Mit einem müden Gähnen schlägt Fabian die Augen auf, während er den wackeligen Boden unter ihm spüren kann. Eine sanfte Brise weht durch sein bereits länger gewordenes Haar. Er richtet sich auf und klemmt einige seiner Strähnen hinters Ohr.
„Nein, nicht diesen Weg. Wir würden uns in dem Nebel nur verirren!", dringt Luis Stimme an sein Ohr.
„Aber wir könnten uns dort vor Chero verstecken!", widerspricht die zweite Stimme. Fabian schaut auf, und seine trägen Augen erhaschen einen Blick auf Silvio, der skeptisch die Augenbraue hebt. Erst jetzt bemerkt er, wie der Finger des blonden Jungen über eine Karte streicht, die er mit der anderen Hand davor bewahrt wegzufliegen. Der Wind zischt an Fabians Ohr vorbei und durchwühlt die honiggelben Haare. Mittlerweile hat er sich an die Höhe gewöhnt, die der Drache einhält um möglichst unauffällig und schnell voranzukommen. Trotz der glatten Schuppen ist genügend Platz auf dem Rücken des Geschöpfes, um die drei unfallfrei seit mehreren Tagen zu tragen. So langsam fragt sich Fabian wie weit sie bereits gekommen sind. Es wundert ihn, dass sie noch nicht mal die weißen Strände der Küste zum unbekannten Meer erspähen können. So langsam stört ihn die schier endlose Reise. Sie sind bereits um die eisernen Gipfel herumgeflogen, über Herbas Wälder in denen angeblich ein Portal zur Welt der Lebenden liegt bis zu den nebligen Sümpfen im kalten, rauen Moor von Ruska und in das dahinterliegende, flache Ödland. Fabian hasst es die ganze Zeit die Streitgespräche zwischen Luis und Silvio mit anzuhören.
„Wir fliegen dort einfach einen Tag lang über den Wolken. Das macht es einfacher!", mischt er sich mit genervtem Unterton ein. Für einen Moment herrscht Stille. Dann ist ein vergnügtes Grummeln von dem Drachen zu hören.
„Der Dämon hat nicht ganz unrecht. Wenn wir auf dem Rückweg über den Wolken fliegen werden wir uns nicht wie beim letzten Mal im Nebel verirren" Seit Tagen planen Silvio und Luis ihren Rückweg, damit sie schneller zu den eisernen Gipfeln zurückkehren können.
„Von mir aus!", sagt Luis mit einem schweren Seufzer und auch Silvio gibt sich zufrieden.
„Nun, jetzt sollten wir uns aber eher der Landung widmen", erklärt Custos mit seiner ruhigen Stimme. Sofort blicken alle ihrem Ziel entgegen. Ein riesiger Krater öffnet sich unter ihnen und entblößt eine weiße Decke, die den Boden bedeckt. Die Nebelkluft reicht einige Kilometer weiter nördlich. Vorsichtig nähert sich Custos der Schlucht. Mit sanften Flügelschlägen landet er einige Meter daneben. Sofort gleitet Fabian von seinem Rücken und stößt mit den Sohlen auf dem festen, steinigen Boden auf. Eine honiggelbe Strähne fällt ihm dabei ins Gesicht. Sie hat die Form einer edlen, goldenen Welle, die im fahlen Licht zu glänzen scheint. Fabian klemmt sie sich hinters Ohr, bevor er näher an den Abgrund zur Nebelkluft tritt. Sein Herz pocht wie wild als er die Schlucht hinunterschaut. Ein unheimlicher, weißer Dampf bedeckt den Boden. Einige Nebelschwaden heben sich wie ein Schleier aus der Felsspalte als Fabian nähertritt. Wild tänzeln sie um seine Füße und schlingen sich um sein Bein. Gebannt beobachtet er die Nebelschwaden dabei. Fabian spürt wie ihre nassen Zungen sein Hosenbein durchfeuchten und obwohl kein widerstand da ist, drücken sie ihn näher an den Rand. So nah, dass er unbewusst einen falschen Schritt setzt. Plötzlich spürt er keinen Boden mehr unter seinem Fuß.
„Komm da weg!", faucht Luis, während er ihn unsanft an der Schulter packt. Mit einem kräftigen Ruck zerrt er ihn von dem gähnenden Abgrund weg. Sofort verzieht sich der Nebel wieder in die Schlucht.
„Kommt zu mir", scheint er dabei mit einer warmen, mütterlichen Stimme zu flüstern. Fabian schaut zu Luis. Auch dieser blickt dem Nebel hinterher.
„Hast du das auch gehört?", fragt der Dämon ihn. Luis zögert eine Weile, dann nickt er.
„Das ist Jikan!", mischt sich Custos ein, „Sie ruft nach ihrer Schöpfung!" Fassungslos starrt Fabian die Schlucht hinunter.
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Die Drachenlegende - Die Kinder der Leere
Fantastik„Es wird nie wieder wie früher werden!", faucht Milan die zerbrechliche Gestalt vor ihm an. Einige Tränen lösen sich aus den Augen seiner Freundin und rollen über die heißen Wangen. „Es tut mir leid, aber er muss seine Strafe bekommen. Wenn ich es...