Kapitel 26

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„...Ihre ganze kleine Armee mitgebracht, das ist ja herzerwärmend", sagte eine kalte, schnarrende Stimme. Ich wusste nicht wem sie gehörte, aber sie jagte mir einen unheimlichen Schauer über den Rücken. „Nun Sie sind heute Abend ja auch nicht alleine erschienen", erwiderte mein Vater mit ruhiger Stimme. Der andere Mann lachte höhnisch. „Aber natürlich nicht, ich brauche doch Leute, die meine Ware entgegennehmen und den hübschen, jungen Leibwächter hier im Auge behalten, auch wenn er gerade nicht wirklich eine Gefahr darstellt." Jack! Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als ich daran dachte, was dieser Fremde wohl damit meinte, wenn er sagte, dass Jack keine große Gefahr darstellte. „Nun gut, Mr. Kolesnikow, bevor wir ins Geschäft kommen, will ich aber noch einen Beweis, dass der Junge noch am Leben ist, ansonsten ist unser Deal geplatzt", erwiderte Dad sachlich. Es machte Angst mit welcher Distanziertheit er über das Leben eines Mannes sprechen konnte, mit dem er noch vor einer Woche so voller Respekt und Dankbarkeit persönlich geredet hatte. Doch noch viel mehr Angst machte mir der Name, mit dem er den Fremden soeben angesprochen hatte. Mr. Kolesnikow. Es war irgendwie bizarr, dass ich mit diesem mysteriösen, angstumwitterten Mann, der uns jetzt schon so lange aus der Ferne bedrohte, in einem Raum war.

Langsam konnte ich die Männer auch sehen. Ich stellte mich hinter eines der Regale und beobachtete die Szenerie zwischen zwei Regalbretter hindurch. Dad stand mit dem Rücken zu mir, seine Männer standen dicht bei ihm. Ihm gegenüber stand ein glatzköpfiger, untersetzter Typ in teurem Mantel und mit vielen goldenen Ringen an den Händen. Das musste Kolesnikow sein. Auch hinter ihm standen einige Männer. Ziemlich viele sogar. Ich zählte über zwei Dutzend. Allesamt bewaffnet und mit finsteren Blicken. Und zwischen den beiden, in der Mitte der beinahe leeren Halle – und mir stockte der Atem, als ich ihn sah – saß Jack auf einem Metallstuhl. Er war gefesselt, sein Kopf hing ihm auf die Brust und ich konnte selbst aus dieser Entfernung sehen, dass Blut von seinem Gesicht floss. Aber immerhin konnte ich keine gebrochenen Knochen feststellen.

Bei Dads Worten kräuselten sich Mr. Kolesnikows Lippen amüsiert und mit einem Kopfnicken befehligte er einen Mann hinter ihm nach vorne. Dieser packte Jack am Schopf und drückte so dessen Kopf in den Nacken, sodass man im spärlichen Licht der wenigen Deckenstrahler, in dem der Staub mehrerer Jahre lag, Jacks zugerichtetes Gesicht sah. Es schien noch geschwollener und blutiger zu sein, als auf dem Bild, von vor zwei Tagen. Offenbar war er ohnmächtig, aber man konnte sehen, dass er atmete. Bei diesem Anblick traten mir Tränen in die Augen und sofort schlug ich mir die Hand vor den Mund. Wenn mich jemand schluchzen hörte, dann wäre alles vorbei.

„Wie Sie sehen, ist er vollkommen lebendig. Zu meinem Bedauern haben sich meine Jungs ein wenig an ihm vergriffen. Es lag nie in meinem Interesse ihn so zuzurichten, das müssen Sie mir glauben", sagte Mr. Kolesnikow und legte mit einem spöttischen Lächeln eine Hand auf sein Herz. „Und jetzt bitte ich Sie, mir endlich meine Waffen auszuhändigen." Langsam trat mein Vater vor, doch dann hielt er inne. „Eines will ich aber noch wissen: warum sind Sie so versessen darauf diese Waffen von mir zu bekommen? Immerhin sind Waffenhersteller in Amerika nicht gerade rar. Sie hätten jederzeit jemand anderem den Auftrag geben können, statt sich so viel Mühe zu geben, mir diese Waffen abzupressen." Auf diese Worte hin lachte Kolesnikow und schlenderte zu Jack hinüber. Er legte die Hände auf seine Schultern und ich musste schlucken, weil mir übel wurde. Zum einen ertrug ich es kaum, diesen grausamen Menschen, so nahe bei Jack zu wissen und außerdem war nicht nur mir, sondern auch meinem Vater und Kolesnikow selbst klar, was er mit dieser Geste ausdrückte. Solange er die Ware nicht bekam, würde er auch Jack nicht rausrücken und solange Jack noch in seiner Gewalt war, konnte er mit ihm machen was er wollte.

„Ich selbst vergleiche mich immer gerne mit einem Tiger, der seine Beute erspäht hat", sagte Mr. Kolesnikow mit einem Grinsen, dass alle seine großen Zähne entblößte. „Es bereitet mir einfach Vergnügen, zu sehen, wie mein Opfer sich sträubt, wie es nach Möglichkeiten sucht, um zu entkommen, aber wie ich es dennoch immer wieder schnappe und schließlich bekomme was ich will. Immer. Abgesehen davon, sind Sie einfach der beste Waffenproduzent, von dem ich je gehört habe. Vom Kleinkriminellen auf der Straße, bis hin zum Drogenboss, sie alle kaufen ihre Knarren bei der G. E. Weapon Corporation und da kann sich doch ein Mann mit meinem Vermögen, Ansehen und Ruf nicht etwas, minderwertigerem zufriedengeben. Doch ich hatte mich über Sie erkundigt und erfahren, dass Sie jemand sind, der sich trotz all Ihrer kriminellen Kunden und skrupellosen Geschäftspartnern, noch für einen rechtschaffenen Mann hält. Deswegen habe ich mir all das mit dem falschen Firmennamen überhaupt erst einfallen lassen. Denn wie wir beide wissen, genieße ich einen etwas unerfreulichen Ruf. Aber leider sind Sie mir dennoch auf die Schliche gekommen, was sehr bedauerlich ist, weil ich diese Waffen eigentlich so schnell wie möglich haben wollte. Doch durch ihren Starrsinn, blieb mir nichts anderes übrig, als zu unkonventionellen Maßnahmen zu greifen. Aber irgendwie hat es doch auch etwas, jetzt hier, in ihrer alten Fabrik zu stehen, die ich Ihnen übrigens bereits vor zwei Jahren abgekauft habe, wussten Sie das? Schon damals habe ich das Gebäude unter einem Decknamen gekauft, denn ich wollte es für Dinge nutzen, die ... nun sagen wir einfach, ich wollte nicht, dass diese Dinge mit meinem Namen in Verbindung gebracht wurden."

A Girl Made Of IvoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt