe ich es nicht geschafft, mir Bilder aus der Vergangenheit anzusehen. Doch an diesem Tag kramte ich ein altes Fotoalbum aus und entdeckte in der hintersten Ecke des Schrankes jenes Armband, welches mir eine Frau schenkte als ich mit meiner Familie Urlaub in Kalifornien verbrachte. Nach dem wir Las Vegas und den Grand Canyon entdecken, vebrachten wir ein paar Tage in San Albay. Dieses Armband ist wirklich schön, insbesondere die Gravur „lost & found" macht dieses Schmuckstück so einzigartig. Das ich es ausgerechnet dann wiederfand, als ich selbst wirklich verloren war und erst in diesem Moment die Idee hatte, mich an der Marson Universität zu bewerben, hatte schon etwas Magisches. Meine Mutter hätte wohl gesagt, dass dies ein Zeichen des Universums gewesen sei, doch ehrlich gesagt habe ich meine Schwierigkeiten an sowas zu glauben.

Lost & found - The Way we goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt