Kapitel 2

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Kapitel 2

Die Vorlesungen waren nicht weiter nervenaufreibend, jedoch hatte sie immer wieder das Gefühl, nicht alleine zu sein. Natürlich war sie grundsätzlich nicht alleine in den Vorlesungen, jedoch beschlich sie immer wieder die Angst, speziell sie würde verfolgt werden. Anscheinend kam zu ihrer beginnenden Schizophrenie nun auch noch Paranoia.

Mit einem wütenden Schnauben verließ Miray das Universitätsgebäude. Der Vorfall vom Morgen hatte sie noch nicht losgelassen. Immer wieder wurde sie von einem Schauer überfallen. Nichtsdestotrotz musste sie die Miete zahlen und konnte sich heute Abend nicht in ihren Gedanken verlieren, sondern musste sich noch der Arbeit hingeben.

In dem Krimskrams Laden angekommen, begrüßte sie die Besitzerin freundlich. Immer, wenn sie diesen Laden betrat, hatte Miray das Gefühl sie könnte all ihre Sorgen hinter sich lassen. Sobald ihr Fuß die Türschwelle betrat, war es, als würde sie durch einen Vorhang gehen, der jegliche Lasten von den Schultern wirft, als würde er sie hier drin nicht dulden.

„Miray mein Kind, schön dich zu sehen. Es kam heute eine große neue Lieferung und ich bin noch immer nicht fertig damit, alles einzusortieren und mit Preisen zu versehen. Könntest du vielleicht da weiter machen?" Frau Pauly lächelte und deutete auf die Kisten die aus dem Lagerraum quollen.

Sie war eine nette, alte Dame. Immer fürsorglich aber auch streng. Sie duldete keine Verspätungen und Patzer, ebenso wenig wie Miray selbst. Vielleicht fühlte sie sich deswegen in der Nähe der alten Dame so wohl. Zudem gab es ihr, neben dem Verdienst, auch ein gutes Gefühl der Frau in ihrem Geschäft auszuhelfen. Alles in allem war es wirklich eine Fügung des Schicksals, dass sie ausgerechnet in diesem versteckten kleinen Lädchen eine Anstellung fand. Schließlich fiel die unscheinbare Fassade zwischen all den hell beleuchteten Geschäften kaum auf. Und doch zog sie ihre Neugier kurz nach ihrer Ankunft in diesen Laden. Alles wirkte so warm und herzlich. Als sie damals dann auch noch las, dass die Dame eine Aushilfe für die Abendstunden benötigte, war ihr klar, dass sie angekommen war.

„Natürlich, Frau Pauly! Was macht denn Ihr Fuß?", fragte Miray, während sie sich ihrer Jacke entledigte, ebenso ihrer Tasche, und weiter nach hinten zum Lagerraum ging.

„Ach weißt du mein Kind, ich denke noch immer, dass diese vermaledeite Wespe mich einfach nur auf dem Kieker hatte." Frau Pauly lachte über ihre Antwort und setzte sich wieder auf ihren Barhocker hinter der Kasse.

Vor zwei Tagen war sie von einer ziemlich aggressiven Wespe mitten auf den Fuß gestochen worden, als sie sich gerade auf den Weg nach Hause machen wollte. Da Frau Pauly auch noch allergisch gegen Wespen war, musste sie natürlich ins Krankenhaus. Miray kümmerte sich um alles. Sie wusste, dass Frau Pauly sonst niemanden mehr hatte und zudem war sie ihr sehr ans Herz gewachsen.

„Frau Pauly, ich denke nicht, dass ein Wespenstich ein Schicksalsstreich war", entgegnete Miray ihr, während sie eine der Kisten vom Stapel holte und mit einem Cuttermesser öffnete.

„Oh doch, mit Sicherheit. Diese kleine Wespe war nur der Anfang von einer Verkettung böswilliger, göttlicher Umstände, mein Kind."

Miray lachte noch einmal kurz auf und schüttelte dabei den Kopf. Frau Pauly war schon immer ein andersdenkender Mensch. Ihrer Meinung nach war alles was geschieht eine Verkettung von Dingen des Schicksals. Egal was man also tut, es führt immer wieder zu dem Ergebnis, dass das Schicksal für einen bereit hält. Miray fand diese Denkweise etwas skurril, beließ es aber dabei. Was hätte sie auch schon gegen die Lebensweisheit dieser 75-jährigen Dame entgegenzusetzen?

Nach 1 ½ Stunden war Miray noch immer tief in die Arbeit mit den Kisten vertieft. Kleine Mitbringsel waren der Inhalt, welche sie ordentlich in die Regale verteilte und mit Preisen versah. Es war eine ziemlich eintönige Arbeit, da Frau Pauly sich heute im Alleingang um die Kunden kümmerte, auch wenn es nicht all zu viele waren.

Wanderer - Dreamcatcher ✔ WattyWinner 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt