Bitte hilf mir!

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Der tote Körper war durch puren Zufall entdeckt worden. Unter Bergen von Abfall wäre er eigentlich mit Sicherheit auf Nimmerwiedersehen verschwunden, wenn nicht eine der Küchenmägde den Ring, der ihr beim Gemüseputzen vom Finger gerutscht war, wieder zu finden gehofft hätte. Trotz ihres Ekels, mit blossen Händen im stinkenden Abfallhaufen wühlen zu müssen, hatte die Magd voller Verzweiflung nach dem alten Familienerbstück gesucht. Gefunden hatte sie dann aber statt des Ringes eine Leiche!

Wirklich ein Zufall, denn da die Abfallberge aus der Küche in regelmässigen Abständen durch grosse Öffnungen im Boden auf darunterliegende Förderbänder gespült wurden, wo sie umgehend in den Verbrennungsanlagen verschwanden, hatte nicht viel gefehlt, dass die Sklavin zu einem Häufchen Asche verglüht und der Mord niemals entdeckt worden wäre. Die Magd, welche den leblosen Körper gefunden hatte, hatte aber die Anlage umgehend gestoppt und Alarm geschlagen.

Ihr entsetztes Geschrei hatte jedoch nicht nur die diensthabenden Einherjar, sondern den halben Palast aufgeschreckt. Einen Mord in Odins heiligen Hallen: das hatte es seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben. Und auch wenn die Tote nur eine Sklavin war, so war es doch ungeheuerlich, dass Derartiges hatte geschehen können.

Als dann schliesslich sogar der Kronprinz höchstpersönlich auf der Bildfläche erschien, wurde die Identität der Toten schliesslich festgestellt. Thor erkannte Inaja, die erst vor kurzem wegen dreifachen Mordes in die Sklaverei verurteilt worden war, sofort wieder. Einen Moment lang starrte er unbeweglich auf die Leiche, ehe sich seine Augen verfinsterten und er ohne ein weiteres Wort zu verlieren davonstapfte.

Runya, die, aufgeschreckt durch den Lärm, aus dem Zimmer gerannt war, um nachzusehen, konnte dem blonden Riesen nicht mehr ausweichen, als er mit mächtigen Schritten um die Ecke bog. Sie stiess frontal mit ihm zusammen und keuchte schmerzhaft auf, als sein Fuss mit voller Wucht gegen ihr Schienbein trat.

Thor schien die Prinzessin jedoch kaum richtig wahrzunehmen. Er murmelte etwas Unverständliches, das sich nur mit viel Fantasie als Entschuldigung interpretieren liess und schob sie dann einfach beiseite. Empört – aber unfähig, ein Wort zu sagen – starrte ihm Runya einen Moment lang nach, ehe sie weiterging.

Auch sie erkannte die unglückliche Sklavin sofort. Tief betroffen schlug sie die Hand vor den Mund. Die Frau tat ihr unendlich leid – und vor allem ihre beiden Kinder, die ihre Mutter jetzt sozusagen zweimal verloren hatten.

Da sie wusste, dass sie hier nichts weiter tun konnte, war sie nun definitiv entschlossen, Frigga über das belauschte Gespräch zwischen Auxin und dieser Elfra zu orientieren. Da auch Loki ihr dazu geraten hatte (genauso, wie er ihr zugestimmt hatte, dass es keine gute Idee war, damit zu Thor zu gehen), hielt sie jetzt nichts mehr davon ab, die Königin aufzusuchen. Zumindest würde der ruchlose Mord an der Frau umgehend geklärt werden können!

Hätte Runya allerdings gewusst, wohin Thor unterwegs war, hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre ihm in ihre Gemächer gefolgt!




Ohne anzuklopfen stiess der blonde Donnergott die Tür zu Runyas Zimmer auf und brüllte: «Loki! Ich weiss, dass du da bist! Komm sofort raus.»

Der Gerufene, der tatsächlich noch hier war, erstarrte. Runya hatte ihn gebeten, in ihren Räumlichkeiten auf sie zu warten, weil sie es für sicherer erachtet hatte, zuerst allein mit Frigga zu sprechen. Doch nun, als Thor wie ein Berserker hereinstapfte, dachte Loki mit bitterem Galgenhumor, dass es überall sonst wohl weitaus sicherer für ihn gewesen wäre.

Da er wusste, dass es nichts brachte, sich zu verstecken, trat er langsam aus dem hinteren Teil der Gemächer nach vorn, dem vor Wut bebenden Thor entgegen. Er konnte nicht verhindern, dass ihn ein leises Zittern überfiel, vor allem, weil der Donnergott völlig ausser sich zu sein schien vor Zorn. Thor packte Loki denn auch sofort mit beiden Fäusten, schüttelte ihn erst kräftig durch und stiess ihn dann mit voller Wucht gegen die nächstgelegene Wand, wobei er schrie: «Du warst das! Du hast sie umgebracht!»

Loki: the fallen Prince - der gefallene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt