Ich weiß nicht wie lange ich im Salon blieb. Irgendwann ließ ich mich auf einen der Sessel sinken und zog mir die Knie an die Brust, als könnte ich den Schmerz in mir lindern, wenn ich mich so klein wie möglich machte. So saß ich dann einfach da, wiegte mich vor und zurück und versuchte zu verstehen, was da soeben geschehen war. Wie konnte es denn möglich sein, dass nur ein Wort mir so viel Kummer bereitete? Verlobte. Warum war mir denn nicht klar gewesen, dass es da bereits eine Frau in Jacks Leben geben musste? Er war viel zu vollkommen gewesen. Abgesehen von der ständigen Todesgefahr, in der wir geschwebt hatten, war alles zwischen uns viel zu perfekt gewesen, als das es hätte wahr sein können.
Schließlich kam meine Mutter in den Saloon, strich mir besorgt übers Haar und fragte mich, was denn passiert sei, doch als ich ihr keine Antwort gab, fragte sie nicht weiter, sondern bat ein Hausmädchen ihr zu helfen, mich in mein Zimmer zu bringen. Dort legte ich mich in mein Bett, drehte den Rücken zur Tür und verharrte bis zum nächsten Morgen so in dieser Position.
Vermutlich wäre ich auch weiterhin einfach so liegengeblieben, doch als ich die Sorge im Gesicht meiner Mutter sah, die mich zum Frühstück hinunter holen wollte, stand ich ihr zu zuliebe doch auf, gestattete es einem Hausmädchen mir beim Entkleiden zu helfen und bat sie darum mir ein Bad einzulassen. Dort saß ich dann und schrubbte so hart mit der nach Rosen duftenden Seife über meine Haut, als wolle ich bis zum Knochen vordringen. Irgendwann ließ ich mich in dem warmen, wohlriechenden Wasser zurücksinken und ohne dass ich es wollte tauchten Bilder vor meinem inneren Auge auf, wie Jack bei seiner wunderschönen Verlobten vor der Tür stand, ihr Blumen reichte und sie zur Begrüßung küsste. Ich stellte mir auch vor, wie sie eine prächtige Hochzeit feierten, mit hunderten von Gästen und wie Jacks Vater der General, den beiden gratulierte. Dann wanderten meine Gedanken weiter und ich sah Jack mit seiner noch immer wunderschönen Frau auf einer Veranda sitzen, beide in hohem Alter und er gestand ihr, dass er einmal eine verwöhnte, kleine Millionärstochter verführt hatte, versicherte ihr jedoch, dass er bei jedem Kuss nur an seine wunderbare Verlobte gedacht hatte und seine Frau lachte und sagte, sie sei ihm nicht böse, da sie ja immer gewusst habe, dass sie die einzige war, die er liebte.
Während mein Kopf sich die Fantasien ausmalte, die mein Herz nur noch mehr zum Schmerzen brachte, liefen mir zunächst stumm Tränen über die Wangen, die sich jedoch langsam in ein Schluchzen verwandelten. Als das Wasser schließlich kalt war und ich aus der Wanne stieg, fühlte ich mich, als hätte ich keinen Tropfen Flüssigkeit mehr im Körper.
Vollkommen ausgelaugt tapste ich mit noch feuchtem Haar, aber dafür in einem frischen Kleid zu meinen Eltern hinunter ins Speisezimmer. Ich konnte spüren, dass sie nichts lieber wollten, als mich mit Fragen über mein seltsames Verhalten zu löchern, doch sie gaben sich alle Mühe es zu verbergen. Mir war klar, dass sie früher oder später nachhaken würden, doch bis es so weit war, würde ich ihnen keinen Grund zur Beunruhigung geben, vielleicht würde das ihren elterlichen Drang, mein Verhalten zu ergründen, beschwichtigen. Folglich wandte ich mich dem Essen zu, das vor mir auf dem Tisch stand, auch wenn ich keinen Hunger hatte. Obwohl ich in den vergangenen Tagen so oft von den Köstlichkeiten geträumt hatte, die unser Zuhause zu bieten hatte, nahm ich mir jetzt lediglich einen Bagel und begann ihn mit Marmelade zu bestreichen. Während ich das tat konnte ich die Blicke von Mom und Dad auf mir spüren, doch ich sah nicht auf, aus Angst, dass sie diese Geste als Aufforderung verstehen würden, mir Fragen zu stellen.
* * *
So verbrachte ich auch alle folgenden Tage. Ich zog mich von meinen Eltern zurück, verbrachte viel Zeit in unserem weitläufigen Garten, voller ordentlicher Hecken und Brunnen und gab mir alle Mühe einen normalen Eindruck zu machen, obwohl mir das nur bedingt gelang. Während dem Essen starrte ich stets auf meinen Teller und verschwand wieder in mein Zimmer oder in den Garten, sobald das Geschirr abgeräumt wurde. Sogar das ganze Chaos mit dem Kolesnikow-Clan erschien mir mit diesem erdrückenden Schmerz in der Brust weniger dramatisch. Victor schien sich Urlaub genommen zu haben, zumindest war er nirgends auf dem Anwesen zu sehen und ich war froh darum. Durch ihn wäre ich vermutlich jeden Tag schmerzhaft an Jack erinnert worden.
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A Girl Made Of Ivory
RomanceLos Angeles, 1956: Kathleen Edwards ist die Tochter eines millionenschweren Waffenproduzenten. Am Abend ihres achtzehnten Geburtstages hört sie mit, wie ihr Vater sich mit zwei ihr unbekannten Männern streitet. Schon am nächsten Morgen schicken ihre...