Kapitel 7

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„Sollten wir nicht lieber ein anderes Auto nehmen?", fragte ich und nahm an, dass Jack meine Idee sofort verwerfen würde, doch er sah mich nur beeindruckt an. „Gut, mitgedacht", sagte er und ging an dem schwarzen Auto, mit dem wir angekommen waren vorbei. Stattdessen hielt er auf ein rotes Exemplar auf der anderen Straßenseite zu. Selbst bei dem schlechten Licht konnte ich erkenne, dass es bei weitem nicht so in Form war, wie der schwarze Wagen. Es hatte bereits einige kleine Macken und Kratzer abbekommen, allerdings brauchte Jack nicht so lange um es aufzubrechen und kurzzuschließen.

Wieder fuhren wir nachts, sodass von den Autos kaum etwas anderes zu sehen war, als die grellen Rücklichter. Zu meiner Erleichterung war die nächste Stadt, in die wir fuhren, nicht so weit von uns entfernt wie San Francisco es von Pismo Beach gewesen war. Jack zog es dieses Mal vor eine Landkarte zu kaufen, um uns auf der Fahrt zu orientieren, satt sich wie sich vor ein paar Tagen lediglich an die Straßenschilder zu halten und bei der Gelegenheit kauften wir uns etwas zu essen, wobei ich mich bemühte trotz meines Hungers so damenhaft wie möglich zu speisen. Das riesige Stück Papier, das Jack mir in die Hand gesteckt hatte und das sich Landkarte schimpfte, war furchtbar schlecht zu lesen und nach dem Gebrauch, war es beinahe unmöglich sie wieder zusammenzufalten. Ich stöhnte einige Male frustriert auf.

Schließlich knüllte ich die Karte zusammen schmiss sie in den Fußraum unter meinen Sitz, kurbelte das Fenster herunter und streckte meinen Kopf in den Fahrtwind. Er pfiff in meinen Ohren und zerrte an meinen Haaren. Die kühle Luft tat gut und ein leichter Nieselregen prickelte auf meiner Haut, doch irgendwann wurde es mir zu kalt und ich zog mich wieder zurück. „Wir sind bald da", sagte Jack da und ich sah ihn erstaunt an. Santa Rosa war wohl noch näher, als ich gedacht hatte, allerdings war mir das auch durchaus recht. Mein Körper sehnte sich danach endlich in einem Bett zu liegen. „Deine Haare sind ein wenig durcheinander", kam es plötzlich von Jack und er sah belustigt auf meine Frisur. Erschrocken fasste ich mir sofort an den Kopf und ich konnte bereits spüren, dass sich mehrere Strähnen aus meiner Frisur gelöst hatten. Ich machte mich daran die diversen Klämmerchen aus meinen Haaren zu zupfen, sodass sie mir bis knapp über die Schulter fielen. „So sieht es ohnehin besser aus", sagte er und ich spürte wie meine Wangen heiß wurden. Da ich nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte, schwieg ich und bemühte starrte auf meine Hände.

* * *

Ich war froh, als wir endlich ein Motel gefunden, dass sich zwar etwas außerhalb der Stadt befand, aber ebenso unscheinbar aussah wie das in San Francisco. Wir machten es genauso wie in dort und auch hier stellten die Leute genauso wenig Fragen. Da wir aber nicht am frühen Morgen, sondern bereits am späten Abend ankamen, konnte ich sogar zwei Männer sehen, die sich in der Begleitung von Freudenmädchen befanden und jeweils ein Zimmer aufsuchten. Jack stupste mich an, damit ich die Gruppe nicht zu lange anstarrte.

Die Zimmer in diesem Motel waren ebenso heruntergekommen wie woanders auch. Allerdings gab es in diesem Raum keine Couch. Jack konnte unmöglich auf dem Boden schlafen, doch ich hatte auch noch nie mit einem Mann das Bett geteilt und es jetzt zu tun, versetzte mich plötzlich in leichte Panik. Ich war mir sicher, dass er diese unangenehme Stimmung gespürt hatte, denn er erhob die Stimme. „Die Nacht ist noch jung, Kathleen. Lass uns ausgehen", schlug er vor. Zwar sehnte ich mich eigentlich nach Schlaf und Erholung, doch ich tat alles dafür, damit ich nicht mit ihm über die Schlafsituation würde sprechen müssen. „Dann lass uns gehen", willigte ich ein und wollte bereits die Tasche mit unserem Geld nehmen, doch Jack hielt mich davon ab. „Da wo wir hingehen, ist es eher hinderlich so viel Geld bei sich zu haben", sagte er mit geheimnisvoller Stimme und so willigte ich ein, die Geldscheine unter dem Bett zu deponieren, immerhin war das beim letzten Mal auch eine gute Idee gewesen. Allerdings steckte ich mir in einem unbeobachteten Moment ein paar Scheine in meinen Büstenhalter. Nur zur Sicherheit.

„Warst du jemals Rock'n'Roll tanzen?", fragte er, als wir unsere Mäntel nahmen und das Zimmer zusperrten. Ich schüttelte den Kopf. „Du wirst es lieben."

* * *

Die Bar in die Jack mich geführt hatte, war vollkommen anders, als jedes Lokal, in dem ich je gewesen war. Es war brechend voll und die Luft war stickig und heiß. Es gab einen Hauptraum, in dem ein Tresen stand und einen hinteren Teil, in dem laute Musik gespielt wurde. Meine Mutter hätte einen Ort wie diesen nicht einmal unter Todesandrohungen betreten, dafür aber bestimmt einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie gesehen hätte, dass ich hier war.

Leider war ich kleiner als die meisten Besucher hier, also konnte ich schlecht vom Eingang, an dem wir standen, auf die Tanzfläche sehen, um die Leute dort zu beobachten. Jack bahnte sich einen Weg durch die Leute und nahm dabei meine Hand, um mich nicht zu verlieren. Als wir die Bar erreicht hatten, konnte ich endlich die Tänzer sehen. Ich hatte noch nie gesehen wie Rock'n'Roll getanzt wurde, aber ich war vom ersten Moment an fasziniert. Die Männer wirbelten die Frauen nur so um sich herum und hoben sie hoch, wobei man manchen Mädchen unter den Rock sehen konnte, was mich peinlich berührte. War ihnen bewusst, dass jeder ihre Unterhosen und Strumpfbänder sehen konnte?

„Ich dachte mir, dass du Bier nicht magst", rief Jack mir über die Musik hinweg zu und reichte mir ein Glas Wasser. Dankbar nahm ich es entgegen und sah wieder auf die Tanzfläche. „Die sind gut, nicht wahr?", fragte er und sah ebenfalls zu den Tänzern hinüber. Ich nickte und beobachtete fasziniert wie einer der Männer eine Frau um sich herumwirbeln ließ. Es sah aus wiege sie nicht mehr als eine Feder, so mühelos wie sich bewegen und er sie hochheben konnte.

Ein Mann trat neben uns, eine Zigarette im Mundwinkel und nickte uns zu, während er ein Bier bestellte. „Zum ersten Mal hier?", brüllte er über die Musik und lehnte sich lässig an den Tresen. Er hatte gegeeltes Haar und wirkte als hätte er bereits einige Flaschen intus. Jack nickte und reflexartig schob er sich ein wenig zwischen den Fremden und mich. Der andere schien es zu meiner Erleichterung nicht zu bemerken. „Glaubt mir, ihr werdet in der ganzen Stadt keinen Laden finden, der so viele Songs von Elvis auf Lager hat", rief er begeistert und trank einen großen Schluck Bier. „Der King ist der Größte!", schrie er unvermittelt und prostete jedem in unserer Nähe zu. Dafür erntete er einstimmiges Grölen und stürzte sich wieder auf die Tanzfläche. Jack sah ihm kopfschüttelnd nach, doch als unsere Blicke sich trafen, mussten wir beide lachen. „Willst du auch?", fragte er und deutete mit seinem Glas auf den hinteren Teil des Raumes. Ich sah ihn erschrocken an. „Ich kann doch keinen Rock'n'Roll tanzen", quiekte ich entgeistert, doch Jack runzelte nur die Stirn. „Sagt wer?" Darauf wusste ich keine Antwort, außer „Meine Mutter", aber die war nicht hier, also zählte dieses Argument wohl nicht.

„Zier dich nicht so", meinte er und zog mich auf die Tanzfläche. Ich wusste nicht was ich tun sollte und starrte auf den Boden. Jack hob mein Kinn an, sodass ich ihn ansehen musste. Er nickte ermutigend, griff meine Hand und zeigte mir die ersten Schritte. Als ich noch jünger gewesen war, hatte meine Mutter darauf bestanden, dass ich einen Tanzkurs machte und genau wie bei den Standardtänzen konnte man hier schnell den Takt finden.

Als ich den Grundschritt verstanden hatte, beugte Jack sich an mein Ohr, sodass ich seinen Atem spüren konnte. Das löste ein Kribbeln aus, dass durch meinen ganzen Körper fuhr und ich hielt die Luft an. „Du vertraust mir, oder?", ich brachte nur ein Nicken zustande. „Dann lass dich einfach von mir führen", raunte er und drehte mich auch schon. Bevor ich allerdings den Halt verlieren konnte, fing er mich bereits wieder auf. Seine starken Arme waren jederzeit bereit mich aufzufangen und nach einigen Momenten begann ich, wirklich Spaß daran zu haben. Die Bewegungen waren schnell und wild, während die Musik laut und mit dröhnendem Bass über uns hinwegdröhnte.

And don't you
Step on my blue suede shoes
Well, you can do anything
But stay off of my blue suede shoes

Es war als spiele Elvis die ganze Nacht nur für uns.

A Girl Made Of IvoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt