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J e o n g g u k

Für mich fühlte es sich an, als würden wir schon eine Ewigkeit einfach nur diese langweiligen Straßen entlanglaufen. Jedes Haus glich dem anderen — nur die Gestaltung der heiß geliebten Vorgärten machte einen Unterschied. Vielleicht wirkte es deswegen so, als liefen wir schon seit Stunden im Kreis. Als wir dann allerdings in eine Seitenstraße einbogen, sah das Viertel, welches wir nun betraten, ganz anders aus. Zwar waren es noch immer ein und dieselben Häuser aneinandergereiht, allerdings machte das Erscheinungsbild dieser gerade eine Einhundertachtziggradwende.

Ich konnte mir schon denken, wo wir hier waren und ich musste mich wirklich zusammenreißen, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mich hier alles andere als wohl fühlte. Es war wohl offensichtlich, dass wir in der Gegend angekommen waren, in der die beiden Brüder wohnten — daran zu erkennen, wie gut sich Yoongi hier auskannte. Er lief uns allen voran und führte uns von einer dunklen Abkürzung zur nächsten. Im Dunkeln sah alles ganz anders aus. Es war eigentlich nicht so, dass ich einer dieser verzogenen Bengel war, der direkt alles verurteilte, das 'unter seiner Klasse' lag, dennoch hatte ich dieses Gefühl, dass ich hier einfach nicht sein wollte.

Es fühlte sich falsch an und es tat mir leid, dass ich so dachte, doch ich konnte es nicht abstellen. Auch konnte ich dieses automatisch erscheinende Gefühl von Mitleid nicht unterdrücken. Sofort kam es in mir auf, so wie es immer passierte, sobald ich mit Eindrücken der Unterschicht — wie meine Eltern es nannten — konfrontiert wurde. Ich fühlte mich schlecht und hatte plötzlich dieses seltsame Bedürfnis, mit Jimin, Taehyung und Yoongi zu mir nach Hause zu gehen.

Es war komisch, durch das Viertel zu gehen und dabei die Personen bei mir zu haben, die das hier ihr Zuhause nannten. Es tat mir ja beinahe schon leid, dass sie in einer solchen Gegend wohnten, obwohl ich nicht den blassesten Schimmer davon hatte, wie es denn tatsächlich war, hier zu leben. Klar konnte ich mich glücklich schätzen, dass ich aus einer wohlhabenden Familie stamme — und das tat ich auch, doch keinesfalls vertrat ich die Werte, die einem dabei in der Erziehung vermittelt werden. Zumindest nicht die, die mir vermittelt wurden. All diese seltsamen Emotionen kamen ohne Zweifel von meinen Eltern. Durch die Sichtweise, die sie mir in die Wiege gelegt hatten und der Einstellung dieser Unterschicht gegenüber, mit der ich aufgewachsen bin, hatten sich diese Reaktionen in mir festgesetzt und es fiel mir schwer, sie beiseitezuschieben. Gerade jetzt fiel es mir verdammt schwer, mich nicht wie etwas besseres zu fühlen, obwohl ich wusste, dass ich das keinesfalls war. Niemand war das.

»Wir sind gleich da.«, sprach Yoongi in die Stille hinein. Es hatte tatsächlich noch niemand etwas gesagt, seitdem wir uns auf den Heimweg gemacht hatten. Auch das von mir erwartete Verhör war ausgeblieben. Ich war mir fast zu einhundert Prozent sicher gewesen, dass Taehyung von einem der beiden noch ausgefragt werden würde, wo er denn war und was er gemacht hatte, allerdings liefen wir einfach nur still nebeneinander her — Yoongi vorneweg.

Mein Blick löste sich nach langer Zeit wieder von der Umgebung und wie von selbst fanden meine Augen ihren Weg zu Taehyung. Der Junge wirkte irgendwie anders — viel zufriedener, als sonst. Er schien über irgendetwas nachzudenken, das ihn ständig zum Lächeln brachte. Auch Jimin schien das aufgefallen zu sein, denn als er seinen Blick — was fast schon eine Observation gewesen war — von dem Schwarzhaarigen löste, musste er ebenfalls lächeln. Es war wohl gut, dass Taehyung glücklich war und es war deswegen wahrscheinlich auch OK, dass wir nicht wussten, wo er denn die Party über gewesen war.

Doch was mich anging, war es das eigentlich überhaupt nicht. Ich hatte ihn mitten auf einer Party im ersten Stock hinter einer Tür verschwinden sehen — natürlich war ich neugierig, was er da die ganze Zeit gemacht hatte und was ihn jetzt so glücklich machte. Ich hatte das schlechte Gefühl, dass dieses Zimmer — oder besser gesagt das, was dort drin passiert war — ihn so zum Lächeln brachte. Irgendwie ließ mich das noch unbehaglicher fühlen, als ich es durch die Umgebung ohnehin schon tat.

holding on and letting go ✧・゚kookvWo Geschichten leben. Entdecke jetzt