Kapitel 18

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Das Auto, dass Jack dieses Mal für uns geklaut hatte, war sehr alt und klapprig. Außerdem roch es komisch, aber es war mir wesentlich lieber als das Motorrad. Verglichen mit den anderen Fahrten, die wir bisher unternommen hatten, kam mir die in den Eldorado National Forrest extrem kurz vor. Allerdings war sie auch wesentlich ungemütlicher, denn unser letztes Stück mussten wir über eine ungepflasterte Straße fahren und die Metallfedern meines Sitzes schnitten mir in den Hintern.

Jack hatte recht gehabt. Die Hütte seiner Familie war so abgelegen wie nur irgend möglich. Entlang der Straße waren ausschließlich Bäume und Büsche, nur hin und wieder konnte ich das Glitzern von Wasser im Sonnenlicht ausmachen.

Als wir schließlich ausstiegen, konnte ich meinen Augen kaum trauen. Die Hütte der Archers war mitten auf einer Landzunge erbaut und zu fast allen Seiten war Wasser. Sie war klein, alles war verstaubt und mit Spinnenweben überzogen, aber es war mir viel lieber als all die Motels, in denen wir genächtigt hatten.

Eigentlich bestand die Hütte nur aus einem einzigen Raum und einem kleinen Raum mit Waschbecken und Toilette, die man mit Seewasser aus einem Eimer spülen musste. Ein Bett war auf die linke Seite des Bettes gestellt und bot Platz für zwei Personen. Auf der rechten Seite war ein kleiner Ofen mitsamt Herd und einem kleinen Tisch. Außerdem war da noch eine Luke in der Decke, durch die man mithilfe einer Strickleiter auf einen kleinen Dachboden gelangte. Jack erzählte mir, er und sein Bruder hätten früher oft dort oben geschlafen oder gespielt.

Ich fand dieses kleine Holzhäuschen wunderbar und während Jack sich daran machte das Nummernschild am Auto zu entfernen und im See zu versinken, damit der gestohlene Wagen schwerer zu finden war, durchforstete ich die wenigen Schränke, die es gab nach etwas brauchbarem. Tatsächlich fand ich einige staubige Gläser Marmelade und drei Einmachgläser mit Gemüse darin.

Zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich mich nicht gehetzt. Es schien mir unmöglich, dass uns hier jemand finden würde und selbst wenn wir nie wieder nach Hause zurückkehren würden, an diesem Ort könnte ich es eine Weile aushalten, so bescheiden er auch war.

Sobald Jack das Nummernschild im See hatte verschwinden lassen, öffneten wir eines der Einmachgläser, setzten uns ans Seeufer und begannen zu essen. Obwohl ich in meinem Leben bereits die teuersten und exquisitesten Restaurants gespeist hatte, kam es mir in diesem Moment so vor, als wäre dieses eingelegte Gemüse nach all den Tagen voller Angst und Gefahr, das Beste, was ich jemals gegessen hatte.

„Woher kanntest du Linus eigentlich?", fragte ich schließlich, nachdem wir eine Weile schweigend den kleinen Wellen gelauscht hatten, die an die Ufersteine schlugen. Jack schluckte seine eingemachte Gurke hinunter und sah nachdenklich auf das glitzernde Wasser. Er hatte seine Jacke ausgezogen und die Ärmel seines Hemdes hochgerollt. Wären da nicht unsere zerschrammten Gesichter und unsere dreckige Kleidung gewesen, hätte man beinahe meinen können, wir wären ein ganz normales Paar, das einen gemütlichen Nachmittagsausflug unternommen hätte.

„Ich habe dir bereits erzählt, dass ich in meiner Jugend ziemlich viel Scheiße gebaut habe und mit der Zeit bin ich an immer üblere Typen rangekommen. Und somit auch an Linus. Jeder kennt Linus und Linus kennt jeden. Außerdem kann er alles besorgen, von Autos über Drogen bis hin zu Waffen. Linus ist es auch egal, für wen er arbeitet, Hauptsache derjenige lässt Geld sehen", erzählte Jack und sein Blick wurde dabei immer düsterer. Wie immer, wenn er von seiner Vergangenheit erzählte, bekam ich ein mulmiges Gefühl. Ich konnte seine Geschichten einfach nicht in Verbindung mit der Person bringen, die hier neben mir saß. Vielleicht wollte ich das auch einfach nicht.

„Moment", hakte ich ein. „du hast ihm aber doch gar kein Geld gegeben, oder?" Jack nickte. „Er war mir noch einen Gefallen schuldig." Als ich ihn fragend ansah, seufzte er. „Linus hatte Stress mit einem ziemlich gefährlichen Drogendealer und ich habe diesem Typen gedroht, dass ich meinem Vater, der, wie du weißt ein ziemlich hohes Tier beim Militär ist, davon zu erzählen und dann hat der Typ Linus in Ruhe gelassen", sagte er schlicht. Ich nickte. Ein Jack, der anderen aus der Klemme half, passte viel besser zu dem Bild, dass ich mir bisher von ihm gemacht hatte, als jemand, der sich mit Kriminellen prügelte und sich in dunklen Ecken herumtrieb.

A Girl Made Of IvoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt