Jakub kehrt nicht nach Hause zurück. Es ist inzwischen später Abend – die Dunkelheit dämmert, und der Tag weicht allmählich zurück. Der Rausch braust weiterhin durch ihn. Keinerlei Müdigkeit oder Erschöpfung zeichnen ihn aus. Vor den Einsatzkräften hat er erfolgreich fliehen können. Der kleine Wagen ist am Ende in einen parkenden Transporter gekracht. Die Platzwunde auf seiner Stirn ist zu seinem Glück versiegt. Beinahe hätte er das Bewusstsein verloren.
Mittlerweile hat er mehrere tausend Euro erbeuten können. Sieben weitere Zivilisten sind ihm zum Opfer gefallen, jeder von ihnen hat gutes Geld bei sich gehabt. Jakub sieht sich um. Eine vertraute Gegend. Zumindest diese heruntergekommenen Gebäude und das nahe Donnern der Züge über die Gleisbetten. Er entdeckt eine Lücke in diesem Maschendrahtzaun, der davon abhalten soll, sich auf das trostlose Areal zwischen Gebäuden und Schienen zu begeben. Jakub denkt nicht länger nach und zwängt sich in die Lücke. Staub klebt auf Höhe der Knie, und er klopft diesen ab. Jakub will sich ungern die Hände ansehen – er schiebt sie in die Jackentaschen. Nicht weit von ihm entfernt schlängelt sich die Havel durch die Stadt, mit dem Ziel, nach Berlin zu gelangen.
Es ist nicht kalt, dennoch behält er die Jacke an. Viel erkennen kann Jakub nicht – die Gegend erinnert ihn an eine aufgegebene Baustelle. Viele aufgetürmte Sandhügel, abgestellte Fahrzeuge. Schutt oder anderer Müll hat man verstreut. Jakub blinzelt zu der erleuchteten Bundesstraße, auf welcher der Verkehr unermüdlich stattfindet. Ein wohliges Gefühl durchströmt ihn, Jakub grinst kurz und beschließt, sich den Zügen zu nähern. Er geht entspannt Richtung Schienen. In unmittelbarer Ferne macht er zwei lichterlose Gebäude ausfindig. Es sind jedoch nicht die Gebäude, die seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Vielmehr die zwei Personen, die mit Bier und einer provisorischen Feuertonne dort vorn sitzen und miteinander scherzen. Wie gebannt nähert der Pole sich ihnen und unterdrückt die Überreste der Wirkung seiner Droge. Viele Stunden sind vergangen – die Wirkung ist merklich abgeklungen. Wenigstens ist dieser Rausch nicht mehr so stark.
Es sind zwei Kerle. Einer mit sehr kurzen Haaren, der andere mit einer ungekämmten Mähne. Und sie unterhalten sich in einer Sprache, die ihm Wehmut einflößt. Jakub erhöht das Schritttempo und schaut nicht von ihnen weg. Sie halten etwas in das Feuer; sie machen den Eindruck, als würden sie grillen.
Der Kerl mit den kurzen Haaren stößt seinen rechten Ellenbogen in die Seite seines Freundes. Und dieser sieht hoch, nimmt Jakub wahr. Den erstaunten Gesichtsausdruck kann Jakub selbst in gefühlt zwanzig Kilometern erkennen.
„Kann man dir helfen?" Eine sehr scharfe Aussprache, die Worte werden undeutlich hervorgebracht.
Jakub hält vor dem Feuer inne. Der warme Schein wandert über seine Gestalt, streicht über das Gesicht. Der Pole blickt in die Flammen, die manchmal über den Rand der Tonne hervor lugen.
„Bist du nicht dieser Pole, der gerade für ordentlichen Krach sorgt?" Der Langhaarige hat sich eingeschaltet. Angst haben die beiden nicht vor ihm. Jakub ist ihnen insgeheim dankbar. „Hey, wenn du uns umbringen willst, kannst du das gern tun. Ich hab' eh mit dem Leben abgeschlossen." Er wechselt den Blick zu seinem Begleiter. „Hab' ich nicht recht, Jurij? Wir haben eh nichts mehr zu verlieren."
Der breitgebaute Kerl, der auf den Namen Jurij hört, zuckt mit den Schultern und hebt die grüne Flasche an.
„Was hat man auch schon zu verlieren außer der Heimat, hm?" Er deutet zu sich gegenüber. „Mir soll es recht sein. Du würdest uns zumindest einen riesigen Gefallen tun." Jakub bleibt direkt vor der Tonne stehen. Er hat recht. Dort brutzelt etwas über den Flammen. „Wenn du willst, kannst du gerne bleiben. Vorausgesetzt, du hast nicht vor, uns den Gefallen zu tun."
Jakub schüttelt langsam den Kopf.
„Ich haben schon gemacht genug Scheiße", erwidert er und nimmt etwas überrascht den verdreckten Plastikstuhl an sich, den der andere ihm überreicht. „Dziękuję." Er knackt bedrohlich unter seinem Gewicht, als Jakub sich niederlässt. „Na ja, was heißen schon für Krach sorgen? Das seien passiert mehr oder weniger unfreiwillig." Jurij beugt sich vor und wendet die Köstlichkeiten. „Ich haben nicht vor, euch umzubringen. Jetzt, ich haben mich gut im Griff. Es gehen alles. Heute Vormittag und Nachmittag, Einfluss seien gewesen echt extrem." Die animalischen Angstschreie kann er derweil gut überhören. Die angsterfüllen Blicke, das flehende Betteln ebenso.
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Ein Atemzug entfernt II
Teen Fiction„Was ist schon gut und was böse? Das ist scheißegal; letztendlich hast du dich eh verpflichtet." Jakub Zsaskaski ist auf der Flucht. Ein Wettlauf mit dem Tod. Jedes Hindernis könnte sein letztes Stündlein bedeuten. Und während des Wettlaufs stellt e...