Erinnerungsfetzen

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Loki führte Runya durch endlose Gänge im Palast. Immer tiefer drangen sie ins Innere des riesigen Gebäudes vor, und inzwischen lagen die Flure leer und verlassen vor ihnen. Seit mindestens zwanzig Minuten war kein einziger Wächter war mehr zu sehen.

Auch die Umgebung veränderte sich. Irgendwie wirkte alles weniger real, weniger substantiell. Manchmal kam es Runya beinahe so vor, als ob die Wände ringsum sich zu bewegen schienen.

Magie?

Loki sprach nicht und sie tat es ihm gleich. Sie vermutete, dass er – trotz der offensichtlichen Absenz jeglicher Einherjar – kein Risiko eingehen wollte, doch von jemandem gehört und somit entdeckt zu werden.

Vor einer riesigen, blau gefärbten Tür blieben sie schliesslich stehen. Loki warf einige gehetzte Blicke um sich, ehe seine Finger zum Panel rechts der Tür glitten. Dort befanden sich mehrere Tasten mit seltsamen Zeichen darauf. Keine Zahlen, keine Buchstaben. Runya hatte so etwas noch nie gesehen.

Loki schlanke lange Finger tasteten die Knöpfe ab, ohne sie zu drücken. Er schien sie eher zu streicheln. Bei jeder Bewegung leuchteten die Zeichen kurz auf, jedes in einer anderen Farbe.

Runya war verwirrt. Dies hier war offensichtlich das Schloss zur Tür. Eines, das sich nur mit dem richtigen Code öffnen liess. Doch wie wollte Loki diesen herausfinden?

Sie wagte die leise Frage. Er lächelte ihr flüchtig zu.

«Die Knöpfe vibrieren ganz schwach, wenn der Code stimmt.» gab er zurück. «Kaum spürbar... man muss einen sehr guten Tastsinn besitzen.» Er seufzte leise. «Mit Magie wären wir längst drin. Aber ich hoffe, so geht's auch.»

Runyas Augen wurden gross. Loki schien wirklich das Talent zum Einbrechen zu besitzen.

Zehn Minuten später schwang die Tür auf.

Hatte Runya gemeint, Lokis Bibliothek sei die grösste, die sie je zu Gesicht bekommen würde, so wurde sie nun eines Besseren belehrt. Diese hier übertraf Lokis Büchersammlung noch um einiges. Dabei schossen die Regale auch in derart schwindelerregende Höhen, dass Runya sich fragte, ob es je irgendein Asgardianer wagte, da hoch zu klettern. Zumal sie nirgendwo so etwas wie eine Leiter erkennen konnte.

Wie sollten sie hier nur finden, was sie suchten? Die 'Geheimen Chroniken'... Runya kam es so vor, als ob diese Beschreibung zu jedem einzelnen Buch hier drin passte.

Doch wieder zögerte Loki keine Sekunde. Er schritt die Reihen ab und blieb schliesslich vor einem Regal stehen, das überraschenderweise nur knapp mannshoch angelegt war. Auf dem obersten Tablar stand ein Buch, das zunächst beinahe zwischen den übrigen zu verschwinden drohte – klein, unscheinbar und nicht mal annähernd so kostbar eingefasst wie die anderen Bände. Doch genau nach diesem griff Loki.

«Gut zu wissen, dass man sich auf bestimmte Dinge nach wie vor verlassen kann,» murmelte der Schwarzhaarige. «Vor allem auf den Ordnungssinn des Allvaters.»

«Du warst schon mal hier.» Eine Feststellung, keine Frage.

Loki nickte. «Ja, als Junge. Niemand wusste davon. Ich hatte mich in eine Fliege verwandeln müssen, um hinter Odin unbemerkt reinzukommen. Als er wieder ging, bin ich stundenlang geblieben.»

«Eine Fliege?» Runya musste bei der Vorstellung lachen.

Loki grinste zurück. «Höchst nützliche Tierchen. Vor allem ihre Grösse.»

«Warum die Heimlichtuerei? Du warst...» Sie korrigierte sich absichtlich, «...BIST doch ein Prinz.»

Loki überhörte die Korrektur und erwiderte nur: «Odin hätte mich in meine Einzelteile zerlegt, wenn er herausbekommen hätte, dass ich sein bestgehütetes Geheimnis entdeckt hatte. Diese Hallen hier...» Seine Hand vollführte eine ausschweifende Geste, «...sind eigentlich inexistent. Ausser dem König von Asgard weiss niemand davon. Früher, viele Jahrhunderte vor der Herrschaft des jetzigen Allvaters, hatten noch die Magier Kenntnis von dieser Bibliothek. Doch das wurde mit Odins Machtantritt anders.»

Loki: the fallen Prince - der gefallene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt