XI

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Eine Stunde Fahrt. Eine Stunde auf der Autobahn, in völliger Dunkelheit und bei unregelmäßigem Regen. Jakub treibt manchmal das Auto an seine Grenzen – da zeigt der Tacho gerne hundertneunzig Stundenkilometer an. Der Motor arbeitet laut und ächzt ab und zu unter der Anstrengung. Dem Polen ist es relativ egal; der Drehzahlmesser ist unlängst über fünftausend. Das einzig Gute: Es sind sehr wenige Fahrzeuge auf der Autobahn unterwegs. Wenn, dann die schweren und langen LKWs, welche Kennzeichen aus ganz Europa tragen. Hinter ihm fährt einer, der in Estland zugelassen worden ist.

Jakub blickt auf sein Handy. Knappe sechsundfünfzig Minuten. Eine überschaubare Zeit. Ein erwartungsvolles Kribbeln erfüllt den Körper, während er den LKW überholt. Dann wird er bei ihr sein. Martijn ist vollkommen in die bewusste Vergessenheit gedrängt worden.

Wenn ich ehrlich bin, dann hat er es verdient. Ich positioniere mich auf keine Seite. Ich bin weder gut noch schlecht ... Wobei ich mehr schlecht als alles andere bin. Sei's drum. Fakt ist aber, dass zumindest eine schlechte Person raus ist. Kaden wird folgen. Jakub ordnet sich auf die rechte Spur ein. Das, was er mir angetan hat, werde ich ihm niemals verzeihen. So etwas kann man nicht verzeihen. Die Qualität der Anlage lässt mächtig zu wünschen übrig. Jakub vermisst seinen geliebten Wagen. Sehnt sich nach einer schnellen und unkomplizierten Fahrt. Und ich vermisse auch die Anlagen – da dröhnt wenigstens der Bass. Hier überhaupt nicht. Zur Hölle, wer fährt denn so ein Auto? Er hat sich an eine neue Musikrichtung herangewagt. Man muss schließlich offen für Neues sein. Na ja, eigentlich hebt sie meine Laune nicht unbedingt an. Mann, warum schlägt mir YouTube so etwas vor? Ein paar polnische Autos rasen an ihm vorbei und tauchen in der Dunkelheit ab. Einer von ihnen hat noch nicht einmal Licht an. So bescheuert muss man echt nicht sein. Ich bin zwar ein irrer Fahrer, aber das ... Nie im Leben. Jakub kneift ein wenig die Augen zusammen, als ein Anruf eingeht. Na? Unbekannte Nummer? Wusste ich's doch. Pass' auf, jetzt kommt's: Er weiß, dass ich Martijn umgebracht habe. Ein mulmiges Gefühl rumort im Magen, als er den Anruf annimmt. Er wartet angespannt, weiß, dass Kaden sich mit einem Anfang viel Zeit lässt.

Die Musik ist ausgeschaltet, als er dann beginnt: „Ich finde es auf einer Art lustig, wie trotz alledem meine Anruf annimmst. Dachte, du würdest es nicht tun." Eine fremde Note schwebt in der tiefen Stimme. Sein Umfeld liegt in der Stille. Und er hält die Lautstärke im unteren Bereich. „Du bist anscheinend auf dem Weg zu deiner kleinen Freundin? Frankfurt Oder, richtig? Eine nette Stadt, wenn du mich fragst. Da machst du starke Umsätze." Es ist, als könnte er Gedanken lesen. „Du fragst dich bestimmt, woher ich das alles weiß, hm? Ich habe heute einen recht guten Tag, also kriegst du 'ne Antwort. Ich bin nicht auf dem Kopf gefallen. Was die Behörden können, kann ich schon lange. Es ist ziemlich einfach, ein stinknormales Handy zu orten und teilweise abzuhören. Interessante Dinge hat sie da geschrieben. Es geht insbesondere um dich, Jakub." Der Pole beißt die Zähne zusammen und bohrt die Fingernägel tief in das harte Material des Lenkrads. „Nicht schlecht, was du da mit der Familie auf dem Rastplatz angestellt hast. Eiskalt ein Kind umgelegt. Sarah scheint dich dafür ziemlich zu hassen, dass sie eigentlich nichts mehr mit dir zu tun haben will." Er lacht verhalten. Jakub hält sich mächtig zurück. „Soll ich dir etwas verraten? Die Freude wird umso größer sein, sie zu erschießen weil sie trotz alledem Gefühle für dich hat. Ist das nicht verrückt? Da hat sich jemand in dich verguckt." Sein wahres Wesen wird offengelegt. „Wenn ich du wäre, würde ich mich ganz schnell beeilen. Du weißt selbst, wie knapp die Zeit werden kann."

Er spannt sich an, hält mit großer Mühe die Worte in sich.

„Wo zur Hölle bist du?" Langsam ausgesprochen.

„Immer in deiner Nähe", erwidert Kaden leise.

Jakub verengt die Augen.

„Wenn das sollen so sein, ich werden aufpassen, was du werden machen. Ansonsten, du werden enden wie Martijn Huuben." Beide Hände klammern sich am Lenkrad fest. „Du wissen bestimmt, dass ich haben gehabt direkten Kontakt zu ihm? Dass er mich haben befreit?"

Ein Atemzug entfernt IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt