ZWEI

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Joel hatte definitiv nicht gelogen. Diese Burger schmeckten großartig! Ich habe schon einige Burger gegessen, doch dieser übertraf alles. Auf Instagram liest man immer wieder #foodporn oder #foodgasm, und ich schätze, dass ich diese Bezeichnungen nun wirklich nachvollziehen kann. »Und? Habe ich zu viel versprochen?«, fragte Joel voller Euphorie. Fast im Chor antworteten Aubrey und ich »Nein!«.

Das von außen unscheinbare, kleine Diner lag in einer schmalen Seitengasse. Der Burgerladen wurde im Industrial Style eingerichtet und lud zum Wohlfühlen ein. Da er gerade einmal zehn Minuten von der Universität entfernt war, ahnte ich jetzt schon, dass ich in Zukunft sicher öfter hierher kommen würde.

»Wie hast du diesen Laden entdeckt?«, fragte ich. »Naja, Aubrey und ich kommen ja aus Fort Eversdale und da das nur 45 Minuten entfernt liegt, sind wir öfter mal hier. Da aber Aubrey gerne Mal eine halbe Ewigkeit in irgendwelchen überteuerten Boutiquen verbringt, gehe ich dann oft essen oder so.« »Hallo? Du bist, was Klamotten und Styles angeht kein bisschen besser als ich!«, entgegnete Aubrey. »Ach komm, sind wir mal ehrlich: ich trag quasi das, was jeder zweite männliche Influencer in einer Großstadt so trägt. Du hingegen bist selbst der Vogue voraus.« Aubreys grüne Augen begannen zu strahlen. Ich bewundere Personen, die für irgendwas eine solche Leidenschaft haben. 

»Wo kommst du eigentlich her, Ava?«, erkundigte sich Aubrey. »Aus einer kleine Stadt in New Jersey. Das einzig Gute daran ist die Nähe zu New York.« Beide lachten - doch es stimmte, es gab nichts, was mich noch in diesem Kaff hielt. »New York ist einfach einzigartig. Irgendwann werde ich dort leben. Wobei mich London, Mailand und Paris auch reizen. Stellt euch vor, wie meine Mode auf den Laufstegen der Welt präsentiert wird - oder meine neueste Kollektion auf den Bildschirmen am Time Square gezeigt wird.« »Wie wäre es, wenn du erstmal studierst, Aub?«, sagte Joel. So wie die beiden miteinander umgingen, schienen sie sich schon länger zu kennen. »I'm sorry, aber in erster Linie beginne ich mit dem Studium, weil es meine Interessen deckt und nicht, weil ich das Leben im Hamsterrad anstrebe. Ich werde nicht 40 Stunden in der Woche für ein Unternehmen arbeiten, welches mich ohne zu zögern ersetzen würde, würde ich krank werden oder unerwartet sterben. Oder weniger dramatisch ausgedrückt: ich lebe und arbeite, um meine Träume zu verwirklichen - und nicht für die Träume anderer.«

Aubreys Worte haben mich mit einer unerwarteten Wucht getroffen. Was für viele egoistisch, arrogant oder naiv klingen mag, war eigentlich nur die Wahrheit. Für die meisten Menschen platzen die Träume mit dem Beginn der Pubertät oder spätestens mit dem Erwachsenwerden. Wie oft erzählen Kinder noch voller Stolz und Freude von ihren Träumen und Wünschen - bis irgendwer sagt, dass es Zeit wäre, aufzuhören zu träumen oder man das nie erreichen würde. Der Gedanke daran stimmte ich plötzlich traurig. Wie oft wohl schon Potenzial und Talent verschenkte wurde, weil Träume ausgeredet wurden?

Umso wichtiger ist es, dass es solche Menschen wie Aubrey gibt. Menschen, die ihr Ziel nie aus den Augen verlieren würden - egal, was passiert, Aufgeben wäre für diese Art Mensch nie eine Option.

Ich kannte die beiden nicht mal einen Tag, doch ich mochte sie - Aubrey war Taff und voller Selbstbewusstsein, doch gleichermaßen herzlich, witzig und offen. Joel war etwas verpeilt, doch seine entspannte und ebenfalls aufgeschlossene Art war unfassbar angenehm.

»Ihr kennt euch also schon länger, ja?» »Eigentlich seitdem wir auf der Welt sind. Wir sind quasi sowas wie Zwillinge - Aubrey ist meine schlechtere Hälfte. Ich bin das Goldstück.«, erklärte Joel lachend. »Du Vogel!«, Aubrey räusperte sich, »Eigentlich ist die Story ganz witzig. Joels Mum ist Anwältin, sein Vater sowas wie der Immobilien-Mogul Kaliforniens. Meine Mutter ist Architektin und mein Vater Bauingenieur. Meine Eltern haben irgendwann ein Architektur- und Ingenieurbüro gegründet. Als sie von der Stadt beauftragt wurden, eine neue Mall und ein großes Einkaufshaus zu gestalten, witterte Joels Dad das große Geschäft. Letzten Endes war es das Anwaltsschreiben von Joels Mum, das dazu führte, dass unsere Eltern beste Freunde wurden.«

Lost & found - The Way we goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt