Kapitel 20
Es durchzuckte sie wie ein Feuerwerk. Sie war noch benommen von ihren Gefühlen aus dem Traum. Es dauerte einen Moment ehe ihr Bewusstsein realisierte, was Christopher tat. Zuerst wusste Miray nicht, wie sie reagieren sollte. Anders als bei Maliks Kuss kam ihr nicht als erster Impuls eine Ohrfeige in den Sinn. Ganz vorsichtig bewegte sie ihre Lippen gegen seine. Doch schon im nächsten Augenblick löste er sich von ihr; atemlos sahen sie sich in die Augen.
Bis Christopher aufstand und das Zimmer verließ. Ohne ein weiteres Wort zu sagen. Miray waren jegliche Worte ebenfalls abhanden gekommen, weshalb sie Christopher nur hinterher starrte, die Finger ihre Lippen berührend.
Zu allem was sie bis jetzt durchmachen und erleben musste, sollten jetzt also auch noch Gefühle der Art hinzukommen? Dafür hatte sie jetzt einfach keine Zeit, auch wenn es eine unglaubliche Welle an Wärme und Geborgenheit war, die sie während dieses sanften Kusses überflutete. Ihr wurde klar, dass sie sich schon länger zu ihm hingezogen fühlte. Als würde er sie anziehen, wie eine Motte das Licht. Er wirkte so stark auf sie, dass sie in seiner Nähe immer Sicherheit spürte. Er machte sie schwach.
Seufzend fuhr Miray sich durch ihre zotteligen, roten Haare und starrte auf die Bettdecke. Ihr war klar, dass sie wahrscheinlich sterben würde. Somit würde sie auch das Alptor öffnen, welches noch immer tief in ihrem Geist lauerte. Doch genau das musste sie irgendwie verhindern.
Also nutzte sie die Gelegenheit ihres aufgewühlten Zustandes und tapste in die Bibliothek des Hauses. Sie musste Informationen darüber finden, wie sie trotz ihres Todes das Alptor geschlossen halten könnte. Sie musste herausfinden, was es bedeutete Nyx zu sein, wie Christophers Mutter es ihr in ihrem Geist mitgeteilt hatte.
Miray verlor jegliches Zeitgefühl während sie in der Bibliothek unzählige Bücher wälzte. Erst, als ein Sonnenstrahl direkt ihr Gesicht traf bemerkte sie, dass die Nacht bereits vorübergezogen war. Seufzend rieb sie sich die Augen und streckte sich. Nur noch vier Tage. In vier Tagen musste sie sich Konstantin gegenüberstellen. In vier Tagen würde sie Kat retten und den Tod an Frau Pauly um jeden Preis rächen.
Miray klappte das Buch zu, in dem sie gerade las und nahm es mit auf ihr Zimmer. Es wirkte vielversprechend weshalb sie es unbedingt weiterlesen wollte. Aber zuerst musste sie sich einer gewissen Hygieneroutine stellen.
Somit trat sie eine halbe Stunde später aus dem Badezimmer und setzte sich wieder auf ihr Bett um weiter in dem Buch zu lesen. Frühstücken wollte sie nicht und das Training würde frühestens in zwei Stunden beginnen. Genug Zeit um Informationen in sich aufzusaugen.
>>Nyx, die Mondgöttin. Die Personifikation der Nacht. Laut Legende beherbergt die Nyx eine enorme Kraft, die den Körper einer einfachen Person in Stücke zerfetzen würde, bräche sie aus. Nyx alleine ist nicht fähig zu überleben; fernab ihres Daseins als Göttin. Die Nacht benötigt den Tag für ihren Wert, sowie der Tag die Nacht braucht. Zusammen ergeben sie die Balance der Welten und tragen sie auf ihren Schultern.<<
So etwas Ähnliches hatte sie sich schon gedacht. Weshalb es ihr auch nicht allzu seltsam vorkam, dass sie sich in irgendeiner Form zu Christopher hingezogen fühlte. Schließlich war er wohl Helios. Er war ihr Gegenstück. Gott der Sonne. Nur gemeinsam konnten sie die Balance halten. Vielleicht war er auch der Schlüssel für ihre Kraft? Wenn sie sie alleine nicht in ihrem Körper beherrschen konnte, vielleicht war es dann mit seiner Hilfe mögliche ihre Kraft zu entfesseln ohne dabei zu sterben? Vielleicht konnte sie so ihre Freundin retten und gleichzeitig das Alptor beschützen?
Miray blätterte weiter in dem Buch herum. Bis sie erschrocken das Buch fallen ließ. Die Seiten waren gänzlich geschwärzt. Allerdings schienen sie nicht mit Druckerschwärze gefärbt zu sein. Die Farbe bewegte sich. Feine Schlieren durchzogen das Schwarz. Miray musste mehrfach blinzeln um sicher zu gehen, dass sie keine Halluzinationen hatte. Zögerlich streckte sie eine Hand aus und berührte eine der Seiten mit der Fingerspitze. Sofort durchzog ein blitzartiger Schmerz ihren Arm. Ruckartig zog sie ihre Hand zurück und begutachtete den Schaden. Sie konnte jedoch keine Verletzungen an sich feststellen. Als sie auf die Seiten blickte konnte sie dort, wo ihr Finger sie berührt hatte, Buchstaben erkennen. Die Schwärze waberte um den kleinen, freien Fleck herum. Wieder streckte sie den Finger aus und berührte das Schwarz. Der gleiche Schmerz durchzuckte sie, weshalb sie den Finger reflexartig wegzog. Darunter blieb ein weiterer Punkt auf dem Buchstaben zu sehen waren.
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Wanderer - Dreamcatcher ✔ WattyWinner 2019
FantasyWatty Awards Winner 2019 in der Kategorie Fantasy. Christopher war wutentbrannt. Doch das schnelle Zusammensacken des Körpers vor sich ließ ihn innehalten und seinen Angriff abbrechen. War er etwa zu weit gegangen? Er ließ Miray los und beobachtete...