Entsetzen und Belustigung

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'Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus'. hatte Frigga gesagt. Doch als Runya am nächsten Morgen erwachte, traf das, wie sie schon vermutet hatte, nicht im Mindesten zu. Sie fühlte sich kein bischen besser, im Gegenteil. Und sie hatte derart schlecht geschlafen, dass sie sich wie gerädert vorkam.

Langsam schlug sie die schwere Decke zurück und liess ihre nackten Füsse auf den Boden gleiten. Sekundenlang wurde ihr beinahe schwarz vor Augen, und sie musste mehrmals tief durchatmen, ehe sie wieder klar sehen konnte.

Die bohrenden Kopfschmerzen verschwanden allerdings nicht, auch nicht nach einem Schluck Wasser. Aber noch mehr als ihr Kopf schmerzte Runyas Herz. Die ganze Nacht hindurch hatten sie Alpträume geplagt, und sie fragte sich verzweifelt, wie sie hier je glücklich werden konnte.

In einem Reich, in dem offenbar so viel Grausamkeit herrschte...

Und mit einem Ehemann, der sie schon jetzt, noch ehe sie überhaupt verheiratet waren, zu verachten schien.

Doch ihre eigenen Probleme traten in den Hintergrund, sobald Loki mit ihrem Frühstück hereinkam. Er sah so schwach und elend aus, dass Runya sogar ihre Kopfschmerzen augenblicklich vergass.

Seine Stimme klang allerdings ruhig und gefasst wie immer, als er sie fragte, ob sie gut geschlafen habe.

Sie antwortete nicht sofort, sondern musterte ihn lange und eindringlich. Friggas Worte von gestern kamen ihr wieder in den Sinn... Hatte Loki wirklich versucht, Midgard zu unterjochen? Und war er dabei wirklich ohne zu Zögern buchstäblich über Leichen gegangen? Sie konnte es eigentlich kaum glauben...

Andererseits war es ebenso undenkbar, dass Frigga ihr etwas vorgelogen hatte.

«Herrin?» fragte er nach, als sie so lange stumm blieb. «Sie sehen blass aus. Fühlen sie sich nicht wohl?»

Runya zuckte beinahe schuldbewusst zusammen. Sie hatte ihn nicht derart unverhohlen anstarren wollen! Doch wieder wunderte sie sich: wie konnte ein derart aufmerksamer – einfühlsamer? – Mann solche Dinge getan haben?

Ihre Hände fuhren zu ihren Schläfen, und ein wenig gequält antwortete sie: «Nein, ich habe leider ziemlich schlecht geschlafen. Aber das ist nicht der Rede wert... ich meine, was ist das schon, verglichen mit dem, was ich gestern Abend gesehen habe? Was Thor dir angetan hat, meine ich.»

«Sie sollten sich darüber keine Gedanken machen.» gab er leise zurück und begann, ihren Tisch zu decken.

«Ich mache mir aber Gedanken!» erwiderte sie ernsthaft, während ihre Augen seinen Bewegungen folgten. Er wirkte müde und erschöpft, und Runya sah auch, dass er zwischendurch immer wieder die Lippen aufeinander presste. Nur flüchtig, aber sie konnte es deutlich erkennen. Also musste er immer noch Schmerzen haben!

Aber wovon? Thor hatte seinen Bruder gestern Abend ganz klar auf irgend eine Weise gefoltert - doch warum sah man Loki nichts an?

Nicht, dass sie ihm gewünscht hätte, dass er irgendwelche Verletzungen davon getragen hätte... Doch das völlige Fehlen von Anzeichen dessen, was gestern Abend geschehen war, liess Runya nur noch mehr erschauern.

Ihr fiel wieder ein, dass sie mehrere Peitschen an der Wand hatte hängen sehen. Hatte Thor etwa..? Aber nein, in einem solchen Fall hätte es ja wirklich Spuren geben müssen. Man konnte niemanden auspeitschen, ohne dass es sichtbar wurde.

Erst recht nicht, wenn man ihm so viele Schläge versetzt hatte, wie es Thor in einem solchen Fall getan haben würde... Denn andernfalls hätte Loki nicht derart qualvoll geschrien.

Runya wünschte sich nicht zum ersten Mal, dass sie mutiger gewesen wäre. Dann nämlich hätte sie sich vielleicht getraut, den Mann direkt zu fragen. So aber schaffte sie es einfach nicht. Vor allem, weil sie wusste, dass sie damit nur in den Wunden bohren würde.

Loki: the fallen Prince - der gefallene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt