Kapitel 5

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Kapitel 5

Miray sah sich immer wieder um, konnte allerdings nirgends jemanden entdecken. Trotzdem fühlte sie, wie sie beobachtet wurde. Es ließ ihren Körper kurz erschaudern. Nach den letzten Vorkommnissen hatte sie immer panische Angst, dass hinter der nächsten Ecke wieder etwas auf sie wartete, dass sie verschlingen wollte.

Eine Hand auf ihrer Schulter ließ sie erschrocken zusammenzucken.

„Entschuldige, wir wollten dich nicht erschrecken." Dominic lächelte sein warmes Lächeln.

„Ich war einfach nur in Gedanken, entschuldige."

Dominic und Kat lachten kurz auf. Sie kannten ihre Mitbewohnerin zu gut. Sie war schon immer schreckhaft gewesen, besonders, wenn sie in Gedanken versunken war. Beide verfrachteten ihre Berge an Wäsche in die Waschmaschinen.

Somit verbrachten die drei den Nachmittag im Waschsalon. Sie redeten über Gott und die Welt, die Uni und nahmen sich sogar ein wenig Zeit zum Lernen. Keiner bemerkte den Verband an Mirays Handgelenk. Gut, dass sie ihren langärmligen Pulli angezogen hatte. Sie wollte keine Fragen auf die sie selbst keine Antworten kannte. Und das was sie wusste, würde sie wohl eher in eine Anstalt bringen.

Zurück in der WG war Miray unendlich froh ihren leeren Kleiderschrank mit frisch gewaschener und duftender Wäsche zu füllen. Es tat gut eine Aufgabe des Alltags erledigt zu haben. Ein Stück Normalität in dem neuerlichen Chaos zu verspüren.

Doch der Blick durch ihr Zimmer ließen immer wieder Bilder der letzten Nacht in ihr hoch kochen. Dieses Wesen. Sie brauchte unbedingt mehr Informationen, an einem neutralen Ort. Hier fühlte sie sich einfach nicht sicher. Zumindest nicht im Moment.

Da fiel ihr ein, dass ihre Schatulle nicht da war. Das hieß wiederum, dass jemand in ihrem Zimmer gewesen sein musste. Dominic oder Kat. Keiner von beiden würde das jemals tun, da war sie sich eigentlich sicher gewesen. Was wollten sie denn auch mit einem kleinen, simplen Traumfänger aus einem Krimskrams Laden?

„Ich muss hier raus...und arbeiten", sprach sie seufzend zu sich selbst. Die Uni konnte sie schwänzen, die Arbeit nicht. Sie war wirklich auf ihr Gehalt angewiesen und zudem wollte sie Frau Pauly auch nicht im Stich lassen.

Schnell zog sie einen ihrer frisch gewaschenen, wärmeren Pullis über und verließ die Wohnung.

In Frau Paulys Laden war es wuselig. So sah es im Sommer nie aus. Es kam nur zur Weihnachtszeit vor, dass sie sich vor Kunden kaum retten konnten. Plötzlich brauchte jeder irgendwelche kleinen Dinge, die er seinen Liebsten schenken wollte. Miray begrüßte ihre Chefin, die gerade die elendig lange Schlange an der Kasse abarbeitete, mit einem Lächeln und machte sich direkt an die Arbeit. Hier und da musste Ware aufgefüllt werden oder man fragte nach dem besten Geschenk für den Chef, den Kollegen, Familie.

Miray begrüßte diese Abwechslung. Die Arbeit nahm sie voll und ganz in Beschlag, weshalb sie ihre Gedanken nicht mehr zu etwas anderem wandern lassen konnte. Erst gegen Abend, kurz bevor der Laden sowieso geschlossen hätte, konnte sie einmal durchatmen. Frau Pauly stand die Anstrengung ebenfalls ins Gesicht geschrieben.

„Frau Pauly, machen Sie schon Feierabend. Ich räume auf und schließe auch ab", bot Miray ihr freundlich an. Die alte Dame sah wirklich erschöpft aus.

„Ach Kindchen. Das ist eine gute Idee...weißt du, irgendwann bin ich einfach alt geworden. Alt und müde." Frau Pauly wirkte ganz in sich gekehrt. Nicht mehr so fröhlich und lebensbejahend wie sonst. Aber körperliche Anstrengung konnte so etwas mit einem Menschen durchaus machen.

Sie nahm gerade ihre Tasche in die Hand, als sie sich noch einmal zu Miray umdrehte.

„Mir fällt ein...wegen diesem Kästchen. Du kannst es ruhig behalten. Es wird irgendwem dazwischen gefallen sein. Scheint aber auch nicht vermisst zu werden. Vielleicht willst du es ja auch zu Weihnachten verschenken." Bei ihrem letzten Satz zwinkerte sie Miray einmal verschmitzt zu.

Wanderer - Dreamcatcher ✔ WattyWinner 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt