Machtwechsel

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Tyr war ratlos. Rund zwölf Stunden war es jetzt her, seit sein König verschwunden war, und obwohl er sein Bestes getan hatte, diese Tatsache vor den meisten seiner Einherjar geheim zu halten, um sie nicht zu beunruhigen, war inzwischen das Gerücht durchgesickert, dass der Allvater tot sei.

Der Hauptmann wusste – hoffte! – dass dies nicht stimmte. Aber da nicht einmal Heimdall den König im Moment sehen konnte, machte er sich inzwischen ernsthafte Sorgen.

Das einzig Positive daran war, dass Heimdall Odin auch nicht tot vor sich sah... Also hoffte der Hauptmann, dass er dies als Beweis dafür nehmen konnte, dass der Allvater noch lebte.

Doch inzwischen waren sogar seine Ängste um Odin in den Hintergrund getreten, denn irgend etwas ging im Palast vor... Tyr hätte es nicht zu benennen gewusst, doch es war offensichtlich, dass einige seiner Leute durchdrehten. Anders konnte er es zumindest nicht mehr nennen, nachdem eine Gruppe von Einherjar in den Thronsaal gestürmt war und ihn sowie zwei seiner Unteroffiziere, mit denen er sich beraten hatte, attackiert hatte. Sie hatten sich gewehrt so gut es ging, doch die Angreifer hatten über die reinsten Bärenkräfte verfügt. Wie Berserker hatten sie gewütet und nur Tyr allein war die Flucht gelungen. Seine beiden Offiziere waren regelrecht überrannt und massakriert worden.

Die jahrhundertelange Erfahrung als Kämpfer hatte für Tyr wohl den Unterschied gemacht. Mit letzter Kraft und verletzt – zum Glück nicht lebensgefährlich – hatte er entkommen können. Nun schlich er durch die Gänge des Palastes auf der Suche nach seinen Leuten. Zumindest nach solchen, die er noch als seine Leute bezeichnen konnte.

Er konnte nicht begreifen, was da im Thronsaal geschehen war.

Was im Palast geschah, genauer gesagt...

Denn je weiter er ins Innere des Prachtbaus vordrang, umso mehr erkannte er, dass sie Gruppe, die ihn und seine Offiziere attackiert hatte, offenbar nicht auf eigene Faust gehandelt hatte. Dass es noch weitere Einherjar gab, die allem Anschein nach die Fronten gewechselt hatten...

Nur zu wem? Und warum?

Kurz nach seiner Flucht aus dem Thronsaal erwischte es Tyr beinahe, weil er zwei seiner Männer in den ansonsten schon fast gespenstisch leeren Gängen erblickt und sich ihnen erleichtert gezeigt hatte. Die Männer hatten wortlos und augenblicklich ihre Waffen gezückt und waren auf ihn losgegangen. Mit allerletzter Kraft hatte er sie überwältigen können.

Seitdem wusste Tyr nicht mehr, wem er noch trauen konnte.

Ob er überhaupt noch jemandem trauen konnte.

Auch der Korridor in dem Teil des Palastes, den er nun betrat, lag unheimlich ruhig vor ihm. Aber Tyr spürte eine leichte Gänsehaut im Nacken: fast so, als ob ein unsichtbarer Feind hinter jeder Ecke lauern würde.

Er machte sich auf den Weg in den Nordflügel des Palastes. Dort befand sich die Waffenkammer. Ausserdem gab es einige private Fluggleiter der Offiziere. Der Hauptmann hegte die Hoffnung, dass er dort vielleicht auch einige Einherjar traf, denen er noch vertrauen konnte. Denn wenn es noch königstreue Männer gab, würden sie sicher auch versuchen, sich mit möglichst vielen Waffen einzudecken.

Aber noch mehr als auf seine Männer hoffte er auf die Grossen Drei. Wenn er einen von ihnen finden würde, wäre ihm sehr viel wohler in seiner Haut. Am meisten willkommen wären ihm Fandral oder Hogun.

Oder natürlich Lady Sif. Sie wäre sogar seine erste Wahl, denn die Kriegerin besass von allen den kühlsten Kopf. Und Tyr hatte das sichere Gefühl, dass ein kühler Kopf genau das war, was sie jetzt brauchten.

Aber letzten Endes war es egal, auf wen er traf... Hauptsache Beistand.

Und eine Klärung dessen, was hier ablief...

Loki: the fallen Prince - der gefallene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt