Kapitel 12

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So ungern ich es auch tat, löste ich mich irgendwann von Jack und stand auf, denn es gab noch etwas um das wir uns kümmern mussten. Fragend sah er mich an. „Wir müssen etwas für deine Prellung tun", erklärte ich und deutete auf seine rechte Seite. Sofort machte er eine wegwerfende Handbewegung und machte Anstalten zu widersprechen, doch ich ließ es nicht zu. Stattdessen befahl ich ihm im Zimmer zu bleiben, während ich zur Rezeption lief und die Dame hinter dem Schalter nach Schnaps fragte. Statt mir eine Wegbeschreibung zum nächsten Laden zu geben, griff sie einfach in das Regal hinter sich, holte eine braune Flasche hervor und hielt mir eine Hand hin, in die ich ihre Bezahlung legte.

Wieder zurück im Zimmer, nötigte ich Jack dazu, auf dem Bett Platz zu nehmen und holte alle Handtücher aus dem Badezimmer, die ich finden konnte. Zunächst feuchtete ich eins mit eiskaltem Wasser an und hielt es Jack hin, damit er den Bluterguss zumindest einmal kühlen konnte.

Jack sah mich zwar skeptisch an, doch er zog sein Hemd wieder aus und legte sich das kalte Tuch auf die Verletzung. „Weißt du was du da tust?", fragte er, während er sich hinlegte und mir dabei zusah wie ich ein weiteres Handtuch mit scharf riechendem Schnaps tränkte. Ich musste lächeln. „Mehr oder weniger", gab ich zu und umrundete das Bett, damit ich das andere Handtuch auf seine Prellung halten konnte. „Als ich ungefähr fünfzehn war, erkrankte meine Großmutter. Mein Vater bestand darauf, dass sie zu uns nachhause kommen würde, um gesund gepflegt zu werden und nicht in ein Krankenhaus. Also stellte er auch zwei Krankenschwestern ein, die rund um die Uhr für Großmutter sorgen sollten. Eine von beiden mochte ich besonders, sie hieß Rose und war noch recht jung", erzählte ich, setzte mich neben Jack, nahm das kalte Tuch von der Prellung und legte stattdessen das von Alkohol durchtränkte darauf. Er atmete zwar zischend ein, sagte aber kein Wort. „Ich war unglaublich neugierig und fand es so interessant, was die Schwestern alles taten, um meiner Großmutter zu helfen, dass ich Rose irgendwann fragte ob sie mir erklären konnte, was sie tat. Sie lachte und versprach mir ein wenig von dem beizubringen, was sie wusste. Jede freie Minute die sie hatte, verbrachte sie mit mir und erklärte mir wie man Erkältungen kuriert, Wunden sauber reinigt oder eben auch Prellungen behandelt."

„Wieso bist du dann keine Krankenschwester geworden?", fragte Jack und ich brauchte einen Moment, um aus den Erinnerungen aufzutauchen, in denen ich soeben geschwelgt hatte, bevor ich ihm antworten konnte. „Meine Mutter hätte das niemals erlaubt, ihrer Meinung nach sollte ein Mädchen aus einer Familie wie der meinen keine körperlichen Arbeit nachgehen. Eigentlich, gar keiner Arbeit, sondern lieber auf einen Mann warten und vorteilhaft heiraten", sagte ich und hörte selbst wie bitter ich klang. Natürlich waren die Ansichten meiner Mutter absolut vernünftig und ich würde mir auch nichts anderes vorstellen können, als einmal zu heiraten, aber trotzdem konnte ich diese Neugier nicht unterdrücken. Die Neugier auf Berufe und ein Leben außerhalb unseres großen Hauses, in dem ich schon mein Leben lang wohnte.

Schnell räusperte ich mich, bevor Jack bemerkte, wie sehr dieses Thema an mir nagte. „Abgesehen davon, denke ich nicht, dass ich in der Lage wäre etwas zu behandeln, das schlimmer als ein Schnupfen ist." Ich wollte Jack nicht ansehen, weil ich genau wusste, dass er jeden meiner Gedanken an meinem Gesicht ablesen konnte.

„Ich finde, du machst das hier gerade ziemlich gut", wiedersprach er und sah dabei zu, wie ich das Tuch wendete, damit die kühlere Seite auf seiner Haut lag. Ich zuckte nur mit den Schultern, weil ich nicht wusste was ich sagen sollte. Dieser Moment hier, mit ihm, das war etwas völlig anderes, als fremden Menschen dabei zuzusehen, wie sie die furchtbarsten Krankheiten durchstehen mussten und in einem Krankenhaus würde ich Massen von solchen Leuten zu sehen bekommen. Da ich aber nicht wusste, wie ich dieses Empfinden ihm gegenüber ausdrücken sollte, sagte ich einfach gar nichts.

Jack räusperte sich, so wie ich es auch getan hatte und setzte sich ein wenig auf. Erschrocken sah ich auf und wollte ihn sofort wieder niederdrücken, aber da saß er bereits aufrecht da und lehnte sich an die Wand. „Ich kann deine Wunden nicht unbehandelt lassen", sagte Jack und griff sich das mit kaltem Wasser befeuchtete Handtuch und legte es auf meine pochende Wange. Mit seiner Hand an meinem Gesicht wäre es albern gewesen jetzt noch seinem Blick auszuweichen. „Wer von ihnen war es?", fragte er. „Er hieß Mischa. Einer von den beiden, die uns aus dem Diner geführt haben. Der mit dem Schnauzer." Wieder sah ich wie sein Kiefer sich anspannte. In diesem Moment fiel mir wieder etwas ein, was ich ihn noch fragen wollte, doch nach der langen Fahrt hatte ich das vergessen. „Jack, warum warst du dir so sicher, dass sie nicht auf mich schießen würden?", fragte ich, während er das Tuch von meiner Wange nahm und stattdessen zu der Schnapsflasche griff. „Wenn sie dich hätten töten wollen, dann hätten sie das im Wagen getan oder spätestens in ihrem Versteck", erklärte er. „Sie brauchen dich, da bin ich mir sicher. Höchstwahrscheinlich als Erpressung gegen deinen Vater."

A Girl Made Of IvoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt