Türchen 19

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Marcus

Caius' herzzerreißendes Schluchzen war bis in den Thronsaal zu hören. Er hatte noch nie geweint. Seit die Volturi existierten, hatte ich ihn niemals weinen sehen oder weinen hören. Und nun hörten wir alle es das erste Mal. Und es war grauenvoll.

Bei seinem Schluchzen, was wirklich ein herzzerreißendes Geräusch war, wenn es von ihm kam, stiegen schon fast mir die Tränen in die Augen. Auch Aro saß starr da und seine Augen glänzten ein wenig. Selbst die Wachen waren erstarrt. Mein Blick ging zu Sulpicia, die sich die Hand vor den Mund geschlagen hatte, während ihr einzelne Tränen die Wangen runterliefen.

Caius' Schluchzen war so herzzerreißendes, dass sein Schluchzen mir in meinem Herzen weh tat.

Es war wie, als würde man ein kleines Kind sehen, dass hinfiel, sich die Knie aufschlug und weinte. Man wollte dem Kind helfen, es in den Arm nehmen und trösten.

Doch Caius konnten wir nicht helfen.

Mal wieder zerbrach ein Stück seiner Seele durch seinen Posten als König der Vampirwelt. Erst war ein Stück seiner Seele zerbrochen, als Lucinda gestorben war und er seine Trauer nicht richtig ausleben konnte, da er die Vampirwelt regieren musste. Daraufhin war er so kalt und gefühllos geworden. Danach war ein Teil seiner Seele zerbrochen, als Aro ihn für die Folter zuständig machte. Caius wurde beauftragt, das mit Anderen zu machen, was mit ihm als Kind gemacht wurde. Ein Stück seiner Seele war daran zerbrochen und hatte sich so komisch verformt, dass er zum Sadist wurde und seinen Spaß daran fand. Ein Teil seiner Seele war nie berührt worden, da er nie Liebe gefunden hatte. Doch nun hatte er diese Liebe gefunden, aber durch seinen Posten als König musste er diese Liebe wieder von sich stoßen. Und nun war ich mir nicht sicher, ob das seine Seele noch verkraften würde. Ob das einfach wieder heil wurde.

Der Posten als Vampirkönig hatte ihn gebrochen. Wir hatten ihn gebrochen. Und wer wusste schon, ob Caius so stark war, noch so einen Seitenhieb einzustecken?

Caius

Langsam stemmte ich mich wieder hoch.

Ich wischte mir mit dem Hemdsärmel über mein Gesicht, bevor ich stark blinzelte und mein Gemach verließ. Mein direkter Weg führte zur Küche. Dabei war es mir egal, dass mir immer noch die Tränen die Wangen runterliefen und ab und zu ein ersticktes Geräusch aus meiner Kehle kam.

In der Küche angekommen fiel mein Blick nach draußen und ich sah den Regen in Strömen am Fenster runterlaufen. ,,Genauso fühle ich mich auch, Principessa...", flüsterte ich leise, bevor ich an einen Schrank lief und diesen öffnete.

Wütend und traurig zugleich riss ich die erste Flasche aus dem Schrank, drehte sie auf und setzte sie mir an die Lippen. Der Bourbon floss meine Kehle runter, wie nichts. Dann nahm ich mir ein Schnapsglas und füllte es mir voll mit Schnaps. Diesen kippte ich ebenfalls runter. Der Nächste folgte. Und wieder der Nächste. Das so lange, bis auch diese Flasche leer war.

,,Dann werde ich jetzt wohl zum Alkoholiker...", murmelte ich und musste kurz schmunzeln, als ich an diese Aussage dachte. Doch dieses Schmunzeln wurde sofort von Schmerz übermannt.

Eine Flasche Vodka folgte der Flasche Bourbon und der Schnapsflasche.

Als ich dann eine Whiskeyflasche anbrach und diese ebenfalls halbleer trank, wurde ich unterbrochen.

Marcus

Als das Schluchzen fast gänzlich aufhörte, erhob ich mich. Caius konnte unmöglich schon seine Trauer ausgelebt haben und das musste er diesmal. Wenn er die Trauer nicht rausließ, würde seine Seele komplett zerbrechen. Und wir wussten nicht, mit was wir es dann zu tun bekommen würden.

Doch er war nicht in seinem Gemach.

Plötzlich stieg mir der Geruch von Alkohol in die Nase. Viel Alkohol. ,,Bitte nicht...", murmelte ich.

Langsam ging ich in Richtung Küche. In dieser fand ich Caius vor. Auf der Theke standen drei leere Flaschen. Bourbon, Schnaps und Vodka. In seiner Hand hielt er eine halbvolle Flasche Whiskey.

,,Bruder, es reicht...", meinte ich leise. Er drehte sich schwankend zu mir um. ,,Wieso? Es macht den Schmerz weg.", lallte er. ,,Ich weiß, wie du dich...", begann ich. ,,NEIN!", brüllte Caius dazwischen und schmetterte die Glasflasche vor sich auf den Boden.

,,Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle! Klar, Didyme ist tot und du hast sie auch nicht mehr, aber das ist was Anderes! Sie ist nämlich tot, verdammt! Aber Ruth lebt! Ruth lebt und ist da draußen irgendwo. Sie lebt und ist genauso traurig wie ich! Ich musste ihr und mir das Herz brechen, weil ich hier immer schön weiter den König spielen muss. Dir wurde das Herz gebrochen, weil Aro Didyme getötet hat. Für dich gibt es keine andere Möglichkeit mehr, als schön hier brav zu sitzen, für den Rest deines unsterblichen Lebens. Aber ich hätte eine andere Möglichkeit! Ich könnte jetzt irgendwo gemütlich liegen mit Ruth in meinem Arm. Sie einfach so weiter lieben, wie ich es tue, seit ich sie richtig kenne. Aber weil ich hier schön weiter den verfickten König spielen muss, anstatt, dass wir einfach alle unser Leben so leben, wie wir es leben wollen, kann ich es nicht.", aus Wut begann er, die anderen leeren Flaschen auf den Boden zu schmettern.

,,Ich habe noch nie jemanden so sehr geliebt, wie Ruth. Und ich werde niemals jemanden wieder so sehr lieben. Aber diese scheiß Position, die ich hier immer behalten muss, hat mir das genommen. Genauso, wie diese Position mir die Trauer um meine Schwester genommen hat. Dieses ganze scheiß Leben als Vampir, hat mir so viel genommen. Meine Schwester, meine Menschlichkeit, meine Fähigkeit legal ein Kind zu bekommen, meine menschlichen Erlebnisse, die ich noch hätte haben können, einfach alles. Und jetzt hat es mir auch noch die Möglichkeit genommen, mit dem Mädchen zusammen zu sein, dass ich liebe.", fuhr Caius in Rage fort und schmiss auch noch eine volle Flasche zu Boden.

Dann hielt er inne und sah mich an. Ich sah seine gebrochene Seele in seinen Augen und auch die unendliche Trauer.

,,Also sag mir nicht, dass du weißt, wie ich mich fühle. Denn keinem von euch hat dieses Leben so viel genommen, wie mir. Und deswegen kann und wird auch nie einer von euch verstehen, wie ich mich fühle.", seine Worte waren kaum mehr noch, als ein Hauchen und er schüttelte den Kopf, während er bei jeder Möglichkeit die Lippen traurig fest aufeinander presste.

,,Würde ich kein König hier sein und es einfach dürfen, würde ich mich jetzt einfach zu einem Wolfsrudel bewegen und mich von ihnen zerfetzen lassen. Das Alles, selbst für immer ausgelöscht zu werden, wäre erträglicher, als jetzt, mit diesem Schmerz und diesem Wissen, weiterzuleben."

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