III

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Jevhen hält sie ein wenig zurück, nachdem sie zu Jakub und Sasha gegangen sind. Reflexartig versucht Sarah, die Hand von ihrem Arm abzuschütteln. Der Ukrainer seufzt tonlos und nimmt sie weg. Ihr ist bewusst, dass Jakub derzeit unberechenbar ist und nicht in der Lage ist, eindeutig zwischen Feind und Verbündeten zu differenzieren. Jevhen gesellt sich zu Sasha, der eine der Pistolen in den Händen hält. Macht den Eindruck, als würde er gedankenverloren über den Verschluss hinweg streichen, aber Jevhen weiß, dass er sie nur hervorgeholt hat, um schnellstmöglich auf das Schlimmste zu reagieren. Sie beide schweigen und beobachten nur.

Sarah nähert sich Jakub. Will sich am liebsten abwenden, fortgehen. Es ist ein Anblick, den sie nicht ertragen kann. Den sie seit zwei Jahren nicht mehr verinnerlicht hat. Mit ihm blühen Erinnerungen auf, die sie nicht haben will. Sarah kann den unnachgiebigen Griff um den Hals spüren und ihre panischen Schreie in den Ohren hören. Sie atmet kurz durch und löst jegliche Erinnerungen auf. Sie muss sie loswerden.

Jakub ist deutlich ruhiger geworden. Sie hat sein erbostes Brüllen, die Schreie von ihm jedes Mal vernommen. Und ständig hat sie Oliver erklären müssen, dass es nur das Training sei. Es ist alles nicht echt – er wolle nur jemanden darstellen, der kein guter Mensch sei. Bis sie späterhin erfahren hat, dass Jakub der schlechte Mensch ist. Nur für eine kurze Zeit. Er ist nicht das Leben lang schlecht und böse. Sie streicht ihm behutsam durch die zerzausten Haare. Jakub zuckt sehr leicht zusammen. Sarah hält inne. Hat gerade erst die rostbraunen Flecke auf dem grauen Shirt erkannt. Ob von ihm oder von den anderen beiden; sie weiß es nicht.

„Was machst du nur für Sachen, hm?" Die Fingerspitzen berühren die warme Haut. „Geht es dir wenigstens etwas besser?" Sarah kann den Ausdruck in dem gesunden Auge nicht deuten. Sie ist sich dennoch sicher, dass Jakub nicht mehr aggressiv ist. Sarah wendet sich zu Sasha. Ruft sich ins Bewusstsein, dass nur er in der Lage ist, englisch zu sprechen. Sie verlangt von ihm, Jakub von den Kabelbindern zu befreien. Dabei schert sie sich nicht um Jevhens verblüffte Reaktion, nachdem Sasha ihm mitgeteilt hat, was sie will. Dieser sagt etwas zu Sasha. Eine fremde Sprache, die die beiden Männer ohnehin schon nicht vertrauenswürdig erscheinen lässt. Sasha wendet sich an Sarah, erwidert, dass dies keine gute Idee sei, da man nicht wisse, ob Jakub ohne jegliche Vorwarnung ausbreche. Es sei ihr egal. Sie wolle trotzdem, dass Jakub loskommt. Sie dulde keine Widerrede. Jevhen schüttelt sehr langsam den Kopf. Ist überhaupt nicht begeistert. Vielleicht deshalb, weil er von Jakub einige Treffer hat einstecken müssen.

Er erhebt sich. Sarah zuckt mit keiner Wimper, obwohl ihr Magen rumort. Jevhen wirkt wie jemand, den man von Beginn an stets misstrauisch gegenübertreten sollte. Es ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass er weder englisch noch deutsch sprechen kann. Sein Erscheinungsbild macht ihn nicht vertrauenswürdig. Kühl, sehr wachsam, kaum lächelnd oder scherzend. So hat sie ihn bisher kennengelernt. Auch die paar Begegnungen mit ihm haben den Eindruck nicht verbessert. Er ist gewiss ein Mann, der all das bekommt, was er will. Und ihm sei jedes Mittel und jeder Weg völlig recht.

Mit einem scharfen Messer trennt er die Kabelbinder von den Bettpfosten ab. Erst auf ihrer Seite, dann auf der anderen. Jevhen kehrt zu Sasha zurück. Ihr gefällt es nicht, dass sie mit ihr in diesem Zimmer sitzen. Worauf warten sie eigentlich? Darauf, dass Jakub erneut einen Anfall erleidet? Oder wollen sie sehen, wie er auf sie reagiert?

Sarah blendet Jevhen und Sasha so gut es geht aus dem Wahrnehmungsfeld aus und ergreift die linke Hand. Die mit den inzwischen gelösten Nähten und den roten Striemen auf der blassen Haut. Sie streicht behutsam über den Handrücken, zeichnet die dünne Narbe nach, welche sich über die Knöchel windet. Jakub regt sich leicht. Dann sieht er sie ohne definierbaren Ausdruck an. Sarah hofft inständig, dass Jakub die Ruhe wiedererlangt hat.

Minuten vergehen. Minuten der Stille. Sarah macht weiter, während sie ihren teils aufgewühlten Blick erwidert. Der Pole umschließt ihre Hand, richtet sich ein wenig unbeholfen auf. Sarah traut sich nicht zu lächeln. Zu groß ist die Befürchtung, Jakub könnte es sich doch anders überlegt haben. In den Augenwinkeln sieht sie, wie Sasha die Waffe mehr angehoben hat. Ihr ist das leise Klicken nicht entgangen. Doch Jakub ist alles andere als ein Sinnfreier oder gar jemand, der sich selbst in einem Wirbel verloren hat; er umarmt sie. Drückt Sarah an sich, als hätten sie sich über Jahre nicht mehr gesehen. Jetzt gelangt das Lächeln auf ihre Lippen, und sie erwidert die Umarmung.

Ein Atemzug entfernt IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt