Kapitel 6

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Erst als wir im Motel angekommen waren, schaffte ich es meine Hand aus seinem Griff zu befreien. „Hör auf damit!", fauchte ich und drehte mich von ihm weg. Ich wusste nicht warum ich ihn so anfuhr, doch ich konnte nicht anders. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien. Dieser Zorn in mir war durch das abgebrochene Telefonat mit meiner Mutter nur größer geworden und, dass Jack mir keine Zeit gelassen hatte noch einmal mit ihr zu sprechen, machte es nicht besser. „Womit soll ich aufhören?", fragte er in ebenso scharfem Ton wie ich. „Hör auf damit, mich herumzuzerren, als wäre ich ein kleines Mädchen, dass nicht in der Lage ist eigene Entscheidungen zu treffen!", rief ich und wirbelte zu ihm herum. Jack schnaubte und ich merkte, dass ich mit meinem Ton seinen harten, glatten Gesichtsausdruck ein wenig geschwächt hatte, den er sonst immer zur Schau trug. „Und hättest du dich etwa dazu entschlossen einfach mitzukommen?", fragte er und es war eindeutig, dass wir beide die Antwort kannten. „Selbst, wenn nicht, du musst mir doch meinen freien Willen lassen!", schleuderte ich zurück. Jack strich sich mit einer Hand über den Hinterkopf, als müsste er sich zusammenreißen um nicht die Kontrolle zu verlieren. „Hier geht es nicht mehr um freien Willen oder das was dir gerade in den Kram passt, Kathleen. Hier geht es um unser Überleben. Es tut mir leid, dass meine Versuche dich zu beschützen, dir nicht besonders gefallen, aber wir haben nun mal keine andere Wahl!", Jacks Stimme wurde mit jedem Wort lauter und ich fühlte mich mit einem Mal ziemlich ernüchtert. Er hatte ja recht und ich führte mich hier auf wie ein verzogenes Gör, dabei war Jack noch nicht einmal der auf den ich sauer war. Es war diese ganze Situation, die meine Wut schürte. Der ganze Stress des letzten Tages schien über mich hinein zu brechen wie eine Welle. Ich lies mich aufs Bett sinken und verbarg das Gesicht hinter den Händen. Ich war so aufgewühlt, dass ich es nicht einmal fertigbrachte zu weinen.

„Gott, es tut mir leid", sagte ich zwischen meinen Fingern hindurch und hoffte, dass er mich hörte. „Du musst mich für vollkommen hysterisch halten." Ich hörte wie er seufzte und sich auf die quietschende Couch fallen ließ. „Nein, das tue ich nicht", erwiderte er ruhig. Als ich zwischen meinen Fingern hindurchsah, merkte ich, dass er wieder diesen allglatten Ausdruck in den Augen. Ich lächelte ihn an und hoffte, dass er das als die dankbare Geste verstand, als die es gedacht war. „Hör mal, ich kann dich verstehen. Das hier", er umfasste mit seinen Händen den ganzen Raum. „ist alles andere als optimal und es ist verständlich, dass es dir Angst macht." Seine Stimme war tief und beruhigend. Plötzlich stand er auf und stellte sich vor mich. Er hielt mir die Hand hin. „Steh auf." Ich folgte seiner Bitte und er ergriff sanft meine Hand. „Atme jetzt tief ein und aus, das hilft", sagte er leise und sah mir in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick und während ich ein und ausatmete, versank ich darin. Seine Iris hatte diese undefinierbare Farbe irgendwo zwischen blau, grün und grau und war von langen Wimpern umrahmt. Es war faszinierend ihn anzusehen.

„Geht es wieder?", fragte er und durchbrach damit die Stille, die zwischen uns geherrscht hatte. Hastig nickte ich und er ließ mich los. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass eine Blase zerplatzt war, die sich für wenige Momente um uns herum gebildet hatte. Es hatte mich an die Situation auf dem Balkon erinnert, dort war er mir auch so nah gewesen. Allerdings war es jetzt keine Panik, die ich verspürte, sondern, eine unterschwellige Angst, die sich anfühlte wie klebriger, schwarzer Teer, der in meinen Eingeweiden umherwaberte.

„Ja, es ist besser danke", antwortete ich etwas verspätet. „Also, was willst du jetzt tun?" Bei Jacks Frage, runzelte ich überrascht die Stirn. Er vergrub nur die Hände in den Taschen seiner Stoffhose und zuckte die Achseln. „Du willst Entscheidungsfreiheit und die versuche ich dir zu geben."

Ich musste für einen Moment auflachen, dann strich ich über meinen Rock und nahm die Schultern zurück. „Nun gut, ich denke ich sollte zunächst meine Gedanken ordnen", sagte ich und ließ mich wieder aufs Bett sinken. „Ich meine alles was ich weiß ist, dass mein Vater an dem Abend bevor er mich weggeschickt hat, Besuch von zwei Männern hatte und es hat sich nach einem Streit angehört. Ich habe aber keine Ahnung ob das etwas damit zu tun hat, dass er mich weggeschickt hat." Jack hatte damit begonnen im Zimmer langsam auf und abzugehen. „Naja, das ist doch immerhin etwas. Hast du irgendwelche Namen mitgehört oder sonstige Anhaltspunkte?", fragte er, den Blick konzentriert auf den Boden gerichtet. „Nein...", sagte ich sofort, doch dann fiel mir etwas ein. „Nein, Moment ich habe doch einen Namen gehört. Er klang nicht besonders amerikanisch, eher russisch oder etwas in der Art."

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