DREIZEHN

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Alle Blicke waren auf Zach gerichtet. Alles an ihm sah demoliert aus. Seine Augen waren immer noch angeschwollen und sein Gesicht war, wie man im Licht der Laterne erkannte, übersät mit blau-lilanen und gelb-grünen Blutergüssen sowie offenen Wunden und vielen Kratzern. Oder waren es Stichwunden? Entlang seines Kiefers und Kinns trug er eine Art Halterung. Oh Gott, hat man seinen Kiefer gebrochen? Durch das weiße T-Shirt zeichneten sich dicke Verbände um seine Brust ab. Um sein rechtes Handgelenk trug er ebenfalls einen Verband, in der linken Hand hielt er eine Flasche Jack Daniel's.

WAS IST PASSIERT?

Immer mehr Leute standen nun außerhalb der Turnhalle und tuschelten. Der Schock stand dabei allen ins Gesicht geschrieben.

»Ja, da staunt ihr, was«, Zach lallte, »habt ihr euch schön das Maul zerrissen?«. Luke sprang auf und ging auf Zach zu. »Komm mit zu uns, das muss jetzt nicht sein.« »Die Leute labern und können mich jetzt auch gerne persönlich ansprechen... und die Wichser, denen ich das zu verdanken habe, werden sich nachher wünschen, nicht hierher gekommen zu sein.« Waren die Täter etwa hier?! Zachs tiefe Stimme war voller Zorn. Immer wieder brüllte er rum, schaute fast paranoid nach rechts und links. Im Licht der Laterne sah man die Schweißperlen auf seiner Stirn. Neben Luke kamen jetzt auch zwei weitere Typen auf ihn zu, die versuchten, ihn zu beruhigen und festzuhalten. Er kippte sich den puren Whiskey rein, bis einer der anderen Typen die Flasche auf den Boden warf. Mittlerweile kamen immer mehr Leute nach draußen. Luke und die zwei anderen, die allesamt muskulös aussahen, hatten Mühe, ihn aus der Masse wegzuzerren.

Aubrey und ich standen völlig schockiert da und blickten in die aufgewühlte Masse drein. Vor einer halben Stunde weinten wir noch und trösteten einander, dann lachten wir und nun verschlug es uns die Sprache. Was für eine Achterbahn der Gefühle! Tolle Party. Dabei war der Abend dank Rafael kurze Zeit so schön.

Nach und nach verschwanden immer mehr Leute nach drinnen, doch das Getuschel schien jetzt nur noch größer zu werden. Während Luke und die anderen Typen nicht mal mehr in Sichtweite waren, versuchten Aubrey und ich uns zu sortieren und alles sacken zu lassen.

Kurze Zeit später vibrierte Aubreys Smartphone.

Luke, 22:40Wir bringen ihn jetzt nachhause. Eigentlich wollte ich euch schon nach dem Gespräch fragen, ob wir nicht lieber einen Film gucken wollen. Ich bring auch was von McDonald's mit :)

Aubrey, 22:42Einen Erdbeermilkshake, ein McSundae mit Schokosauce und zwei Cheeseburger bitte. :b

Mit der Straßenbahn dauerte es knapp 15 Minuten bis wir Aubrey und Joels Apartment erreichten. »Du musst mir unbedingt erklären, wie sich das mit Rafael ergeben hat!« Aubrey sah mich erwartungsvoll an. Nein, nicht schon wieder dieses Thema. Ich will einfach nur noch auf der großen Couch von Aub und Joel liegen und einen Film gucken. Und vor allem möchte ich nur noch abschalten. Doch Aub würde sich ohne eine Antwort von mir nicht zufrieden geben, auch wenn ich nicht einmal weiß, was ich ihr von Rafael, von uns, erzählen soll.

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich am Dienstag von dem Dekan, einer Frau und einem weiteren Mann überrascht wurde als ich gerade in Unterwäsche vor dem Spiegel stand. Das war Rafael.« Aubrey konnte kaum noch vor lauter lachen. »Das ist echt nicht witzig, Aub! Als ich vorhin durch die Straße ging, sind wir zusammengestoßen. Daraufhin hat er mich als Entschuldigung auf einen Drink eingeladen.« »Better lovestory than Twilight! Das klingt auf jeden Fall so, als würde es das Schicksal so wollen«, erklärte Aub voller Freude. Genau, das liebe Universum wollte mir einen Traummann schicken, was ich nicht lache. Wenn es etwas gab, woran ich nicht glaubte, dann war es das Schicksal oder daran, dass dieses etwas Gutes will. Das ist Stoff aus romantischen Dramen mit Happy End, aber garantiert nicht aus meinem Leben.

Kurze Zeit später hob Aub ihre Augenbrauen: »Und das lief nichts?«. »Da lief nichts!« »Wird's aber noch.« Noch bevor ich mich dagegen wehren könnte, sagte Aubrey »Nein, keine Widerrede« und suchte in diesem Moment ihren Haustürschlüssel raus. Angekommen in dem Apartment, flog mir direkt der blumig-frische Duft in die Nase. Ich muss unbedingt herausfinden, was sie für einen Raumduft verwendet. »Mach's dir bequem«, sagte der Rotschopf und verschwand hinter dem Tresen der großen Küche, welche durch die matt-schwarzen Fronten und Platten aus edlem Eichenholz extrem stilvoll aussah. Voller Leidenschaft bereitete sie ein paar Drinks zu. Währenddessen zippte ich mich durch das Netflixprogramm.

Einige Minuten später klingelte Luke. »So, hier das Essen! Aubrey, ich hoffe du hast etwas alkoholisches für mich.« »Die Getränke sind schon angerichtet! War es so schlimm?«, fragte Aubrey, während sich Luke neben mir auf das Sofa fallen ließ. »Zach ist komplett eskaliert. Zum Glück ist er dann eingepennt. Einer der Typen, Mike, der mir half ihn zu bändigen, passt jetzt auf ihn auf, nicht, dass er sich dann doch noch übergeben muss oder plötzlich auf die Party gehen will.«

»Kennst du ihn gut?« Ich wusste zwar, dass die beiden gemeinsam Football spielen, aber nicht, inwiefern sie befreundet sind. »Naja, wir spielen im gleichen Team, boxen hin und wieder zusammen, zocken und gehen feiern. Durch seinen DJ-Status hat er uns schon oft in die krassesten Clubs geschleift, das war immer ziemlich geil. Aber er ist jetzt nicht die erste Person, zu der ich rennen würde, wenn es mir schlecht geht.« »Er ist heiß«, sagte Aubrey, welche gerade die Drinks auf den Tisch abstellte und sich zu uns setzte. »Unpassend!«, schrien Luke und ich synchron. »Ach Leute, er wird schon wieder. Er hat ja was von G-Eazy, findet ihr nicht?« »Wenn du mitgekommen wärst, hättest du ihn ja vielleicht eher beruhigt als wir«, antwortete Luke voller Sarkasmus.

Nach ein paar Minuten entschlossen wir uns dafür American Pie anzusehen, aßen das Fast Food und genossen Aubreys gemixte Drinks. Genau das Richtige nach einem solch chaotischen Abend.

Irgendwann ertappte ich mich dabei, wie mein Kopf auf Lukes Schulter lag. Er war eingeschlafen, genau wie ich. Aubrey kam gerade aus dem Badezimmer und fragte mich, ob wir nicht einfach hier schlafen wollen. Da Luke eh schon tief und fest schlief und ich auch todmüde  war, schnappte ich mir ein Shirt von Aubrey und eine Ersatzzahnbürste. Als ich in dem kuscheligen Bett von Aubrey lag, spürte ich, wie erschöpft mein Körper wirklich war. Der Abend hatte so viele Höhen und Tiefen, dass ich einfach nur noch schlafen wollte. Die Freilassung von Ryan, das Treffen mit Rafael, aber auch die Ignoranz seinerseits auf der Party. Der Auftritt von Zach, der einige Fragen offen ließ. Nicht zu vergessen das Gespräch mit Aubrey und Luke - das zwar gut tat, aber auch einige schmerzhafte Erinnerungen weckte. Zu viele Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Gerade als ich meine Augen schließen wollte, sah ich mein iPhone aufleuchten. Eine Nachricht von Rafael. 

Rafael, 03:27 • Hey, es war echt schön mit dir. Vielleicht können wir das ja wiederholen? ;)   

Die Freude, welche ich in den ersten drei Sekunden empfand, veränderte sich sofort in leichte Wut. Zwar bin ich nur etwas über drei Stunden auf der Party gewesen und saß davon die meiste Zeit draußen, doch selbst als ich kurz in unmittelbarer Nähe von ihm war, ignorierte er mich. Er sah kurz zu mir, doch schenkte dann sofort wieder den anderen Leuten, welche fast wie Groupies um ihn versammelt waren, seine Aufmerksamkeit. Falls er glaubt, dass ich ihm nun antworten würde, irrt er gewaltig. Ich bin kein kleines Mädchen mehr, dass springt, wenn es einem Typen gerade so passt. Ich bin Ava Joy Hampton.


Lost & found - The Way we goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt