ELF

41 2 0
                                    

Rafael P.o.V.

Auch, wenn ich seit fast 20 Minuten auf der alten Couch in dem Einzimmerapartment von Jack lag, drehte sich noch immer alles. Meine Gedanken waren von dem Joint und den viel zu vielen Drinks vollkommen benebelt. Mafia. Business. Mein Dad. Tatsächlich gelang es mir kaum noch, einen klaren Gedanken zu fassen und einen einigermaßen korrekten Satz rauszubringen. »Rafa, so kenn ich dich ja gar nicht mehr! Wie lange ist es her, dass wir gemeinsam feiern waren?« Er klang heiter, doch in seinem Blick erkannte ich die Enttäuschung. Ich bin ein scheußlicher Freund gewesen. Cara, Liz, Jack, Matheo und Juan. Das waren die Menschen, auf die ich mich schon immer verlassen konnte, mit denen ich durch dick und dünn gegangen bin, mit denen ich groß geworden bin. Uns verband so viel. Doch ich Idiot habe ihre Nachrichten in den letzten zwei Jahren immer häufiger ignoriert oder nur halbherzig beantwortet. Viel zu sehr war ich mit mir, meinen Geschäften und dem Erfolg beschäftigt. Dabei habe ich mich lange Zeit so sehr nach einem normalen Leben gesehnt und mir geschworen, nie zu so einem arroganten Arschloch zu werden- doch bei dem Versuch, diese Ziele zu erreichen, bin ich kläglich gescheitert. Zwar besitze ich die teuersten Autos und Klamotten, grandiose Immobilien und treffe die schönsten Frauen, doch als Sohn eines Mafiabosses war das nicht einmal etwas Besonderes.

»Bro, was ist eigentlich los? Ich kenn dich quasi seitdem ich auf der Welt bin und ich merke es doch, wenn dich was fertig macht«, fragte mich Jack, welcher auf dem Hocker neben der Couch ein Stück kaltes Pizza aß und dies zu genießen schien. Wie er sich in seinem chaotischen, unaufgeräumten und nach Gras riechendem Apartment wohlfühlen kann, werde ich nie verstehen. Andererseits will ich nicht wissen, wie es bei mir aussehen würde, wenn ich keine Haushaltshilfe hätte. »Hm, ich war ein scheiß Freund. Ich kann verstehen, wenn du keinen Bock hast, dir das anzuhören.« »Ja, du warst manchmal ein scheiß Freund«, Jack lachte,  »aber du bist immer noch wie Familie für mich und wirst es ewig bleiben. Den anderen geht es genauso, wir stehen immer hinter dir, Rafa. Du bist halt auch der von uns, der das abgefahrenste Leben führt. Klar, dass du wenig Zeit hast. Der Erfolg sei dir gegönnt, aber vergesse nicht zu leben.« Vergesse nicht zu leben.  Wie Recht er hatte. »Sag jetzt, was los ist.« »Dad hat nie aufgehört für die Mafia zu arbeiten. Er muss irgendeine Scheiße gemacht haben, jedenfalls wurde er vor ein paar Tagen entführt und Viktor meinte, dass die einzige Möglichkeit, ihn zu retten, wäre, dass ich Teil der Collucis werde.« Jacks Kinnlade fiel herunter. Er hat die ganzen mafiösen Geschäfte miterlebt, die Partys, den Reichtum, die Verfolgungsfahrten, die Entführung meiner Schwester und meiner Mutter. »FUCK.« Es folgte ein Moment der Stille. »Was, was hast du vor? Du kannst doch unmöglich mit deinem Onkel zusammenarbeiten, das wird in keinem Fall gut enden. Kannst du ihn nicht irgendwie freikaufen? Die Polizei rufen? Du bist schließlich nicht mehr Mitglied der Mafia.« »Aber Dad und Mum, Jack. Außerdem würde ein solcher Skandal meine Karriere gefährden und meinen Ruf zerstören. Mir bleib nichts anderes über, auch wenn ich nicht mal weiß, was Viktor will. Oder die Martinez.« Im Gegensatz zu Juan, dessen Vater als Bruder meiner Mutter, ebenfalls Mitglied des Clans war, wuchs Jack in einer normalen Familie auf. Seine Mutter ist Pädagogin und sein Vater Elektriker. Natürlich fand er die schnellen Autos, die Vorzüge eines Lebens im Reichtum, den Respekt, den alle vor uns hatten und all die Festlichkeiten genauso toll wie Juan und ich, doch Jack war trotz seiner verpeilten Art auch der vorsichtigste und vernünftigste von uns. »Wer weiß es schon?« »Bisher nur du und meine Mutter.« »Ich sorge dafür, dass Noemi und Marina in Sicherheit sind, die anderen werden dir auch helfen. Wir holen deinen Dad daraus!«

Einige Stunden später wachte ich auf und spürte das Hämmern in meinem Kopf. Während sich Jack noch in einem nahezu komatösen Tiefschlaf befand, suchte ich eine Aspirin und nahm eine eiskalte Dusche in dem winzigen Bad. Als ich mein Handy entsperrte, sah ich die vielen Erwähnungen in den verschiedensten Stories auf Instagram. Ich schrieb Emma, dass sie diese auf mögliche peinliche Bilder kontrollieren soll. Es war eine Ewigkeit her, dass ich derart über die Stränge geschlagen habe.

Jacks Kühlschrank war nicht allzu voll, doch es reichte, um ein wenig Rührei mit Bacon und Pancakes zu machen. Kurze Zeit später wurde auch Jack wach und schwärmte von dem in meinem Augen eher einfachem Frühstück. »Also du und Ava, so war doch ihr Name, ihr seid echt nur Freunde?« Shit, Ava. Ich habe sie gestern gar nicht mehr gesehen und sie nicht mal gefragt, ob sie gut nachhause gekommen ist. »Ehrlich gesagt kenn ich sie gar nicht so gut, wir haben uns zweimal zufällig gesehen und uns ziemlich gut verstanden.« Jack sah mich misstrauisch an: »Da lief nichts?« »Da lief nichts.« Es fühlte sich komisch an, ich kannte sie kaum, doch hatte mit ihr eine unfassbar schöne, tiefgründige Unterhaltung wie ich sie schon lange nicht mehr hatte. Irgendwas unterschied sie von den Frauen, die ich normalerweise traf.

Lost & found - The Way we goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt