Die letzte Stunde unserer Fahrt kam mir länger vor als die gesamte Zeit davor. Und als wir uns endlich in den Verkehr der Innenstadt San Franciscos einzufädeln begannen, hätte ich am liebsten erleichtert geseufzt. Jack fuhr auf der Suche nach einem Motel durch die Straßen, während ich fasziniert aus dem Fenster sah. Ich war das letzte Mal vor vielen Jahren in San Francisco gewesen und ich hatte das Gefühl, damals nicht richtig hingesehen zu haben. Die hübschen, kleinen Häuschen drängten sich dicht an dicht an den Straßen und öfter als einmal hielt ich mich an meinem Sitz fest, weil die Straße entweder steil nach oben oder nach unten verlief.
Schließlich bog Jack auf den Parkplatz eines kleinen Motels ein. Mit leuchtenden Lettern war das Wort Motelan einer Hauswand angebracht. Allerdings flackerte der Leuchtbuchstabe Mein wenig, sodass zeitweise nur otelzu lesen war. Jack blieb noch einen Moment sitzen und sah mich an. „Jetzt haben wir nur noch ein Problem", sagte er resigniert und in dem flackernden Licht der Außenbeleuchtung konnte ich leichte Sorgenfalten in seinem Gesicht erkennen. Ich sah ihn auf seine Aussage hin nur fragend an. „Wir haben kein Geld", sagte er nüchtern. Seine Aussage ließ mein Herz einen kleinen Sprung machen. Endlich gab es etwas, dass ich einmal zu unserer Flucht beisteuern konnte. „Ich denke, das haben wir sehr wohl." Ich verrenkte mich, um an die Tasche mit dem Bargeld auf der Rückbank heranzukommen. Als ich sie öffnete, konnte ich für einen Moment sehen wie Jacks Augen ganz groß wurden, bevor er das wieder hinter seiner üblichen Miene verbarg. „Das war es also, was du noch unter dem Bett hervorholen wolltest", murmelte er und ich nickte. Unvermittelt nahm er mein Gesicht in die Hände und sah mir tief in die Augen. „Damit hast du uns gerettet."
Mir wurde ganz warm, weil er mir so nah war, aber bevor ich mich in der undefinierbaren Farbe seiner Augen verlieren konnte, ließ er mich wieder los und stieg aus dem Wagen.
Jack hievte noch die andere Tasche von der Rückbank und bevor er mir voraus in das Motel ging. Der Empfangstresen war mit einer Glasscheibe von den Besuchern abgetrennt und dahinter saß ein alter, dicker Mann, der eine ebenso alte, dicke Zigarre rauchte. Als er uns bemerkte sah er uns mit trüben Augen an. „Ja, bitte?", brummte er und seine Stimme klang dumpf durch das schmutzige Glas. „Wir würden gerne ein Zimmer für ein paar Nächte buchen", erwiderte Jack. Der dicke Mann nickte nur, drehte sich um und nahm einen der Schlüssel von der Wand hinter ihm. „Ich brauche noch ihre Namen und eine Anzahlung", sagte er gelangweilt und zog ein Register zu sich heran, auf dem vermutlich die Zimmernummern mit zugehörigen Gästenamen verzeichnet waren. „Donny und Janet Carter." Jack sprach diese falschen Namen mit solch einer Selbstverständlichkeit aus, als würde er das ständig tun. Es war beeindruckend wie gut er lügen konnte. Der Mann hinter dem Tresen sah nicht einmal auf, nur als er uns den Schlüssel durch eine Klappe in der Glasscheibe durchschob und das Geld entgegennahm, dass ich ihm reichte, blieb sein Blick eine Sekunde lang an meinem Kleid hängen. Doch Jack nahm schnell den Schlüssel entgegen und legte dann seine Hand sanft auf meinen Rücken, um mich mit sich zu führen.
Das Motel hatte keine richtigen Flure, sondern die Türen für die einzelnen Zimmer waren direkt von außen zu erreichen. Ich war in meinem noch nie Leben in einem Motel gewesen und so hätte es meiner Meinung nach auch bleiben können.
Unser Zimmer lag im ersten Stock und war nur durch eine klapprige, metallene Treppe zu erreichen. Ich klammerte mich ans Geländer und war dankbar für Jacks starke Hand an meinem Rücken, als ich auf meinen hohen Schuhen die Treppe hinaufstakste. „Donny und Janet Carter, also?", fragte ich spöttisch als wir oben angekommen waren. Er zuckte nur die Schultern. „Glaube mir, wenn die Leute denken, man sei verheiratet stellen sie weniger Fragen und selbst in einem Motel wie diesem hier, wo bestimmt des Öfteren Männer ein und ausgehen deren Begleitungen ganz sicher nicht ihre Ehefrauen sind, ist es besser zumindest den Anschein zu erwecken." Er schloss die Tür zu unserem Zimmer auf. „Bist du nicht viel älter als ich?", fragte ich und musterte ihn als wolle ich sein Alter erraten. „Ich bin 24 Jahre alt, ich bin sicher der Altersunterschied deiner Eltern ist um einiges größer als unserer es ist", gab Jack zurück und ließ die Tasche auf den Boden fallen. Ich sah mich um. Hier drin sah es genauso schäbig aus wie außen. Es gab ein Bett, dass ziemlich unbequem aussah, ein kleines, verschlissenes Sofa und einen winzigen Tisch an den ein Stuhl mit drei Beinen angelehnt war. Außerdem roch es ziemlich muffig und die dünnen Vorhänge konnten kaum das Licht, dass von den Straßenlaternen draußen einfiel, zurückhalten. „Du bist wohl andere Standards gewöhnt, nicht wahr?", fragte Jack und nahm mir die kleine Reisetasche mit dem Geld ab. Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Es wird schon gehen", log ich und setzte mich auf die äußerste Kante des Bettes. Ich ekelte mich bereits jetzt davor. Wie sollte ich so nur jemals ein Auge zu kriegen? „Der Vorteil ist, dass diese Männer, die uns angegriffen haben, mit ziemlicher Sicherheit an einem Ort wie diesem hier nicht nach einer Millionärstochter suchen werden", versicherte mir Jack und setzte sich mir gegenüber auf die Couch. „Das hoffe ich doch", sagte ich leise und sah zu Boden. Dann schüttelte ich meinen Kopf, um meine Gedanken sortieren zu können. „Und was sollen wir tun solange dort draußen diese Menschen sind, die Victor getötet haben?" Niemals hätte ich gedacht, dass es sosehr wehtun könnte diese Worte auszusprechen. Wenn ich das nämlich tat, dann wurde das was geschehen war nur allzu real und ich wusste nicht ob ich diese Realität aushalten konnte. Oder auch nur aushalten wollte. Schon wieder brannten Tränen in meinen Augen. Ich hasste mich dafür und dennoch entfuhr mir ein leises Schluchzen.
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A Girl Made Of Ivory
RomansaLos Angeles, 1956: Kathleen Edwards ist die Tochter eines millionenschweren Waffenproduzenten. Am Abend ihres achtzehnten Geburtstages hört sie mit, wie ihr Vater sich mit zwei ihr unbekannten Männern streitet. Schon am nächsten Morgen schicken ihre...