Polaris

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Ich schließe die Augen, weil ich weiß, dass der Moment nun kommen wird. Niemals zuvor habe ich mir vorgestellt, wie es ist, zu sterben, immer nur, was danach geschieht... Hoffentlich ist es wirklich ein furchtbar großes Abenteuer, denn ich möchte nicht einfach so verschwinden. Als Seele entfliehen, ohne, dass es irgendjemand merkt, dass mich jemand verabschiedet...

Da geht plötzlich ein Ruck durch meinen Körper, die Hand an meinem Knöchel hat aufgehört, zu ziehen. Ob wir am Grund angekommen sind? Vorsichtig öffne ich ein letztes Mal meine Augen, doch..., was ist das? Wie rote Wolken treibt etwas im Wasser, lässt alle anderen Farben unwirklich werden. Es bildet rote Kringel und Schlieren, als hätte jemand Tinte in Wasser gekippt, dann wird mir schwarz vor Augen.

Ich öffnete meine Augen einen winzigen Spalt breit, um in ein sorgenvolles Gesicht zu sehen, das von Peter herzurühren schien. Er hatte sich über mich gebeugt und versuchte panisch, mich auf zu wecken. Tränen rannen über seine Wangen, während er verzweifelt schrie: ,,Jenny! Jenny! Bitte , Jenny! Nein, sie darf nicht tot sein, bitte! Was habe ich denn getan! Wieso muss man mich so bestrafen und wenn, dann sollte nicht sie darunter leiden! Nicht Jenny... nicht Jen..." Ich schloss die Augen wieder, ohne das Peter bemerkt hatte, dass ich wach gewesen war, viel zu schwach um irgendwas zu tun.

Als ich aufwachte, war es bereits dunkel. Ich lag auf einem riesigen Moosbewachsenen Felsen mitten in der Lagune dieser Fischmädchen. Bei dem Gedanken an sie überkam mich ein Schauer der Angst, doch dann erblickte ich den Jungen, der auf der anderen Seite des Steins saß. Seine zusammengekauerte Gestalt war nur von hinten zu sehen, während er ausdruckslos auf's Meer hinaus starrte. Der sonst so aufgeweckte Peter Pan, den ich doch eigentlich kennen gelernt hatte und wenn ich ehrlich war, auch gern hatte, wirkte  beängstigend leblos.

Wortlos stand ich auf und setzte mich neben ihn. Erstaunt drehte er den Kopf und schaute mich an, seltsamerweise ohne einen Funken von Erleichterung oder Ähnlichem. ,,Danke.., danke, dass du mich gerettet hast", murmelte ich leise und blickte betreten auf die Spiegelglatte Oberfläche des Wassers, keine einzige Welle kräuselte sie. Ich bekam keine Antwort. Wir saßen einfach nur stumm da und schauten in die Ferne, bis ich die Stille durchbrach: ,,Peter, hast du wirklich wegen mir geweint?" Er sah mich mit diesem Blick an, der keinen Widerspruch duldete und sagte dann in scharfem Ton: ,,Ich habe noch nie geweint!"

Damit drehte er sich wieder um und es folgte eine weitere ewige Stille, in der niemand ein Wort sprach. Es wurde immer dunkler und über uns erschien ein klarer Sternenhimmel, der gemeinsam mit dem Mond um die Wette zu strahlen schien. Plötzlich wandte Peter sich mir zu, blickte mir tief in die Augen und sagte bestimmt und fest: ,,Du wirst das nie wieder tun!" 

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt