FÜNF

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Rafael P.o.V.

Samstag

Nun stand ich hier. In der größten Suite meines Hotels. Die Aussicht von hier aus war einfach atemberaubend. Sah man nach links, blickte man auf das Meer. Schaut man nach rechts, sieht man die Skyline San Albays. Ich genoß die Momente der Stille. Meine Mum hatte Recht damit, wenn sie sagte, dass ich müde aussehe. Ich war es auch. Obwohl meine Geschäfte ausgezeichnet liefen, stieg der Druck mit jedem Tag. Ich musste 24/7 erreichbar sein. Hatte ich frei, war ich meist schon dabei, dass nächste Projekt zu organisieren und Aufträge zu erledigen. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal einfach mit Freunden aus war.

Es klopfte an der Tür. »Mr. Caruso, Herr Colluci ist da.« Ich signalisierte Emma, meiner Assistentin, ihn hereinzulassen.

»Hallo Rafael. Ist schon eine Weile her, dass wir uns gesehen haben.«

»Das hat auch seinen guten Grund, Viktor. Und das weißt du ganz genau.«

»Hör zu, ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Doch du kennst nur die Seite deines Vaters.«

Er hatte nicht wirklich die Frechheit, meinen Vater zu erwähnen. Ich war mir verdammt sicher, dass er mit dem Verschwinden meines Vaters zusammenhängt. Was auch immer jetzt kommen mag, ich musste mich beherrschen, ihm nicht seine Fresse zu zerschlagen. Es gab nur wenige Menschen, die ich so verachtete wie Viktor.

»Dein Vater ist auch mein Bruder, Rafael. Denkst du, es ist mir egal, dass er verschwunden ist? Doch um ihn zu retten, musst du mir helfen.«

»Mein Vater ist vor über sieben Jahren aus den illegalen Geschäften ausgestiegen. Warum ist er plötzlich verschwunden und nicht du? Schließlich hast du unzählige Leben auf dem Gewissen und bei deinen illegalen Geschäften würde es mich nicht wundern, wenn du irgendwann untertauchen würdest. Und wie willst ausgerechnet du ihn retten?«

 »Auf die Gefahr hin, dein kleines, kaum vorhandenes Herz zu zerbrechen, erzähle ich dir nun die ganze Wahrheit.« Er nahm Platz auf dem großen Sessel in der Ecke und blickte aus der bodentiefen Fensterfront. Es war schon eine ganz Weile her, dass ich Viktor gesehen habe. Seine Haare sind nun graumeliert, doch noch genau wie früher mit viel zu viel Gel nach hinten frisiert. Seine Wangenknochen stießen noch mehr hervor als früher, doch sein dreckiges Grinsen hat er behalten. Stellt man sich einen schmierigen, eiskalten Geschäftsmann vor, dürfte das Bild von Viktor hinkommen.

Dann bin ich mal gespannt. »Du hast fünf Minuten.«

»Dein Vater war 20 Jahre lang der Boss. Nicht nur von dem Hotel, den ganzen Immobilien, dem Autohandel. Er war der Chef des gesamten Kartells, Rafael. Ich war nur sein kleiner Bruder, der die Drecksarbeit erledigt hat. Als er ausstieg, tat er das nur aus Liebe zu deiner Mutter, da sie nicht länger die Mafiabraut spielen wollte. Und ja, auch wegen der Entführung. Doch ein Mann mit der Größe deines Vaters, der die gesamte Unterwelt regierte, kann nicht von heute auf morgen verschwinden - auch wenn er es wirklich versuchte. Ja, er hat viele legale Sachen aufgebaut und ist ein grandioser Geschäftsmann. Doch parallel dazu hatte er auch noch im Drogenkartell seine Finger im Spiel. Die Sache ist die, Rafael, dein Vater hat einen entscheidenen Fehler gemacht, der sehr viele Menschen sehr verärgert hat. Das ist der Grund, warum er festgehalten wird. Seine Entführung wurde lange geplant. Eigene Leute haben ihn, haben uns, verraten. Du musst mit mir arbeiten, um ihn zu retten. Ich weiß, dass du mich verachtest. Doch hier geht es um so viel mehr. «

Das, was mir Viktor erzählte, änderte alles. Er sprach in Rätseln. Was sollte mein Vater getan haben? Konnte ich Viktor wirklich trauen? Laut ihm wurde mein Vater also entführt und somit der Verdacht meiner Mutter und mir bestätigt. Doch es war auch das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Onkel, der sonst ein abgebrühter Mafiaboss war, mit Tränen in den Augen sah. Natürlich wusste ich von der Mafiavergangenheit und den Machenschaften meines Dads, schließlich bin ich mit dem ganzen Scheiß aufgewachsen und führte schon immer ein außergewöhnliches Leben. Tatsächlich hat sich mein Vater sogar bis zu meinem 16. Lebensjahr gewünscht, dass ich sein Geschäft genau so übernehmen würde. Doch dann kam der 18. Mai 2013.

»Melde dich bis Dienstagmittag 12 Uhr bei mir und sag mir, wie du dich entschieden hast.«

»Weiß meine Mutter, dass mein Vater zu euch zurückgegangen ist?«

»Er hat nie richtig aufgehört«, Viktor flüsterte, »Deine Mutter ist eine kluge Frau, Rafael. Doch sie glaubt eben auch immer an das Gute in Menschen. Ich kann dir nur einen Rat mitgeben: Desto mehr Leute davon wissen, desto mehr Leute sind in Gefahr.«

Lost & found - The Way we goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt