Kapitel 11

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Zu meinem großen Bedauern gestaltete sich die Motorradfahrt doch nicht so toll, wie sie zu Anfang gewirkt hatte. Desto länger wir fuhren, desto kälter wurde mir und der peitschende Wind, der meine Augen tränen ließ und meine Haare durcheinanderbrachte, tat dabei sein Übriges. Ich bewunderte Jack, der trotz des Windes immer weiterfuhr und das ziemlich sicher. Es hätte mich nicht überraschen dürfen, dass ausgerechnet er auch noch Motorrad fahren konnte.

Die Landschaft rauschte nur so an uns vorbei und nur ganz langsam wagte ich es, pure Erleichterung zu empfinden und die Gewissheit, dass wir es tatsächlich geschafft hatten. Wir waren dem leibhaftigen Tod so nahe gewesen und waren dennoch entkommen. Nur kurze Zeit zuvor hatte ich gedacht, tatsächlich sterben zu müssen. Dieser Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken, der nichts mit dem eisigen Wind zu tun hatte.

Mein Zeitgefühl ließ mich vollkommen im Stich und allein daran wie die Sonne letztlich am Horizont verschwand, konnte ich ausmachen wie die Stunden vergingen. Zwar hatte ich keine Ahnung wohin es uns diesmal verschlug, aber ich vertraute Jack. Er würde uns sicher ans Ziel bringen. Wo auch immer dieses Ziel liegen sollte.

Den ersten Halt, den wir einlegten, machten wir an einer verlassenen Tankstelle, die aber selbst so spät in der Nacht noch geöffnet war. Jack hielt allerdings nicht an einem der Zapfhähne, sondern parkte das Motorrad im Schatten des Tankstellengebäudes. Er stieg ab, nachdem er angehalten hatte und als ich es ihm nachtun wollte, knickten meine Beine unter mir weg. Ich war es nicht gewöhnt auf diese Weise zu reisen, mein Hintern war vollkommen taub und meine Beine kribbelten, als langsam wieder Blut hineinfloss.

Zu meinem Glück, hatte Jack direkt neben mir gestanden und meinen Sturz verhindert, indem er seinen Arm um meine Taille schlang. Ich wagte es kaum zu Atmen, als wir jetzt so dastanden. Unsere Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Es war wieder einer dieser Momente. Diese Momente, in denen er mir so nah war, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte und in denen es sich anfühlte als würde sich eine Seifenblase um uns spannen, in der nur wir existierten. Aber Jack ließ die Seifenblase nur einen Moment später platzen, indem er mich losließ und einen Schritt zurücktrat.

Hastig richtete ich mich auf und reckte mein Kinn, fest entschlossen mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Wie oft willst du mich noch retten?", fragte ich mit einem spöttischen Unterton. Es sollte eigentlich scherzhaft klingen, nicht jämmerlich. Doch Jack ignorierte meinen Tonfall einfach und sah mich nur fest aus seinen unergründlichen Augen an. „Sooft es nötig ist, Kat", antwortete er und betonte dabei das letzte Wort. „Kat", wiederholte ich und ließ mir dabei den neuen Kosenamen, den er mir verpasst hatte, auf der Zunge zergehen. „Gefällt mir."

„Ich finde es passt zu dir", erwiderte nur und lehnte sich ans Motorrad, die Arme verschränkt. „Was wollen wir als Nächstes tun?", wechselte er das Thema nun und sah mich an, den genauen Gesichtsausdruck konnte ich in der Dunkelheit nicht ausmachen. Unschlüssig zuckte ich die Achseln. „Hast du eine Ahnung davon wo wir gerade sind?", fragte ich und lehnte mich ihm gegenüber an die klamme Mauer der Tankstelle. „Ich glaube wir müssten irgendwo in der Nähe von Vacaville sein, und wenn wir schon hier sind ist es nicht mehr weit bis Sacramento."

Ich nickte nur. Denn obwohl sich mein gesamter Körper, vor Panik und der halsbrecherischen Flucht noch ganz taub war, regte sich in meiner Brust langsam ein Wirrwarr an Gefühlen, die mir die Kehle zuschnürten. Hastig drehte ich mich weg und atmete tief durch. Auf keinen Fall würde ich jetzt in Tränen ausbrechen. Jack musste mich sowieso bereits für eine hysterisches Mädchen halten, dass bei jeder Gelegenheit ausrastete oder begann zu weinen.

„Alles in Ordnung bei dir?", fragte Jack unvermittelt und ich konnte hören, wie er einen Schritt auf mich zutrat. Ich drehte mich zu ihm um und versuchte ein Lächeln, das er bei dieser Dunkelheit vermutlich ohnehin nicht sehen würde. „Mir geht es gut. Ich bin nur ein wenig aufgewühlt, schätze ich", antwortete ich und war froh, dass meine Stimme einigermaßen normal klang. „Wir sollten weiterfahren, sonst holen unsere Verfolger uns noch ein." Jack nickte auf diese Worte nur und ich hätte alles gegeben, um seine Gedanken erraten zu können. Doch das konnte ich nicht und er sagte auch nichts, also kletterten wir schweigend wieder auf das Motorrad und setzten unseren Weg fort. Wieder auf der Flucht. Wieder mit totbringenden Verfolgern im Nacken.

A Girl Made Of IvoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt