19. Türchen

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HARRY

19.12. :

Der heutige Tag verlief ereignislos, bis ich abends nachhause kam.

"Warum dauern die Vorlesungen noch jeden Tag so lange? Es ist der vorletzte Tag!", rief ich und legte mich rücklings auf mein Bett. Louis lachte, stand auf und kam zu mir. "Du Armer", sagte er und setzte sich neben mich. "Es ist schon stockdunkel draußen". "Das macht doch nichts, trotzdem ist es noch nicht sooooo spät". Ich setzte mich auf, beugte mich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. "Hast du Lust, mit mir ins Kino zu gehen?', fragte ich Louis dann und er grinste mich schief an. "Klar, was willst du dir ansehen?". "Einen Weihnachtsfilm". "Okay, cool", sagte er und nahm sein Telefon in die Hand, um sich das Kinoprogramm anzusehen.

Eine Stunde später stellten Louis und ich uns an der Kinokasse an und er nahm meine Hand in seine und drückte mir einen Kuss auf die Wange. "Siehst du die zwei Schwuchteln?", erklang es hinter uns und wir drehten uns um. "Ja, total ekelhaft", sagte der eine Halbwüchsige zum anderen. "Harry, lass es einfach", flüsterte Louis mir zu, aber ich dachte gar nicht daran. Diese zwei Typen hätte ich auf der Highschool zum Frühstück verspeist. Jetzt war ich zwar nicht mehr so drauf, aber ab und zu wollte das Arschloch in mir noch raus - und jetzt war genau der richtige Zeitpunkt dafür.

Ich ließ Louis Hand los und baute mich bedrohlich vor den beiden Teenagern auf - und siehe da - schon sahen sie nicht mehr so cool aus, sondern ziemlich eingeschüchtert. "Was ist euer Problem?". "N-nichts, wir ... es w-war nur ein Scherz", stotterte der eine und wurde dunkelrot im Gesicht. "Das will ich auch hoffen, denn eigentlich will ich meinen Abend nicht damit verbringen, eure beiden Pickelgesichter zu verunstalten", stellte ich fest - und dann drehte ich mich wieder um, so als wäre gar nichts gewesen. Louis tat es mir gleich und grinste mich breit an. "Das war ganz schön scharf", sagte er und ich lachte. "Das war doch noch gar nichts". "Okay, jetzt will ich einfach nur in der letzten Reihe mit dir knutschen, der Film interessiert mich nicht". "Das lässt sich machen".

Und genau das taten Louis und ich dann auch. Vom Film bekamen wir fast gar nichts mit, aber das war schon okay so. Ich genoss es in vollen Zügen, so zu tun, als wäre Louis mein fester Freund. Er war es zwar nicht, aber es fühlte sich so an, und das gefiel mir.

LOUIS

Nach dem Film ging ich kurz auf die Toilette und erschrak ein wenig, als ich mich selber im Spiegel sah. Meine Augen funkelten, aber meine Lippen waren rot und geschwollen. Ich wusch mir die Hände und benetzte meine Lippen mit kaltem Wasser. Das tat gut und ich konnte zu Harry zurückkehren.

„Ich hätte jetzt Lust auf Pizza.“, sagte Harry und wir verliessen das Kino und gingen zum selben Italiener wie beim letzten Mal. „Aber heute bekommst du mich nicht zum Schlittschuhlaufen.“, grinste ich Harry an. „Hab ich auch gar nicht vor, aber ich wollte dich fragen, ob wir nicht nachher noch mal mit dem Bummelzug fahren können und uns noch einen Punsch genehmigen?“ Der Kellner kam und wir bestellten unser Essen. „Ja, das können wir gerne machen.“, stimmte ich zu und Harry nahm meine Hand in seine. „Ich verbringe so gerne Zeit mit dir!“ „Hättest du dir das vor zwei Jahren gedacht?“ „Was? Dass wir hier sitzen und im Kino knutschen?“ „Ja.“ „Nein, nie im Leben und ich war ein Idiot. Wenn ich daran denke, wie viel wir schon hätten miteinander erleben können, dann werde ich direkt sauer auf mich selber.“, gab er zu.

„Du hast jetzt die Chance, alles wieder gut zu machen und ich muss zugeben, dass dir das bisher ganz gut gelingt. Du hast dich um hundertachtzig Grad gewendet, das muss man dir lassen.“, sagte ich nach einer Weile des Schweigens. „Danke, das bedeutet mir viel!“ „Ist doch nur die Wahrheit.“, antwortete ich und strich mit meinem Daumen über seinen Handrücken.

Wir aßen und gingen danach dann zum Weihnachtsmarkt. „Trinken wir zuerst einen Punsch oder fahren wir vorher mit dem Zug?“, fragte Harry mich aufgeregt. „Lass uns zuerst etwas trinken.“, schlug ich vor und wir holten uns zwei Tassen Punsch. „Rudolph the Red-Nosed-Reindeer had a very shiny nose and if you ever saw it, you would even say it glows!“, sang Harry leise zu dem Song aus einem Lautsprecher. Als er bemerkte, dass ich ihm zuhörte, hörte er verlegen auf zu singen, aber ich sagte: “Sing ruhig weiter, ich höre dir gerne zu.” Nach Rudolph kam Fairytale Of New York und da grölten alle mit und auch Harry und ich mischten uns unter die Sänger.

„I´ve got a feeling, this year´s for me and you, so happy christmas, I love you Baby, I can see a better time, when all our dreams come true!”, sang Harry und im nächsten Moment küsste er mir stürmisch und rund um uns begannen Leute zu jubeln. Zuerst dachte ich, die Leute würden wegen des Songs jubeln, aber in Wirklichkeit taten sie es, weil die Textzeilen perfekt zu unserem Kuss passten.

Als wir uns wieder voneinander lösten brandete Applaus auf und ich sah verlegen in die Runde. Wir bekamen noch eine Runde Punsch spendiert und mussten mit allen anstossen.

Der Zug kam gerade als wir an die Haltestelle kamen und Harry bezahlte für uns beide. „Wenn ich einen perfekten Tag nennen müsste, dann wäre es heute.“, sagte er als der Zug losfuhr. Ich antwortete nicht, kuschelte mich aber an ihn und genoss seine Nähe.

Auf dem Rückweg zum Wohnheim schwiegen wir meistens und ich genoss auch das. Mit Harry konnte man gut schweigen, das war eines der vielen Dinge, die ich an ihm mochte.

„Meine Zehen sind abgestorben.“, sagte ich als wir das Wohnheim erreichten. „Wenn du auch im Winter mit den dünnen Sneakers herumläufst wundert mich das nicht.“ „Aber sie sind doch soooo cool!“ „So cool wie deine Zehen?“, fragte er mich grinsend und ich seufzte genervt. „Mister Naseweis.“, grummelte ich dann und Harry schloß unsere Tür auf. „Deine Chelseaboots sind auch nicht unbedingt für den Winter geeignet…“, sagte ich und im nächsten Moment hielt mir Harry seinen besockten Fuss unter die Nase. „Hier, greif mal, ich hab keine kalten Zehen.“, rief er lachend und ich verzog die Nase. „Aber du hast Fussschweiß.“, antwortete ich und schob seinen Fuss von meinem Gesicht weg.

Ich zog meine Schuhe aus und stellte sie auf den Heizkörper, denn die Nässe war durch und durch gegangen. Als ich meine, ebenfalls nassen, Socken auszog waren meine Zehen blau, bildete ich mir zumindest ein. Ich holte mir frische Socken und eine neue Unterhose und ging dann unter die Dusche. Das warme Wasser belebte meine Lebensgeister wieder ein wenig und als ich die Dusche wieder verliess war Harry eingeschlafen. Da ich keinen Bock auf mein kaltes Bett hatte, kuschelte ich mich an ihn und deckte uns beide zu.

Treat People With Kindness  - AdventkalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt