IV

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„Lass' ihn hier einfach stehen. Der gehört uns so oder so nicht, und man muss nicht unbedingt darauf kommen, dass wir ihn geklaut haben." Martijn deutet zu der rechten Seite. Eine auf dem ersten Blick sehr schmale Lücke, in die Jakub rückwärtsfahren muss, dabei einen kleinen Bogen beschreibend. „Die drei letzten Straßen können wir auch zu Fuß gehen."

„Du seien der Chef", murmelt Jakub und lenkt den Wagen auf die rechte Spur. Wieder wird der Blinker angesetzt. Die Fahrer hinter ihm nehmen rechtzeitig Notiz von ihm. Er fährt ein Stück nach vorn, ehe er das Manöver anfängt. Jakub ist noch nie ein Freund dieser Art gewesen; immer hat er versucht, es aus dem Weg zu gehen. Seit er dabei ein Mal Kadens teuren Sportwagen sichtbar touchiert hat, hat er es schließlich gänzlich unterlassen.

„Schlag' weiter ein. Du würdest sonst den BMW mitnehmen", weist Martijn Jakub darauf hin, der den Blick prüfend zum Außenspiegel gerichtet hat. „Etwas noch ... Genau. Jetzt langsam gerade rückwärts." Er nickt bedächtig, während der Vierundzwanzigjährige Martijns Hinweise umsetzt. „Jetzt komplett die andere Seite." Jakub spürt seinen kontrollierenden Blick auf sich. „Richtig. Jetzt vorsichtig bis zur Bordsteinkante fahren. Wenn du die mitnimmst, ist es nicht schlimm: Du solltest nur nicht schnell fahren, dann würden die Reifen in Mitleidenschaft gezogen werden."

„Jedes Mal, ich kriegen es nicht hin", murrt Jakub ein wenig genervt, starrt in den Außenspiegel, während er den braunen Opel in die Lücke lenkt. „Ich hassen Einparken, wenn ich sollen fahren rückwärts und seitlich. Früher, ich haben immer versucht, Manöver zu vermeiden. Seien mir gewesen zu blöd. Auch, weil ich haben 'mal mitgenommen Kadens Wagen. Er haben mich gemacht zur Sau, weil Kratzer an Stoßstange seien gewesen ziemlich fett."

Ein erleichterndes Kribbeln bebt in seinem Körper, nachdem das Fahrzeug ohne Schwierigkeiten in der Lücke steht. Die Abstände sind ausreichend für alle drei Autos. Jakub lehnt sich zurück und löst die Finger vom Lenkrad und entfernt die Füße von allen Pedalen. Der Motor verstummt jäh.

„Wenn man will, dann kriegt man es hin", erwidert Martijn und sucht seinen Blick. Jakub hat sich in der Zwischenzeit an der kalten Farbe gewöhnt. Dennoch ist ihm unbehaglich, wenn Martijn ihn ansieht. „Ich habe selbst ganze zwei Jahre gebraucht, bis ich die Technik drauf gehabt habe. Alles nimmt Zeit in Anspruch, dem sollte man sich immer bewusst sein." Die schmalen Lippen verformen sich zu einem Grinsen. „Übrigens: So blöd hast du dich nicht angestellt: Der BMW hinter uns ist unversehrt und die Hupe vor uns auch." Beide lachen für eine Sekunde. „Bis auf die Scheibe ist der Wagen nicht kaputt. Hm, der Besitzer kann sich glücklich schätzen – im Regelfall sind all meine geklautes Autos Schrott." Der Niederländer steigt anschließend aus, klappt den Sitz nach vorn, damit Li-Wen herausklettern kann. „Komm' her, meine Liebe. Die Fahrt endet hier. Wir müssen noch ein kleines Stückchen zu Fuß gehen."

Jakub beobachtet schweigend Li-Wen, wie sie zögerlich Martijns Hand ergreift und sich herausziehen lässt. Wieder dieser fiese Stich, mit dem sich sein Herz quälen muss. Ein tonloser Seufzer entweicht ihm, ehe er sich selbst aus dem Fahrzeug schiebt. Mit dem Ellenbogen schlägt er die Tür zu und schiebt die Hände tief in den Jackentaschen. Spätsommer und dennoch ist es kalt. Im August. Durch Jakubs Stirn graben sich kleine Furchen. In den letzten Jahren hat er zu diesem Zeitpunkt im bloßen Shirt herumlaufen können.

„Wenn ich bitten darf: Geh' zu Jakub. Ich habe dir bestimmt schon hunderte Mal gesagt, dass ich nicht dein Freund oder irgendeine Bezugsperson bin. Ich tue dir nichts, dann wird er dir erst recht nichts tun. Ganz einfach." Martijn schiebt sie behutsam zu Jakub. Er hebt ein wenig den Kopf, blickt Li-Wen hoffnungsvoll an. „Also? Bist du so nett?" Martijn sieht sie schräg an, Li-Wen weicht ihm sogleich aus, nickt aber. „Na, bitte. Es geht doch."

Li-Wen kommt zurückhaltend auf ihn zu. Jakub würde sie ohne Weiteres in seine Arme schließen, fest an sich drücken und sie für die nächsten Minuten nicht mehr gehen lassen. Endlich ihre Nähe spüren, ihren unverkennbaren Geruch einatmen. Das Einzige, was er jedoch tut, ist, ihr eine Hand entgegenzustrecken. Li-Wen ringt mit sich; Jakub kann es nicht leugnen: Li-Wen fühlt sich unwohl, will am liebsten zurück zu Martijn. Eine Tatsache, die das Stechen in seiner Brust verschlimmert.

Ein Atemzug entfernt IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt