Kapitel 4

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Kapitel 4

Er schlug die Augen auf. Er besuchte im Schlaf gerne die Bibliothek seiner Familie. Schließlich war das die einzige Möglichkeit ungestört ein wenig in den fast schon verbotenen Büchern zu lesen. Trotzdem fühlte er sich anders, als sonst. Irgendwas war da in seinem Kopf, das da nicht hingehörte. Fast so, als wären da noch Spuren eines anderen. Aber das konnte nicht sein. Keiner seiner Freunde hatte Zugang zu diesem Ort in seinem Kopf.

Christopher grummelte vor sich hin. Er war ratloser als die Nacht zuvor. Sein Geist hat die gesamte Nacht damit verbracht Informationen über die Wanderer zu sammeln. Leider war die häufigste nur, dass diese nicht mehr existent waren. Von dunklen fand er nicht den Hauch einer Information. Vielleicht hatte er sich auch nur getäuscht, allerdings würde das ihre unglaublich seltsame Präsenz nicht erklären.

Er ließ vor seinem inneren Auge noch einmal ihre Gestalt erscheinen. Als er sie das erste Mal wahrgenommen hatte, lagen dunkle Schatten um sie. Das hatte er allerdings schon sehr oft bei depressiven Menschen entdecken können. Nach kurzer Zeit gelang es ihm immer tiefer vorzudringen und das wahre Wesen ihres Geistes auszumachen. Nicht so bei ihr. Egal, wie tief er auch grub, es wurde nur dunkler und dunkler bis er Angst hatte, nicht mehr aus ihr heraus zu finden.

Sein Blick glitt zum Fenster. Draußen war es noch dunkel. Tiefe Wolken verrieten ihm, dass es heute wieder ein ungemütlicher, regnerischer Tag werden würde. Nicht, dass er das nicht bereits wüsste. Max war sein laufender Wetterbericht, der ihm immer über alles auf dem Laufenden hielt. Max war kein großer Fan von Regen und Sturm, was Christopher in Anbetracht seiner Vergangenheit durchaus nachvollziehen konnte. Somit wusste er aber auch, dass er sich heute wieder auf dessen Jammern und Stöhnen vorbereiten musste.

Wieder grummelte er. Er mochte seine Freunde, keine Frage. Aber die Tatsache, dass sie von ihrer eigentlichen Ausbildung so hingehalten wurden, passte ihm gar nicht. Er hätte bereits viel weiter sein können und doch wurden ihm die nächsten Übungen alle verwehrt. Nicht mal sein Geist konnte in der Bibliothek Aufzeichnungen darüber finden. Kurz besah er seine Hände. Seine Fingerkuppen. Es tat unendlich weh, damals. Er war noch ein Kind. Trotzdem war er jetzt sicherer, das wusste er. Niemand würde ihn finden oder ihm etwas nachweisen können.

Wenn er allerdings noch weiter hier im Bett herumsitzen und in Nostalgie schwelgen würde, hätte er bald Nadia in der Tür stehen. Darauf konnte er mit Sicherheit verzichten. Hausmädchen passte nicht ganz zu ihrer Berufsbezeichnung. Gouvernante war passender, auch wenn sie ihre Strenge immer nur in Gegenwart seiner Eltern heraushängen ließ. Sie war viel mehr seine Ziehmutter. Sie hielt alles im Haus am Leben, füllte es damit.

Ein energisches Klopfen holte ihn aus seiner tiefen Gedankenwelt.

„Wenn du nicht in fünf Minuten fertig angezogen vor dieser Tür stehst, dann Gnade dir Gott." Ihre Stimme war streng und fordernd. Er wusste genau, dass ihre Drohung durchaus einen gewissen Grad an Ernsthaftigkeit in sich trug.

„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Nadia."

Es schlich sich ein leichtes Lächeln auf sein maskenhaftes, versteinertes Gesicht. Sie war die Einzige, die ihn so sehen durfte.

Da er ihre Warnung allerdings auch sehr ernst nahm; einmal kam sie polternd rein und übergoss ihn mit eiskaltem Wasser; beeilte er sich seine Kleidung anzuziehen und genau vier Minuten und 23 Sekunden später vor der Tür zu stehen.

Nadia hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Auf ihren Armen saß...ein Huhn.

„Schade. Ich hätte dir Antoinette gerne ins Bett gesetzt. Dann ein anderes Mal."

Sie verzog dabei keine Miene und ging nur mit dem Huhn auf dem Arm den Flur entlang. Dieses ließ immer Mal wieder vereinzelte Geräusche von sich.

Wanderer - Dreamcatcher ✔ WattyWinner 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt