VIERUNDZWANZIG

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Ava P.o.V.

Ein dumpfes Brummen weckte mich und es dauerte einen kurzen Moment, ehe ich dieses Geräusch zuordnen konnte. Ich drehte mich um und sah auf die andere Seite des Zimmers. Meine Mitbewohnerin bohrte mit einem Akkuschrauber Löcher in die Wand. Meine innere Uhr lag mit der Vermutung, dass es noch sehr früh war, verdammt richtig - der Blick auf mein Handy verriet mir, dass es gerade einmal kurz nach sieben Uhr war. »Was fällt dir ein, an einem Sonntagfrüh zu bohren? Schon mal was von Ruhezeiten und Anstand gehört?«, blaffte ich sie an. Doch meine Reaktion ließ sie völlig kalt. »Hallo? Was zum Fick stimmt mit dir nicht?« Mir platzte der Kragen. Auch, wenn es mir oft gelang Ruhe zu bewahren, so gab es eine Situation, die ich noch nie vertragen habe und meine größte Wut hervorbrachte - nämlich, wenn ich aus meinem Tiefschlaf gerissen werde. 

Mit einem Mal sah mich die junge Frau mit einem finsterem Blick an. Ihr aschig-braunes Haar hing in langen, dünnen Strähnen hinunter und verdeckte einen Teil ihres Gesichtes. Ihr kurzer Mund war nach unten gezogen und ich spürte, wie sie sich anspannte. »Hör mal Püppchen, es interessiert mich herzlich wenig, ob du genug Schönheitsschlaf bekommst oder nicht. Wenn ich das Regal anbauen möchte, tue ich es.« Ich ignorierte ihre bissige Bemerkung. »Es gibt eine Hausordnung.«, gab ich knapp zurück. Noch immer war ich todmüde und hatte kein Interesse daran, weiter zu diskutieren. »Austeilen, aber nicht einstecken können. So seid ihr doch alle. Hauptsache das Outfit sitzt, damit die gestellten Fotos mit den Fakefriends top aussehen.« Was sagte sie? Auch, wenn meine Wortwahl auch nicht so freundlich war, hatte sie kein Recht so etwas zu sagen, mich zu verurteilen, ohne mich überhaupt zu kennen. »Da schluckst du, was? Denkst du, ich hätte kein Instagram und hätte mich nicht ein wenig über dich informiert?«

Für einen kurzen Moment verschlug es mir die Sprache.

»Was erlaubst du dir eigentlich? Du kennst weder mich, noch meine Freunde. Für jemanden, der scheinbar allen überlegen ist, urteilst du aber ganz schön schnelleilig.«

Für einen Augenblick sah mich Skye nur an und sagte nichts. Ihr Blick war undurchsichtig. Doch dann hebt sie ihre Brauen. Ich erwartete, dass sie jeden Moment ausrasten würde - doch nichts dergleichen passierte. Ich zog die Decke höher und hoffe, jeden Moment wieder einschlafen zu können. Doch bevor ich mich umdrehen konnte, hörte ich ein lautes Stöhnen.

»Aubrey Williams, Joel Goldberg.« Sie setzte sich auf ihr Bett und senkte ihren Blick. »Sicher hast du mitbekommen, dass ihre Eltern sehr wohlhabend sind. Nun, so ein Wohlstand baut sich nicht von alleine auf. Die Eltern der beiden sind brutale Kapitalisten, süchtig nach Geld - und rücksichtslos. Für ein Shoppingcenter unweit von San Albay wurde ein Stück Natur zerstört, nur, um die Gier nach Mehr der Menschen zu befriedigen. Für ein Pharmaunternehmen wurden mehrere Wohnblöcke zerstört. Ich könnte noch stundenlang so weitermachen.« 

Ich wusste, dass die Eltern von Joel und Aubrey Unternehmer sind, doch was wirklich dazu gehört, war mir nicht bewusst. Doch das ist noch lange kein Grund, Aubrey und Joel so zu verurteilen. 

»Ich verstehe deine Kritik, aber ich denke nicht, dass du deswegen auch gleich Aubrey oder Joel verurteilen solltest. Beide gehören zu den liebsten Menschen, die ich bisher getroffen habe. Wenn du mich entschuldigst.« Ich stand auf und griff nach ein paar Klamotten und meinem Kulturbeutel. Ich hörte, wie sie mir noch irgendwas erzählte, doch ich nahm nur die Hälfte wahr. Es war weder meine Zeit, noch war ich bereit weiter zu diskutieren. Im Gemeinschaftsbadezimmer angekommen, reinigte ich zuerst ausführlich mein Gesicht und cremte es anschließend ein. Da es nichts bringen würde, mich nochmal hinzulegen, entschloss ich mich kurzerhand joggen zu gehen. Eigentlich hasste ich es laufen zu gehen, doch da ich hier noch keine Fitnessstudiomitgliedschaft habe, war es erstmal eine Alternative. Vielleicht würde ich so auch ein bisschen mehr Klarheit gewinnen. Außerdem konnte ich so direkt meine neue Sportkleidung einweihen. 

Es war etwas frischer als erwartet, doch der Sonnenschein und der strahlend blaue Himmel wirkten sich direkt auf meine Laune aus. Als ich noch die richtige Playlist raussuchte, ploppte das Nachrichtenfenster auf. 

Rafael, 07:32 Uhr •  Guten Morgen, ich freue mich schon auf heute Abend. :) Wenn ich mich recht entsinne, lebst du in diesem heruntergekommenen Wohnhaus Nr.14, richtig? 

PS: Hast du irgendwelche Allergien?

Unbewusst begann ich zu lächeln. Doch noch im selben Moment ermahnte ich mich. Erst gestern bin ich neben Luke aufgewacht und auch, wenn ich nicht wusste, was das zwischen uns ist und für unsere Freundschaft bedeutet, wollte ich keinesfalls in irgendeine unangenehme Situation geraten. Außerdem war es ja kein Date, Rafael würde mir einfach nur erklären, warum er mir verschwiegen hat, wer er wirklich ist. Nicht mehr, nicht weniger. 

Als ich vollkommen verschwitzt im Wohnheim ankam, wollte ich nur noch unter die Dusche springen. Meine Beine zitterten und brannten, die fehlenden Workouts in den letzten Wochen waren nun deutlich spürbar. Verdammt, hoffentlich kann ich nachher noch vernünftig laufen. Nach einer ausgiebigen Dusche und einem köstlichen Frühstück legte ich mich wieder in mein Bett, um zu entspannen. Skye, welche tief in ihr Buch versunken war, schien mich gar nicht wahrzunehmen. Ich scrollte durch mein Handy und sah, dass sich mal wieder viel zu viele Chats angesammelt haben. Direkt oben angeheftet war der Chat mit Luke. Bisher haben wir ganz normal weitergeschrieben, ohne über unsere Küsse zu reden. »Ava?«, hörte ich plötzlich die Stimme meiner Mitbewohnerin. »Du hast recht, ich hätte dich, euch, nicht verurteilen dürfen. Das war nicht richtig von mir. Doch ich verachte solche Menschen wie die Eltern von Aubrey und Joel. Tja, und meine Erfahrung hat mir eben auch gezeigt, dass die Kinder meist genauso sind. Dennoch sorry.« Ich war überrascht von ihrer Entschuldigung. Ihre Stimme klang einerseits leicht genervt, aber trotzdem wirkte es ehrlich. »Danke, Skye. Wir alle verurteilen wohl manchmal zu schnell. Es wäre aber trotzdem nett, wenn du vielleicht in Zukunft nicht so früh bohren würdest.« Wir beide mussten ein wenig lachen. Wer weiß, vielleicht ist sie doch nicht die absolut schlimmste Mitbewohnerin.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 16, 2021 ⏰

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