Kapitel 19

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Die Tage die wir in der Hütte der Archers im Eldorado National Forrest verbrachten, erscheinen mir im Nachhinein wie ein Traum. Mir schien es als hätten wir beinahe vergessen, wer hinter uns her war und das unsere Leben einer ständigen Gefahr ausgesetzt waren.

Manchmal bekam ich ein schlechtes Gewissen, wenn er mich zum Lachen brachte, oder wenn ich neben ihm aufwachte und mich so unfassbar glücklich fühlte, denn dann musste ich an meine Eltern denken, an die Sorgen, die sie sich um mich machten. Aber dann gewann mein Trotz die Oberhand. Vater hatte sich das alles selbst zuzuschreiben. Was passiert war, hatte alles er zu verantworten.

Drei Tage nach unserer Ankunft in der Hütte, vertraute ich diese Gedanken Jack an und während ich sprach, bildete sich eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen. Als ich fertig war, nahm er meine Hand und zog mich zu sich. Ich stand zwischen seinen Beinen, während er auf dem Bett saß und zu mir hinaufsah. „Ich kann verstehen, dass du sauer auf deinen Vater bist und die Schuld für alles was passiert ist, auf ihn lädst, aber du solltest diesen Groll nicht zu groß werden lassen", sagte er leise und verschränkte seine Finger mit meinen. „Sonst werdet ihr eure Beziehung nie wieder hinbiegen können, wenn wir zurückgekehrt sind." Vielleicht kehren wir aber auch nie wieder zurück, giftete mein Unterbewusstsein, doch ich unterdrückte es gekonnt. Das war eine der unausgesprochenen Regeln zwischen uns: Wir denken nicht darüber nach, ob wir jemals zurückkehren oder nicht. „Außerdem solltest du deinen Vater nicht auf die Fehler reduzieren, die er gemacht hat. Das solltest du bei niemandem machen. Nimm mich als Beispiel. Wenn du in mir nur die Fehler siehst, die ich gemacht habe und davon gibt es eine Menge, dann wirst du wohl nie wieder mit mir reden können", sagte er, stand auf und ging vor die Hütte, um nach Holz für unseren Ofen zu suchen und mich mit meinen Gedanken allein zu lassen. Ich setzte noch dazu an ihm zu wiedersprechen, doch mir viel keine Erwiderung ein, denn er hatte Recht.

* * *

In diesen Tagen machte ich sehr oft die Erfahrung, dass Jack um einiges schlauer war als ich und vor allem, dass sein Wissen bei den verschiedensten Themen ziemlich groß war. Am vierten Tag nach unserer Ankunft erklärte er mir beispielsweise wie man den Ofen befeuern musste, damit er Wärme spendete, was angesichts der kalten Nächte überlebenswichtig war.

Gerade als er dabei war, Holz einzuschichten, zog er ein kleines schwarzes, in Leder gebundenes Notizbuch hinter den Holzscheiten hervor und lachte auf. „Das hatte ich bereits vollkommen vergessen", sagte er und drehte sich zu mir um. Ich saß gerade auf dem Bett und zählte die Einmachgläser durch, die uns noch blieben. Fragend blickte ich zu ihm hoch. „Als ich früher mit meinem Vater hier war, habe ich immer gezeichnet, weil ich aber nicht wollte, dass mein Vater diese Zeichnungen findet, habe ich sie versteckt."

Er setzte sich neben mich aufs Bett und schlug das abgegriffene, kleine Buch auf. Mir entfuhr ein anerkennender Laut. Die Zeichnungen waren wirklich gut. Die meisten zeigten die Landschaft, den See und es gab auch ein paar von der Hütte. Jack blätterte durch die Seiten und strich andächtig über die schwarzen Kohlelinien. Schließlich stoppte er bei einem Porträt, das einen Jungen im Teenageralter zeigte, mit kurzen Haaren und einer derart ernsten Miene, dass Jacks üblicher Gesichtsausdruck daneben wirkte als würde er strahlend lächeln. „Wer ist das?", fragte ich, als ich merkte, dass Jack nicht weiterblätterte. „Mein Bruder. Dale", flüsterte er beinahe und in seinen Worten lag eine tiefe Trauer, die mein Herz zum Bluten brachte. „Er war der ganze Stolz meines Vaters. So pflichtbewusst. So ehrenhaft. Wie ein Held gestorben. Der perfekte Sohn für meinen Vater und jetzt da Dale tot ist, hat er leider nur noch mich. Eine riesige Enttäuschung. Einen Sohn, der sich prügelt und nicht unter Kontrolle hat. Wunderbar, oder nicht?", bei den letzten Worten sah er mich an und sämtliche Verschlossenheit war aus seinem Gesicht verschwunden. Ich konnte den Schmerz darin ganz genau sehen. Ich wusste nicht was ich tun sollte, deswegen legte ich ihm meine Hand an die Wange. „Ich bin sicher, dass er dich nicht so sieht. Du hast mir gesagt, dass ich niemanden auf seine Fehler reduzieren soll, aber du darfst dich auch nicht selbst nur auf deine Fehler reduzieren", flüsterte ich und konnte ein leichtes Lächeln auf seinen Zügen ausmachen, weil ich seine eigenen Worte gegen ihn verwendete. „Da kann ich wohl kaum wiedersprechen", raunte er und ich gab ihm einen Kuss. Jack erwiderte ihn mit einer Leidenschaft, die ich nicht erwartet hatte und zog mich auf seinen Schoß, sodass das Notizbuch zu Boden fiel. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Egal wie oft er mich küsste oder berührte, ich war mir sicher, dass ich davon niemals genug würde bekommen können. Ich fuhr über seine Schultern, zu seinem Hemdkragen und ohne darüber nachzudenken öffnete ich den obersten Hemdknopf. Sofort legte er seine Hand über meine und hielt mich davon ab auch seinen nächsten Knopf zu öffnen. Ich wich zurück und sah ihm in die Augen. Wollte er mich etwa nicht so sehr wie ich ihn wollte? Sanft schüttelte er den Kopf, als hätte er meine Gedanken erraten. „Glaub mir, ich will diesen nächsten Schritt mit dir gehen. Das will ich wirklich. Aber nicht hier. Ich werde dich nicht zu einer Frau machen, die ... in einer unehelichen Beziehung so weit geht, verstehst du?", fragte er, hob die Hand und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. „Du verdienst nur das Beste, Kat." Seine Worte trieben mir die Röte in die Wangen und ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu lächeln. „Ist dir klar, dass deine Gründe dir nicht zu nah zu kommen mich nur dazu bringen dich noch viel mehr zu wollen?", hauchte ich. Jetzt lächelte Jack, und ich konnte mich nicht erinnern in meinem Leben je etwas schöneres gesehen zu haben.

A Girl Made Of IvoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt