Kapitel 25

217 10 4
                                    

Ich bemerkte erst, dass ich angefangen hatte zu weinen, als die Tränen auf das Papier tropften und die Tinte verwischten. Immer wieder las ich ungläubig die Worte über seiner Unterschrift. Ich liebe dich. Dann wanderten meine Augen weiter zu den Zeilen unter seiner Unterschrift. Sofort nahm ich das Buch in die Hände und begann zu blättern. Die ersten Zeichnungen kannte ich ja bereits, aber trotzdem strich ich beinahe andächtig über die feinen Kohlelinien. Schließlich kam ich zu der Zeichnung, die Jack von mir auf diesem Felsen gemacht hatte. Aus meinen stummen Tränen wurde ein Schluchzen. Ich sah so glücklich aus, wie ich da aus der Kohlezeichnung heraus sah. Bei dem Gedanken daran, was uns danach zugestoßen war, füllten sich meine Augen nur noch mehr mit Tränen und dann entdeckte ich, was am rechten, unteren Rand der Seite stand. A girl made of ivory. Ich presste mir die Hand auf den Mund, um mit meinen Schluchzern nicht das ganze Haus aufzuwecken. An dem Tag, bevor er diese Zeichnung angefertigt hatte, hatte Jack, als ich gerade dabei war, die Tücher im See zu waschen, mir die nassen Leinentücher aus der Hand genommen, mir ein Haar aus der Stirn gestrichen und gesagt, so im Sonnenlicht sähe meine Haut aus, als wäre sie aus Elfenbein gefertigt. Einfach so. Bei der Erinnerung daran, wie sehr mich seine Worte gerührt hatten, fühlte es sich an, als würde mir jemand den Brustkorb aufreißen und mein Herz zerquetschen.

Ich presste das Buch und den Brief fest an meine Brust, als könnte ich so einen Teil der Schmerzen in meinem Inneren heilen, rollte mich auf meinem Bett zu einer kleinen Kugel zusammen und weinte mich stumm in den Schlaf.

* * *

Am nächsten Morgen trieb mich einzig und allein der Gedanke an Jack aus dem Bett. Wieder einmal war ich in meiner Tageskleidung eingeschlafen und fühlte mich vollkommen gerädert. Meine Gefühle für Jack waren jetzt so wirr, dass ich sie in die hinterste Kammer meines geschundenen Herzens schließen musste, sonst wäre ich durchgedreht.

Als ich hinunter in die Halle trat bemerkte ich, dass auch keiner der anderen besonders gut geschlafen hatte und obwohl unser Haus voller Leute war, herrschte eine geradezu gespenstische Stille. Die Männer unterhielten sich, wenn überhaupt, nur gedämpft und schielten ständig zu meinem Vater und General Warren hinüber. Ich hatte mich noch nicht getraut zu fragen, wie er es geschafft hatte, Soldaten – ich ging schwer davon aus, dass es sich um Soldaten handelte, da sie alle Uniform trugen – zu diesem privaten Zweck abzukommandieren und ich hatte es auch nicht vor. Mir war es egal woher die Leute kamen, die Jack retten sollten. Hauptsache sie retteten ihn.

Und genau daran arbeiteten alle den gesamten Tag unermüdlich. Während Warren mit seinen Männern die Taktiken besprach und Dad die alten Pläne seiner Fabrikgebäude hervorholte, um alle Eingänge und Ausgänge der Hallen ausfindig zu machen, lief meine Mutter herum und bot allen Sandwiches und Erfrischungen an. Auf die fremden Soldaten mochte das vielleicht seltsam wirken, aber ich wusste, dass es ihre Nerven beruhigte, Gäste zu verpflegen. Ich selbst versuchte, den Unterhaltungen zu folgen und so bei der Planung zu helfen, doch das ging schlecht, wenn sich keiner darum bemühte mich an den Gesprächen teilhaben zu lassen. Dad schloss mich absichtlich aus und ich wusste, dass er das tat, weil er mich schützen wollte, aber gleichzeitig wurde ich auch unfassbar wütend. Er hatte versprochen mich nicht mehr auszuschließen und doch tat er genau das. Ich war kurz davor ihn deswegen zur Rede zu stellen, aber dann wurde mir klar, dass es Jack nicht helfen würde, wenn ich jetzt eine Szene machte. Eher im Gegenteil. Also blieb ich stumm und folgte Dad und Warren auf dem Fuß, auch wenn ich dafür missbilligende Blicke erntete.

Beide waren unglaublich angespannt und Dad musste sich neben den Plänen für Jacks Befreiung auch noch mit den Waffen beschäftigen, die Kolesnikow angefordert hatte. Zuerst erschloss es sich mir nicht, warum wir denn noch einen Befreiungsplan brauchten, wenn Dad bereit war, Kolesnikow die Waffen zu geben und ich verstand auch nicht warum Dad Kolesnikow die Waffen überhaupt aushändigen wollte. Wir machten das alles doch nur durch, weil er sich geweigert hatte mit Kolesnikow Geschäfte zu machen.

A Girl Made Of IvoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt