Kapitel 4

304 9 0
                                    

Ich war noch nie in meinem Leben so schnell gerannt. Wir flogen förmlich den Korridor hinunter, Jack zog mich an den Aufzügen vorbei und wir liefen die Treppen so schnell hinab, dass ich jeden Moment Angst hatte, wir könnten stürzen und uns den Hals brechen.

Als wir jedoch widererwarten heil unten angekommen waren, lotste Jack mich nicht in Richtung Empfangshalle, sondern lief mit mir in einen kleinen, seitlichen Flur, der mit einer Notfall-Tür endete. Er stieß sie auf und plötzlich standen wir in der kühlen Nachtluft. Instinktiv atmete ich tief ein, ich war völlig außer Atem und meine Füße taten höllisch weh, weil ich den ganzen Weg barfuß gerannt war. „Warum sind wir nicht einfach durch den Haupteingang rausgegangen?", keuchte ich und stützte mich mit den Händen an den Oberschenkeln ab. Jack sah mich nur ungläubig an. „Natürlich, es ist ja auch überaus vernünftig durch eine verlassene Empfangshalle zu laufen, wo uns vermutlich noch der Nachtportiere sieht und dann auf einen großen, offenen Vorplatz zu rennen, wo es gar keine Versteckmöglichkeit gibt, wenn gerade bewaffnete Männer hinter uns her sind, die uns aller Wahrscheinlichkeit nach töten wollen." Seine Stimme triefte vor Sarkasmus und augenblicklich kam ich mir wie ein dummes, kleines Mädchen vor. Er hatte an all diese Faktoren gedacht, hatte sich überlegt wie wir am besten aus dieser Situation entkommen konnten, ohne zu sterben, während ich nur in Panik verfallen war und nichts unternommen hatte. Jack musste aufgefallen sein, dass er für diesen einen Moment seine Fassung verloren hatte, denn als ich mich aufrichtete, hatte er wieder seine aalglatte Miene aufgesetzt, die er sonst auch immer zur Schau trug.

„Wir sollten uns nach einem Wagen umsehen, mit dem wir von hier abhauen können", sagte er und begann bereits sich auf dem Parkplatz, auf dem wir standen, umzusehen. „Wissen Sie denn welches dieser Autos unseres ist?", fragte ich. Für mich sahen alle diese Wagen gleich aus. Jack hatte sichtlich Mühe einen verächtlichen Gesichtsausdruck zurückzuhalten. „Wir werden nicht das Auto nehmen, mit dem wir hergekommen sind, Ms. Edwards", erwiderte er und ging bereits auf ein schwarzes Exemplar zu. „Aber wie wollen Sie...oh, ich verstehe", murmelte ich, als ich begriff was er gemeint hatte. Wir würden einen Wagen klauen müssen. „Wissen Sie denn wie das geht?", fragte ich unsicher und folgte ihm zu dem schwarzen Gefährt. „Falls Sie wissen möchten ob ich bereits Autos geklaut habe, so lautet die Antwort: ja, das habe ich bereits getan", informierte Jack mich und begann sich die Tür anzusehen. „Was halten Sie davon, wache zu halten und nachzusehen ob jemand kommt?", schlug er vor, dann griff er in seinen Hosenbund und holte eine Pistole hervor. Ich starrte sie mit großen Augen an. „Hatten Sie die etwa bereits auf dem Balkon bei sich?", fragte ich ungläubig. Jack schüttelte den Kopf, dann drückte er mir die Waffe in die Hand. „Die habe ich unter dem Sessel in Ihrem Schlafzimmer deponiert für alle Fälle und vorhin noch geholt. Damit können Sie sich im Zweifelsfall verteidigen", gab er nüchtern zurück und wandte sich wieder dem Auto zu. „Und wie soll ich diesesDingbitteschön bedienen?", meine Stimme schoss vor Aufregung ein paar Oktaven in die Höhe. „Sie betätigen den Abzug, Ms. Edwards", sagte Jack ungeduldig und begann an der Tür herum zu nesteln.

Mit zitternden Händen wandte ich mich von ihm ab und sah über den Parkplatz. Er war vollkommen verlassen. Eine leichte Brise bewegte die Sträucher rechts von mir und selbst diese kleine Bewegung ließ mich leicht zusammenzucken. Die Pistole hielt ich eher unsicher in den Händen und war mir auch nicht sicher, ob ich im Falle eines Angriffs überhaupt dazu in der Lage wäre sie zu benutzen. Ich betete, dass Jack möglichst bald fertig werden würde, damit wir endlich von hier verschwinden konnten.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich endlich sein zufriedenes Seufzen. „Ich bin fertig", sagte er und öffnete die Autotür. Ich stieg auf der Beifahrerseite ein und legte die Waffe in meinen Schoß, froh sie endlich nicht mehr in den Händen halten zu müssen. Die Taschen hatte ich auf die Rückbank geworfen.

A Girl Made Of IvoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt