„Schneller. Und geh' weiter herunter." Sie sind seit ungefähr einer Stunde gut dabei. Jakub und Jevhen haben ihr Training unlängst aufgenommen. „Genau." Jakub erhöht das Tempo. Setzt nun zu mehreren Abfolgen an. Streift Jevhens Schulter. „Treffer." Er stoppt. „Okay, kurzes Resümee: Du musst am Tempo arbeiten. Du bist schnell, keine Frage. Es muss eben mehr sein. Ich weiß selbst, dass fast neunzig Prozent nicht annähernd so gut sind wie du. Man will sich dennoch auf dem Ernstfall vorbereiten, nicht? Da heißt es, alles zu geben." Jakub entgeht nicht die aufgeplatzte Wunde auf seiner Schläfe. „Du blutest etwas. Weiter nach ... Ja, genau da."
„Es ist jedes Mal das Tempo", räumt Jevhen ein wenig verärgert ein und wischt es fort. „Ab einer bestimmten Zeit werde ich langsamer. Es liegt bestimmt daran, zumindest denke ich das, dass ich keine Kraft mehr habe." Er atmet tief durch. „Wie sieht es mit der Technik aus?"
Jakub betrachtet seine Hände. Die zum Teil aufgerissene Haut. Die dunklen Stellen bei den Knöcheln.
„Das darf nicht sein. Wir arbeiten dran", versichert er ihm ernst, „nach zwei Wochen wird es so oder so anders aussehen. Du wirst es kaum glauben, was regelmäßiges Training auch in diesem kurzen Zeitraum ausrichten kann." Jakub erwidert den Blick von Jevhen. „Die Technik ist zum Großteil in Ordnung. Du kannst rechtzeitig reagieren. Schaffst es also, dich in Sicherheit zu bringen. Woran es etwas scheitert, ist, wenn jemand mehrere Abfolgen ausführt. Mir fällt auf, dass du dann nicht mehr so flott bist. Ich habe dich entweder an der Schulter oder sogar im Gesicht getroffen. An dieser Stelle Sorry fürs Bluten."
Jevhen winkt ab.
„Das Bisschen Blut. Mach' daraus kein Drama." Da das Shirt recht eng am Oberkörper anliegt, kann Jakub, sollte er sich mehr bewegen, die ausgeprägten Bauchmuskeln erkennen. „Davon stirbt man nicht." Sie nehmen die Ausgangsposition ein. „Wenn das so ist, sollten wir da weitermachen." Jakub hebt die Augenbrauen. „Meine nur. Lass' uns heute erst einmal sehen, wo die Schwachpunkte sind." Der Pole macht sich bereit. „Du jetzt?" Ein Nicken. „Gut. Ich werde so vorgehen, als hättest du jemanden aus der Gang vor dir." Das bedeutet: Ziemlich flink, ein unterschätzbares Kraftpotenzial. „Fertig?"
„Wollte sagen. Ich will heute nichts überstürzen. Dieser Tag dient einzig und allein dem, um, wie du gesagt hast, Schwachpunkte zu finden." Stille. „Es kann losgehen. Denk' dran; alles oder nichts." Jevhen wartet nicht länger auf die Aufforderung, sondern legt los. Er holt von verschiedenen Seiten aus. Selbst unmittelbar gerade. Jakub fühlt sich, als würde er einen sehr anspruchsvollen Tanz ausführen. Er bewegt sich leichtfüßig und ist fähig, jede Position zügig zu verändern. Sie bauen Bewegungselemente ein. Jakub lässt ihn nicht aus den Augen. Versucht manchmal, die Schläge vorherzusagen, um sich noch leichter darauf einzustellen. Gelegentlich funktioniert es – jeder entwickelt im Laufe der Augenblicke Indizien, die darauf Aufschlüsse geben. Er ist soeben zu Boden gegangen, da setzt Jevhen zum neuen Schlag an. Der Pole kann nicht rechtzeitig aufspringen. Also rollt er sich weg und erhebt sich dann. Er hätte Jevhen ohne Schwierigkeiten niedergerungen.
„Ziemlich beeindruckend", erlaubt der Ukrainer sich die Bemerkung und nimmt seine Aufgabe von Neuem wahr. „Zeig' mir jetzt, wie du sie blockst. Im Ausweichen bist du sehr gut. Muss man wirklich loben." Jakub tritt zu ihm. „Gleiche Art und Weise?" Der Vierundzwanzigjährige bejaht die Frage. „Es geht also los." Jevhen lässt sich kaum den Fokus nehmen, als Jakub immer wieder die Arme hebt und die Schläge auf den unteren Armen abprallen lässt. Auch, als die Schläge von der Seite kommen, weiß Jakub instinktiv, wie er sich zu verteidigen hat. Manchmal packt er Jevhens Arm und drückt ihn zügig weg. Deutet einen Ansatz seinerseits an. Er macht weiter. Fordert Jevhen aus, jede Art auszutesten. Selbst unfaire Mittel sollten eingebaut werden. Erst weiß Jevhen nichts mit der Aufforderung anzufangen, doch dann fängt er an, Jakubs linken Arm festzuhalten, während er zuschlagen will. Mit Hilfe einer speziellen Technik dreht er sich den Arm frei und blockt ihn rechtzeitig ab.
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Ein Atemzug entfernt II
Teen Fiction„Was ist schon gut und was böse? Das ist scheißegal; letztendlich hast du dich eh verpflichtet." Jakub Zsaskaski ist auf der Flucht. Ein Wettlauf mit dem Tod. Jedes Hindernis könnte sein letztes Stündlein bedeuten. Und während des Wettlaufs stellt e...